Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Die Judenfrage eine ethische Frage auch mit der Zeit Bankier, Kommerzienrat und Konsul. Ich verfüge in der An der Hand der Kriminalstatistik gelangt mau, auch ohne Antisemit zu Die Verheerungen, die die Hauffe- und Baissespekulation seit Jahren im Beschränkten sich die wirtschaftlichen Krisen, die mit schrecklicher Regel¬ Die Judenfrage eine ethische Frage auch mit der Zeit Bankier, Kommerzienrat und Konsul. Ich verfüge in der An der Hand der Kriminalstatistik gelangt mau, auch ohne Antisemit zu Die Verheerungen, die die Hauffe- und Baissespekulation seit Jahren im Beschränkten sich die wirtschaftlichen Krisen, die mit schrecklicher Regel¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0456" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212932"/> <fw type="header" place="top"> Die Judenfrage eine ethische Frage</fw><lb/> <p xml:id="ID_1530" prev="#ID_1529"> auch mit der Zeit Bankier, Kommerzienrat und Konsul. Ich verfüge in der<lb/> Wncherfrage über ein überaus reiches, aus amtlichen Quellen herrührendes<lb/> Material und gedenke dieses demnächst in einem größern Werke selbständig zu<lb/> verarbeiten. Damit man aber nicht einwende, daß dies alles nur auf öster¬<lb/> reichische Verhältnisse Bezug habe, aber auf Deutschland nicht passe, mache ich<lb/> darauf aufmerksam, daß nach der Enquete des Vereins für Sozialpolitik (1887)<lb/> der Wucher auf dem Lande auch in Deutschland in allen Gegenden des kleinen<lb/> parzellirten Grundbesitzes, vorzugsweise in Ländern fränkischer, alemannischer<lb/> und thüringischer Besiedlung, somit in Südwest- und Mitteldeutschland, in<lb/> geradezu besorgniserregender Weise hervortritt und auch im übrigen Deutsch¬<lb/> land häufig genug ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1531"> An der Hand der Kriminalstatistik gelangt mau, auch ohne Antisemit zu<lb/> sein, zu dem unerfreulichen Schlüsse, daß die Juden überall zu den Verbrechen<lb/> aus Gewinnsucht ein sehr bedeutendes, weit über ihr Verhältnis zur Gesamt¬<lb/> bevölkerung hinausgehendes Kontingent liefern. Jeder Richter oder Rechts¬<lb/> anwalt, der die Sache aus eigner Anschauung kennt, wird dem nicht nur bei¬<lb/> stimmen, sondern auch die Geschicklichkeit bewundern, mit der sich die Juden aus<lb/> der Schlinge zu ziehn wissen, wenn man schon nahe daran zu sein vermeint,<lb/> sie fassen zu können.</p><lb/> <p xml:id="ID_1532"> Die Verheerungen, die die Hauffe- und Baissespekulation seit Jahren im<lb/> Volksvermögen anrichtet, sind so bedeutend, so ungeheuer, so unfaßbar, daß<lb/> wohl ein Hinweis auf den Wiener Börsenkrach von 1873 genügen dürfte, das<lb/> Börsenunwesen zu brandmarken. Erst kürzlich wurde auf der Wiener Börse<lb/> infolge der Audienz eines Abgeordneten beim Kaiser von Osterreich das Ge¬<lb/> rücht verbreitet, daß der Kaiser von einem herannahenden Kriege gesprochen<lb/> habe. Die Kurse fielen reißend schnell, die kleinen Kaufleute, Handwerker, Haus¬<lb/> besitzer verkauften, von parischem Schrecken erfaßt, alle ihre Wertpapiere, und<lb/> die Spekulanten kauften durch Vermittlung von Berliner Bankhäusern die<lb/> angebotnen Papiere zu Spottpreisen auf, worauf sie dann das Gerücht als<lb/> unwahr hinstellen ließen, die Kurse in die Höhe schraubten und beim Wieder¬<lb/> verkauf nun den Gewinn ihrer saubern Spekulation einsackten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1533" next="#ID_1534"> Beschränkten sich die wirtschaftlichen Krisen, die mit schrecklicher Regel¬<lb/> mäßigkeit immer wieder in gewissen Zeiträumen eintreten, bloß auf die berufs¬<lb/> mäßigen Börsenjobber, so könnte man ihnen ja schließlich