Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Die Judenfrage eine ethische Frage schwindender Minderzahl, und dann paßt auf sie eben die Fabel von dem Es fragt sich nun, warum die Juden, eine geistig so hervorragende Nasse, Die Antisemiten erklären dies aus Vorschriften des Talmud und aus Auch die Rassenunterschiede sind lange nicht so bedeutend, daß sie die Die Judenfrage eine ethische Frage schwindender Minderzahl, und dann paßt auf sie eben die Fabel von dem Es fragt sich nun, warum die Juden, eine geistig so hervorragende Nasse, Die Antisemiten erklären dies aus Vorschriften des Talmud und aus Auch die Rassenunterschiede sind lange nicht so bedeutend, daß sie die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0458" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212934"/> <fw type="header" place="top"> Die Judenfrage eine ethische Frage</fw><lb/> <p xml:id="ID_1538" prev="#ID_1537"> schwindender Minderzahl, und dann paßt auf sie eben die Fabel von dem<lb/> gesunden Apfel, der, neben den verfaulten gelegt, selbst verfault.</p><lb/> <p xml:id="ID_1539"> Es fragt sich nun, warum die Juden, eine geistig so hervorragende Nasse,<lb/> in ihrem fast ausschließlichen Sinn für Erwerbs- und Geistesleben die Gesetze<lb/> der Sittlichkeit so häufig hintansetzen, daß sie öffentliches Ärgernis erregen,<lb/> warum sie nicht einsehen, daß sie sich trotz ihrer Solidarität und ihrer be-<lb/> wundrungswürdigen Zähigkeit durch das hartnäckige Festhalten an einem rück¬<lb/> sichtslosen geschäftlichen Egoismus selbst den Todesstoß geben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1540"> Die Antisemiten erklären dies aus Vorschriften des Talmud und aus<lb/> Eigentümlichkeiten der Nasse; die Juden entschuldigen es, wenn sie es nicht<lb/> überhaupt vorziehen, alles schlankweg zu leugnen, durch die Verfolgungen des<lb/> Mittelalters. Ich will mich in den Talmudstreit nicht einlassen, da ich nichts<lb/> davon verstehe. Das aber sage ich den Antisemiten ins Gesicht, daß ich es<lb/> vollkommen begreiflich nud geschichtlich begründet finden würde, wenn irgend<lb/> jemand der Nachweis gelänge, daß die jüdischen Sittenlehrer während der<lb/> Judenverfolgungen thatsächlich die haarsträubeudsten und unsittlichsten Lehren<lb/> von Christenverfolgung gepredigt Hütten. Konnte die christliche Lehre die<lb/> schmählichsten Judenverfolgungen nicht eindämmen, ja hat es selbst christliche<lb/> Priester gegeben, die die Lehre ihres Heilands vergaßen und in Spanien und<lb/> Deutschland gegen Juden, in England gegen Katholiken, in Frankreich gegen<lb/> Protestanten wüteten, so kann man es doch füglich den unterdrückten Juden<lb/> nicht verdenken, namentlich wenn man sich den alttestamentarischen Grundsatz<lb/> der Vergeltung ins Gedächtnis ruft, wenn sie ihre Unterdrücker haßten, sie<lb/> verwünschten, betrogen, ja vielleicht auch mordeten. Es ist das Recht einer<lb/> jeden Kreatur, sich gegen Ungerechtigkeit aufzulehnen, und wer Haß säet, wird<lb/> Haß ernten. Ausnahmegesetze erzeugen Ausnahmeverhältnisse. Nur Duld¬<lb/> samkeit und Gerechtigkeit, Objektivität und Menschenfreundlichkeit können eine<lb/> Verständigung zwischen verschiednen Nassen, wie zwischen verschiednen Gesell¬<lb/> schaftsklassen oder politischen Parteien anbahnen. Wenn ich an den Ritual¬<lb/> mord nicht glaube, so geschieht es nicht deshalb, weil er mir im Widersprüche<lb/> mit der wahrscheinlichen Stimmung der frühern Juden für die Christen zu<lb/> sein schiene, sondern weil ich ihn mit den religiösen Satzungen der Juden<lb/> absolut uicht in Einklang bringen kann. Aber diese Vergangenheit kann mir<lb/> doch die Gegenwart mit ihrer gesetzlichen Gleichberechtigung und thatsächlichen<lb/> Herrschaft des mobilen Kapitals und mit ihm der Juden noch lange nicht<lb/> erklären. Die Juden sind heute aus den Unterdrückten Unterdrücker geworden,<lb/> und nnn übt der Antisemitismus an ihnen dieselbe Vergeltungspolitik, die sie<lb/> im Mittelalter gegen die Christen zu üben wohl berechtigt gewesen wären.</p><lb/> <p xml:id="ID_1541" next="#ID_1542"> Auch die Rassenunterschiede sind lange nicht so bedeutend, daß sie die<lb/> Rücksichtslosigkeit des jüdischen Erwerbslebens genügend erklären könnten. Es<lb/> giebt eine Reihe jüdischer Rasseneigentümlichkeiten, wie die Zudringlichkeit,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0458]
Die Judenfrage eine ethische Frage
schwindender Minderzahl, und dann paßt auf sie eben die Fabel von dem
gesunden Apfel, der, neben den verfaulten gelegt, selbst verfault.
