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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Die Repräsentation in der Gesellschaft der Völker

ruhig ihre LtstutL Nils behalten, die viel weniger einfach als unsre deutsche
geographische Meile ist, und nur in einem Falle haben sie in den Einheits¬
und Gleichheitsschwindel eingestimmt, nämlich in der Annahme ihres Meri¬
dians von Greenwich. Da sich aber dieser die Franzosen nicht anschlössen,
zählen jetzt unsre deutschen Kartographen oben an ihren Karten die Längen nach
Greenwich, unten nach Paris. Wer die Zungendreschereien der Friedens¬
kongresse und der etwas handlichem Versammlungen der Völkerrechtler liest,
findet dort genau dasselbe Bestreben irgend einer rasch zusammenkluppendeu
und sich vrgnnisirenden, wortgewandten Nationalität, den andern ihre Pro¬
dukte und Liebhabereien als internationale aufzudrängen- Dabei sind natürlich
die Franzosen, die großen Repräsentanten und Schwätzer, immer voran. Wenn
sichdiese herablassen, auf einem internationalen Kongreß zu erscheinen, der
ausnahmsweise seinen Sitz in Deutschland hat, erheben unsre Zeitungen ein
Jubelgeschrei, denn ohne Franzosen geht es nicht, und dann erlebt man das
Erhebende, daß sogenannte Leuchten der deutschen Wissenschaft mitten in der
Reichshauptstadt ihr scheußliches Französisch parliren und die naserümpfenden
Franzosen anwedeln, denen sie wissenschaftlich um Haupteslänge überlegen sind.
Bei einem Kongreß naturwissenschaftlicher Handwerker und Dilettanten, denen
auch einige Geister beigemengt waren -- es war wohl ein Geologenkongreß --,
wurde diese Komödie der französisch-radebrechenden Berliner Deutschen in einem
Sitzungssaal des provisorischen Neichstagsgebäudes zum öffentlichen Skandal.
Auch deutsche Mehrheiten ändern daran nichts, ein deutliches Zeichen, wie
weit wir in der Kunst der Repräsentation zurückgeblieben sind. Lernen wir
uns zur Geltung bringen, nicht indem wir uns zurückziehen, sondern indem
wir als ehrliche Deutsche dem schwindelhafter in diesen Vereinigungen ent¬
gegentreten.

Solange das Französische die Sprache der meisten internationalen Kon¬
gresse bleibt, werden sie auch vorwiegend französische Versammlungen sein.
Der Deutsche, der ihnen beiwohnt, begiebt sich in den meisten Fällen des kost¬
baren Vorzugs, seine Gedanken in das einzige ihnen ganz gemäße Gewand,
das der Muttersprache, zu kleiden. Seine geistige Repräsentation wird schwer¬
fällig, linkisch, Fülle und Tiefe werden ihm zur Last, aus einem Riesen
wird ein Krüppel. Selbst der geschwätzigste der deutschen Gelehrten, Virchow,
hat da kein Glück. Seine Eitelkeit, seine Fähigkeit, über alles und jedes etwas
nicht ganz Unverständiges zu sagen, sind französisch, aber sein Accent ist
hinterpommerisch. Die Veranstaltung und womöglich Leitung internationaler
Kongresse nehmen natürlich immer am liebsten Angehörige des französischen
Stammes in die Hände; nur dort treten sie in den Hintergrund, wo das Gewicht
der Leistungen oder einsach das Wissen zu gering ist. In den reinen Arbeits-
kvngressen, wie in dem der europäischen Gradmessung oder der Astronomengesell-
fchaft, treten sie von vornherein in den Hintergrund, und in deu andern drängt


Die Repräsentation in der Gesellschaft der Völker

ruhig ihre LtstutL Nils behalten, die viel weniger einfach als unsre deutsche
geographische Meile ist, und nur in einem Falle haben sie in den Einheits¬
und Gleichheitsschwindel eingestimmt, nämlich in der Annahme ihres Meri¬
dians von Greenwich. Da sich aber dieser die Franzosen nicht anschlössen,
zählen jetzt unsre deutschen Kartographen oben an ihren Karten die Längen nach
Greenwich, unten nach Paris. Wer die Zungendreschereien der Friedens¬
kongresse und der etwas handlichem Versammlungen der Völkerrechtler liest,
findet dort genau dasselbe Bestreben irgend einer rasch zusammenkluppendeu
und sich vrgnnisirenden, wortgewandten Nationalität, den andern ihre Pro¬
dukte und Liebhabereien als internationale aufzudrängen- Dabei sind natürlich
die Franzosen, die großen Repräsentanten und Schwätzer, immer voran. Wenn
sichdiese herablassen, auf einem internationalen Kongreß zu erscheinen, der
ausnahmsweise seinen Sitz in Deutschland hat, erheben unsre Zeitungen ein
Jubelgeschrei, denn ohne Franzosen geht es nicht, und dann erlebt man das
Erhebende, daß sogenannte Leuchten der deutschen Wissenschaft mitten in der
Reichshauptstadt ihr scheußliches Französisch parliren und die naserümpfenden
Franzosen anwedeln, denen sie wissenschaftlich um Haupteslänge überlegen sind.
Bei einem Kongreß naturwissenschaftlicher Handwerker und Dilettanten, denen
auch einige Geister beigemengt waren — es war wohl ein Geologenkongreß —,
wurde diese Komödie der französisch-radebrechenden Berliner Deutschen in einem
Sitzungssaal des provisorischen Neichstagsgebäudes zum öffentlichen Skandal.
Auch deutsche Mehrheiten ändern daran nichts, ein deutliches Zeichen, wie
weit wir in der Kunst der Repräsentation zurückgeblieben sind. Lernen wir
uns zur Geltung bringen, nicht indem wir uns zurückziehen, sondern indem
wir als ehrliche Deutsche dem schwindelhafter in diesen Vereinigungen ent¬
gegentreten.

