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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Bmidesstaat und Staatenbund; Volk und Land

Macht, die irgend etwas verleihen, oder aus deren Fülle irgend jemand
schöpfen könnte. Wer deutlich reden will, der muß diese Person oder diese
Personen, diese Macht nenne". Entweder der Monarch oder das Volk ist die
Quelle der Befugnisse aller Behörden, oder der Monarch ist es für die einen,
das Volk für die andern. Die Vorstellung, daß irgend eine obrigkeitliche Ge¬
walt im Staate vom Volke herstammen könnte, ist ja dem Altpreußen das
denkbar anstößigste; will er doch sogar die Teilnahme des Volks an der Ge¬
setzgebung nur als den Ausfluß eines Rechts gelten lassen, das der König in
freiwilliger Selbstbeschrünkung seiner Allmacht") den Unterthanen aus Gnaden
geschenkt habe, aber als eine wissenschaftlich berechtigte Theorie kann man doch
diese Ansicht heute nicht mehr gelten lassen, wo wir die Thatsache vor Augen
haben, daß sich die Form der demokratischen Republik in zwei Grvßstnaten
als lebensfähig bewährt hat. Wir beneiden wahrlich diese Republiken nicht
um ihre Verfassungen, danken vielmehr Gott für die Gnade, daß er uns eine
Dynastie gegeben hat, die uus vor dem Unheil einer ausbeutenden Partei-,
Klassen- und Cliquenherrschaft zu bewahren vermag, indem einmal das Schicksal
jeder Dynastie an sich schon viel inniger mit dem Wohle des ganzen Volks
verknüpft ist, als das einer Partei, Vermögens- oder Berufsklasse, die Dynastie
daher um ihrer Selbsterhaltung willen das Gemeinwohl im weitesten Sinne
zur Richtschnur ihres Handelns machen muß, und indem andrerseits das seine
Verständnis für diese innige Verknüpfung im Hohenzollernhause sozusagen erb¬
lich geworden ist. Aber zum Wesen des Staats gehört die Monarchie strengster
Auffassung so wenig, daß vielmehr alle Staatswissenschaften znerst in Re¬
publiken ^ in denen des Altertums und des Mittelalters -- ausgebildet
worden sind. Ja selbst sür die Festigkeit und Machtentwicklung des Staats,
die den absoluten Monarchen -i priori zu fordern scheinen, bietet die mon¬
archische Verfassung keineswegs immer die sicherste Gewähr, wie nicht allein
die Unterjochung vieler Königreiche durch die römische Republik, sondern auch
die Erschütterung und Umgestaltung des monarchischen Europas am Ende des
achtzehnten Jahrhunderts durch eine Handvoll Jakobiner und einen anfänglich
in ihren Diensten erobernden Abenteurer beweist. Die Wissenschaft darf also
nicht verschweigen, daß thatsächlich in vielen Fällen die Staatsgewalt vom
Volke verliehen und ausgeübt wird, wie klein, unwürdig und unfähig auch der
Bruchteil des Volks sein mag, dem die Vorsehung gerade im Augenblick die
Entscheidung in die Hand legt.



Bei einer öffentlichen Feier vor etwa sechs Jahren gab ein hoher Offizier in seiner
Festrede dem Kaiser u. a. das schmückende Beiwort allmächtig. Der Redakteur, dem die Pflicht
der Berichterstattung oblag, wagte das Wort weder ohne weiteres zu schreiben noch eigen¬
mächtig wegzulassen und bat den Herrn um den schriftlichen Wortlaut seiner Rede. Dieser
willfahrte der Bitte und vergaß auch das sehr deutlich und kräftig geschriebne "allmäch¬
tig" nicht.
Bmidesstaat und Staatenbund; Volk und Land

Macht, die irgend etwas verleihen, oder aus deren Fülle irgend jemand
schöpfen könnte. Wer deutlich reden will, der muß diese Person oder diese
Personen, diese Macht nenne». Entweder der Monarch oder das Volk ist die
Quelle der Befugnisse aller Behörden, oder der Monarch ist es für die einen,
das Volk für die andern. Die Vorstellung, daß irgend eine obrigkeitliche Ge¬
walt im Staate vom Volke herstammen könnte, ist ja dem Altpreußen das
denkbar anstößigste; will er doch sogar die Teilnahme des Volks an der Ge¬
setzgebung nur als den Ausfluß eines Rechts gelten lassen, das der König in
freiwilliger Selbstbeschrünkung seiner Allmacht") den Unterthanen aus Gnaden
geschenkt habe, aber als eine wissenschaftlich berechtigte Theorie kann man doch
diese Ansicht heute nicht mehr gelten lassen, wo wir die Thatsache vor Augen
haben, daß sich die Form der demokratischen Republik in zwei Grvßstnaten
als lebensfähig bewährt hat. Wir beneiden wahrlich diese Republiken nicht
um ihre Verfassungen, danken vielmehr Gott für die Gnade, daß er uns eine
Dynastie gegeben hat, die uus vor dem Unheil einer ausbeutenden Partei-,
Klassen- und Cliquenherrschaft zu bewahren vermag, indem einmal das Schicksal
jeder Dynastie an sich schon viel inniger mit dem Wohle des ganzen Volks
verknüpft ist, als das einer Partei, Vermögens- oder Berufsklasse, die Dynastie
daher um ihrer Selbsterhaltung willen das Gemeinwohl im weitesten Sinne
zur Richtschnur ihres Handelns machen muß, und indem andrerseits das seine
Verständnis für diese innige Verknüpfung im Hohenzollernhause sozusagen erb¬
lich geworden ist. Aber zum Wesen des Staats gehört die Monarchie strengster
Auffassung so wenig, daß vielmehr alle Staatswissenschaften znerst in Re¬
publiken ^ in denen des Altertums und des Mittelalters — ausgebildet
worden sind. Ja selbst sür die Festigkeit und Machtentwicklung des Staats,
die den absoluten Monarchen -i priori zu fordern scheinen, bietet die mon¬
archische Verfassung keineswegs immer die sicherste Gewähr, wie nicht allein
die Unterjochung vieler Königreiche durch die römische Republik, sondern auch
die Erschütterung und Umgestaltung des monarchischen Europas am Ende des
achtzehnten Jahrhunderts durch eine Handvoll Jakobiner und einen anfänglich
in ihren Diensten erobernden Abenteurer beweist. Die Wissenschaft darf also
nicht verschweigen, daß thatsächlich in vielen Fällen die Staatsgewalt vom
Volke verliehen und ausgeübt wird, wie klein, unwürdig und unfähig auch der
Bruchteil des Volks sein mag, dem die Vorsehung gerade im Augenblick die
Entscheidung in die Hand legt.



Bei einer öffentlichen Feier vor etwa sechs Jahren gab ein hoher Offizier in seiner
Festrede dem Kaiser u. a. das schmückende Beiwort allmächtig. Der Redakteur, dem die Pflicht
der Berichterstattung oblag, wagte das Wort weder ohne weiteres zu schreiben noch eigen¬
mächtig wegzulassen und bat den Herrn um den schriftlichen Wortlaut seiner Rede. Dieser
willfahrte der Bitte und vergaß auch das sehr deutlich und kräftig geschriebne „allmäch¬
tig" nicht.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/464>, abgerufen am 08.01.2025.