Es fragt sich nun, warum die Juden, eine geistig so hervorragende Nasse,
in ihrem fast ausschließlichen Sinn für Erwerbs- und Geistesleben die Gesetze
der Sittlichkeit so häufig hintansetzen, daß sie öffentliches Ärgernis erregen,
warum sie nicht einsehen, daß sie sich trotz ihrer Solidarität und ihrer be-
wundrungswürdigen Zähigkeit durch das hartnäckige Festhalten an einem rück¬
sichtslosen geschäftlichen Egoismus selbst den Todesstoß geben.
Die Antisemiten erklären dies aus Vorschriften des Talmud und aus
Eigentümlichkeiten der Nasse; die Juden entschuldigen es, wenn sie es nicht
überhaupt vorziehen, alles schlankweg zu leugnen, durch die Verfolgungen des
Mittelalters. Ich will mich in den Talmudstreit nicht einlassen, da ich nichts
davon verstehe. Das aber sage ich den Antisemiten ins Gesicht, daß ich es
vollkommen begreiflich nud geschichtlich begründet finden würde, wenn irgend
jemand der Nachweis gelänge, daß die jüdischen Sittenlehrer während der
Judenverfolgungen thatsächlich die haarsträubeudsten und unsittlichsten Lehren
von Christenverfolgung gepredigt Hütten. Konnte die christliche Lehre die
schmählichsten Judenverfolgungen nicht eindämmen, ja hat es selbst christliche
Priester gegeben, die die Lehre ihres Heilands vergaßen und in Spanien und
Deutschland gegen Juden, in England gegen Katholiken, in Frankreich gegen
Protestanten wüteten, so kann man es doch füglich den unterdrückten Juden
nicht verdenken, namentlich wenn man sich den alttestamentarischen Grundsatz
der Vergeltung ins Gedächtnis ruft, wenn sie ihre Unterdrücker haßten, sie
verwünschten, betrogen, ja vielleicht auch mordeten. Es ist das Recht einer
jeden Kreatur, sich gegen Ungerechtigkeit aufzulehnen, und wer Haß säet, wird
Haß ernten. Ausnahmegesetze erzeugen Ausnahmeverhältnisse. Nur Duld¬
samkeit und Gerechtigkeit, Objektivität und Menschenfreundlichkeit können eine
Verständigung zwischen verschiednen Nassen, wie zwischen verschiednen Gesell¬
schaftsklassen oder politischen Parteien anbahnen. Wenn ich an den Ritual¬
mord nicht glaube, so geschieht es nicht deshalb, weil er mir im Widersprüche
mit der wahrscheinlichen Stimmung der frühern Juden für die Christen zu
sein schiene, sondern weil ich ihn mit den religiösen Satzungen der Juden
absolut uicht in Einklang bringen kann. Aber diese Vergangenheit kann mir
doch die Gegenwart mit ihrer gesetzlichen Gleichberechtigung und thatsächlichen
Herrschaft des mobilen Kapitals und mit ihm der Juden noch lange nicht
erklären. Die Juden sind heute aus den Unterdrückten Unterdrücker geworden,
und nnn übt der Antisemitismus an ihnen dieselbe Vergeltungspolitik, die sie
im Mittelalter gegen die Christen zu üben wohl berechtigt gewesen wären.
Auch die Rassenunterschiede sind lange nicht so bedeutend, daß sie die
Rücksichtslosigkeit des jüdischen Erwerbslebens genügend erklären könnten. Es
giebt eine Reihe jüdischer Rasseneigentümlichkeiten, wie die Zudringlichkeit,
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