gestatten, sich gegen¬<lb/> seitig aufzufressen. Ein solcher Schlag trifft aber immer die Gesamtbevölkerung,<lb/> alles hat spekulirt, und alles — mit Ausnahme einiger Finanzbarone und<lb/> ihrer Protvgvs — hat verloren. Und warum? War es nicht strafwürdige<lb/> Habsucht, wenn sich das Volk zu den Bankkontoren drängte? Nein, das war<lb/> es nicht. Seit Laws Zeiten weiß man durch Agenten Und Zeitungen das<lb/> Volk geschickt aufzuregen, ihm sein letztes Hab und Gut abzulocken und sich<lb/> dann, wenn das Geld in der Kasse ist, ins Fäustchen zu lachen. Dazu bedarf</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0456]
Die Judenfrage eine ethische Frage
auch mit der Zeit Bankier, Kommerzienrat und Konsul. Ich verfüge in der
Wncherfrage über ein überaus reiches, aus amtlichen Quellen herrührendes
Material und gedenke dieses demnächst in einem größern Werke selbständig zu
verarbeiten. Damit man aber nicht einwende, daß dies alles nur auf öster¬
reichische Verhältnisse Bezug habe, aber auf Deutschland nicht passe, mache ich
darauf aufmerksam, daß nach der Enquete des Vereins für Sozialpolitik (1887)
der Wucher auf dem Lande auch in Deutschland in allen Gegenden des kleinen
parzellirten Grundbesitzes, vorzugsweise in Ländern fränkischer, alemannischer
und thüringischer Besiedlung, somit in Südwest- und Mitteldeutschland, in
geradezu besorgniserregender Weise hervortritt und auch im übrigen Deutsch¬
land häufig genug ist.
An der Hand der Kriminalstatistik gelangt mau, auch ohne Antisemit zu
sein, zu dem unerfreulichen Schlüsse, daß die Juden überall zu den Verbrechen
aus Gewinnsucht ein sehr bedeutendes, weit über ihr Verhältnis zur Gesamt¬
bevölkerung hinausgehendes Kontingent liefern. Jeder Richter oder Rechts¬
anwalt, der die Sache aus eigner Anschauung kennt, wird dem nicht nur bei¬
stimmen, sondern auch die Geschicklichkeit bewundern, mit der sich die Juden aus
der Schlinge zu ziehn wissen, wenn man schon nahe daran zu sein vermeint,
sie fassen zu können.
Die Verheerungen, die die Hauffe- und Baissespekulation seit Jahren im
Volksvermögen anrichtet, sind so bedeutend, so ungeheuer, so unfaßbar, daß
wohl ein Hinweis auf den Wiener Börsenkrach von 1873 genügen dürfte, das
Börsenunwesen zu brandmarken. Erst kürzlich wurde auf der Wiener Börse
infolge der Audienz eines Abgeordneten beim Kaiser von Osterreich das Ge¬
rücht verbreitet, daß der Kaiser von einem herannahenden Kriege gesprochen
habe. Die Kurse fielen reißend schnell, die kleinen Kaufleute, Handwerker, Haus¬
besitzer verkauften, von parischem Schrecken erfaßt, alle ihre Wertpapiere, und
die Spekulanten kauften durch Vermittlung von Berliner Bankhäusern die
angebotnen Papiere zu Spottpreisen auf, worauf sie dann das Gerücht als
unwahr hinstellen ließen, die Kurse in die Höhe schraubten und beim Wieder¬
verkauf nun den Gewinn ihrer saubern Spekulation einsackten.
Beschränkten sich die wirtschaftlichen Krisen, die mit schrecklicher Regel¬
mäßigkeit immer wieder in gewissen Zeiträumen eintreten, bloß auf die berufs¬
mäßigen Börsenjobber, so könnte man ihnen ja schließlich gestatten, sich gegen¬
seitig aufzufressen. Ein solcher Schlag trifft aber immer die Gesamtbevölkerung,
alles hat spekulirt, und alles — mit Ausnahme einiger Finanzbarone und
ihrer Protvgvs — hat verloren. Und warum? War es nicht strafwürdige
Habsucht, wenn sich das Volk zu den Bankkontoren drängte? Nein, das war
es nicht. Seit Laws Zeiten weiß man durch Agenten Und Zeitungen das
Volk geschickt aufzuregen, ihm sein letztes Hab und Gut abzulocken und sich
dann, wenn das Geld in der Kasse ist, ins Fäustchen zu lachen. Dazu bedarf
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