Solange das Französische die Sprache der meisten internationalen Kon¬
gresse bleibt, werden sie auch vorwiegend französische Versammlungen sein.
Der Deutsche, der ihnen beiwohnt, begiebt sich in den meisten Fällen des kost¬
baren Vorzugs, seine Gedanken in das einzige ihnen ganz gemäße Gewand,
das der Muttersprache, zu kleiden. Seine geistige Repräsentation wird schwer¬
fällig, linkisch, Fülle und Tiefe werden ihm zur Last, aus einem Riesen
wird ein Krüppel. Selbst der geschwätzigste der deutschen Gelehrten, Virchow,
hat da kein Glück. Seine Eitelkeit, seine Fähigkeit, über alles und jedes etwas
nicht ganz Unverständiges zu sagen, sind französisch, aber sein Accent ist
hinterpommerisch. Die Veranstaltung und womöglich Leitung internationaler
Kongresse nehmen natürlich immer am liebsten Angehörige des französischen
Stammes in die Hände; nur dort treten sie in den Hintergrund, wo das Gewicht
der Leistungen oder einsach das Wissen zu gering ist. In den reinen Arbeits-
kvngressen, wie in dem der europäischen Gradmessung oder der Astronomengesell-
fchaft, treten sie von vornherein in den Hintergrund, und in deu andern drängt


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[0447] Die Repräsentation in der Gesellschaft der Völker ruhig ihre LtstutL Nils behalten, die viel weniger einfach als unsre deutsche geographische Meile ist, und nur in einem Falle haben sie in den Einheits¬ und Gleichheitsschwindel eingestimmt, nämlich in der Annahme ihres Meri¬ dians von Greenwich. Da sich aber dieser die Franzosen nicht anschlössen, zählen jetzt unsre deutschen Kartographen oben an ihren Karten die Längen nach Greenwich, unten nach Paris. Wer die Zungendreschereien der Friedens¬ kongresse und der etwas handlichem Versammlungen der Völkerrechtler liest, findet dort genau dasselbe Bestreben irgend einer rasch zusammenkluppendeu und sich vrgnnisirenden, wortgewandten Nationalität, den andern ihre Pro¬ dukte und Liebhabereien als internationale aufzudrängen- Dabei sind natürlich die Franzosen, die großen Repräsentanten und Schwätzer, immer voran. Wenn sichdiese herablassen, auf einem internationalen Kongreß zu erscheinen, der ausnahmsweise seinen Sitz in Deutschland hat, erheben unsre Zeitungen ein Jubelgeschrei, denn ohne Franzosen geht es nicht, und dann erlebt man das Erhebende, daß sogenannte Leuchten der deutschen Wissenschaft mitten in der Reichshauptstadt ihr scheußliches Französisch parliren und die naserümpfenden Franzosen anwedeln, denen sie wissenschaftlich um Haupteslänge überlegen sind. Bei einem Kongreß naturwissenschaftlicher Handwerker und Dilettanten, denen auch einige Geister beigemengt waren — es war wohl ein Geologenkongreß —, wurde diese Komödie der französisch-radebrechenden Berliner Deutschen in einem Sitzungssaal des provisorischen Neichstagsgebäudes zum öffentlichen Skandal. Auch deutsche Mehrheiten ändern daran nichts, ein deutliches Zeichen, wie weit wir in der Kunst der Repräsentation zurückgeblieben sind. Lernen wir uns zur Geltung bringen, nicht indem wir uns zurückziehen, sondern indem wir als ehrliche Deutsche dem schwindelhafter in diesen Vereinigungen ent¬ gegentreten. Solange das Französische die Sprache der meisten internationalen Kon¬ gresse bleibt, werden sie auch vorwiegend französische Versammlungen sein. Der Deutsche, der ihnen beiwohnt, begiebt sich in den meisten Fällen des kost¬ baren Vorzugs, seine Gedanken in das einzige ihnen ganz gemäße Gewand, das der Muttersprache, zu kleiden. Seine geistige Repräsentation wird schwer¬ fällig, linkisch, Fülle und Tiefe werden ihm zur Last, aus einem Riesen wird ein Krüppel. Selbst der geschwätzigste der deutschen Gelehrten, Virchow, hat da kein Glück. Seine Eitelkeit, seine Fähigkeit, über alles und jedes etwas nicht ganz Unverständiges zu sagen, sind französisch, aber sein Accent ist hinterpommerisch. Die Veranstaltung und womöglich Leitung internationaler Kongresse nehmen natürlich immer am liebsten Angehörige des französischen Stammes in die Hände; nur dort treten sie in den Hintergrund, wo das Gewicht der Leistungen oder einsach das Wissen zu gering ist. In den reinen Arbeits- kvngressen, wie in dem der europäischen Gradmessung oder der Astronomengesell- fchaft, treten sie von vornherein in den Hintergrund, und in deu andern drängt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/447>, abgerufen am 08.01.2025.