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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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sie wohl einmal der Verlauf der Verhandlungen zurück, wie man es voriges Jahr
bei dem Berner Unfallversicherungskongreß erlebte, auf dem die Meissen der
erschienenen Franzosen und Franzosenfreunde vor dem vourant g'örrniMquö die
Segel strichen, der von ein paar deutschen, österreichischen und deutsch-schweize¬
rischen Sachkennern, vor allen den Praktikern Bödiker und G. von Mähr, aus¬
ging. Je größern Runen für Dilettanten und Phrasenmachcr ein Kongreß
bietet, desto mächtiger ist die Anziehung, die er auf die kongreßwütigen Fran¬
zosen und ihre schweizerischen und belgischen Freunde übt. Für diese ist die
Veranstaltung von Weltausstellungen und internationalen Kongressen geradezu
ein Sport geworden, bei dem es auf ein bischen Schwindel mehr oder weniger
nicht mehr ankommt, und in deren Förderung Fremdenstädte wie Genf, Bern,
Brüssel eine noble Form der Spekulation im Interesse ihrer beutelustigen Gast¬
häuser und Lohndiener sehn. So weit ist es gekommen, daß es eine solche
Stadt wie einen Vorwurf empfindet, wenn ein Jahr vergeht, wo kein inter¬
nationaler Kongreß in ihren Mauern, und wäre es auch uur einer für anthro¬
pologische Kriminalistik oder von europäischen Buddhisten tagt. Selbst kleinere
Städte streben nach dieser Ehre und den damit verbundnen Ertrugen, und es
kommt ihnen dabei nicht auf eine so grobe internationale Taktlosigkeit an, wie
sie Neuenburg mit der Einladung des internationalen Schriftstellertages beging,
als seine französischen Dirigenten die vorher bestimmte Tagung in Berlin ver¬
hindern wollten.

Sehen wir von der naheliegenden, aber zur Zeit unfruchtbaren Erörte¬
rung der Frage nach angeblichen idealen Vorteilen dieser internationalen Ver¬
einigungen ab, nehmen wir sie als eine unvermeidlich gewordne Zeiterscheinung
hin, und fragen wir uns als praktisch und womöglich politisch denkende Men¬
schen, was wir daraus machen können, so liegt es auf der Hand, daß die
Dinge so nicht bleiben können. Gerade auf diesem Gebiet ist ohne Schaden
auf die Dauer das Übergewicht der Franzosen und Franzosenfrennde nicht zu
ertragen. Ohne allen Neid auf die ungezählten Vorteile, die sie daraus ziehen,
und ohne Feindschaft verlangen wir auch in den Formen des internationalen
Verkehrs die uns gebührenden Rücksichten und unsern gerechten Anteil an
Pflicht und Ehre der Repräsentation. Das war der ernste Wunsch, aus dem
heraus der Gedanke der Weltausstellung auch vou solchen freundlich betrachtet
wurde, die sich andern Gründen verschlossen. Das Äußerliche unsrer inter¬
nationalen Stellung genügt noch nicht ihrem innern Wesen und Wert, und
wir wollten die Gelegenheit ergreifen, Form und Inhalt unsers Lebens ein¬
ander näher zu bringen.

Aber wir stehn in diesem Bedürfnis nicht allein. Die Italiener sind
auch in dieser Beziehung unsre Schicksalsgenossen, und die uns geistig näher¬
stehenden Engländer und Skandinavier haben öfter das aufdringliche Sich-
geltendmachenwollen der Franzosen ruhig abgelehnt und sie bei internationalen


sie wohl einmal der Verlauf der Verhandlungen zurück, wie man es voriges Jahr
bei dem Berner Unfallversicherungskongreß erlebte, auf dem die Meissen der
erschienenen Franzosen und Franzosenfreunde vor dem vourant g'örrniMquö die
Segel strichen, der von ein paar deutschen, österreichischen und deutsch-schweize¬
rischen Sachkennern, vor allen den Praktikern Bödiker und G. von Mähr, aus¬
ging. Je größern Runen für Dilettanten und Phrasenmachcr ein Kongreß
bietet, desto mächtiger ist die Anziehung, die er auf die kongreßwütigen Fran¬
zosen und ihre schweizerischen und belgischen Freunde übt. Für diese ist die
Veranstaltung von Weltausstellungen und internationalen Kongressen geradezu
ein Sport geworden, bei dem es auf ein bischen Schwindel mehr oder weniger
nicht mehr ankommt, und in deren Förderung Fremdenstädte wie Genf, Bern,
Brüssel eine noble Form der Spekulation im Interesse ihrer beutelustigen Gast¬
häuser und Lohndiener sehn. So weit ist es gekommen, daß es eine solche
Stadt wie einen Vorwurf empfindet, wenn ein Jahr vergeht, wo kein inter¬
nationaler Kongreß in ihren Mauern, und wäre es auch uur einer für anthro¬
pologische Kriminalistik oder von europäischen Buddhisten tagt. Selbst kleinere
Städte streben nach dieser Ehre und den damit verbundnen Ertrugen, und es
kommt ihnen dabei nicht auf eine so grobe internationale Taktlosigkeit an, wie
sie Neuenburg mit der Einladung des internationalen Schriftstellertages beging,
als seine französischen Dirigenten die vorher bestimmte Tagung in Berlin ver¬
hindern wollten.

Sehen wir von der naheliegenden, aber zur Zeit unfruchtbaren Erörte¬
rung der Frage nach angeblichen idealen Vorteilen dieser internationalen Ver¬
einigungen ab, nehmen wir sie als eine unvermeidlich gewordne Zeiterscheinung
hin, und fragen wir uns als praktisch und womöglich politisch denkende Men¬
schen, was wir daraus machen können, so liegt es auf der Hand, daß die
Dinge so nicht bleiben können. Gerade auf diesem Gebiet ist ohne Schaden
auf die Dauer das Übergewicht der Franzosen und Franzosenfrennde nicht zu
ertragen. Ohne allen Neid auf die ungezählten Vorteile, die sie daraus ziehen,
und ohne Feindschaft verlangen wir auch in den Formen des internationalen
Verkehrs die uns gebührenden Rücksichten und unsern gerechten Anteil an
Pflicht und Ehre der Repräsentation. Das war der ernste Wunsch, aus dem
heraus der Gedanke der Weltausstellung auch vou solchen freundlich betrachtet
wurde, die sich andern Gründen verschlossen. Das Äußerliche unsrer inter¬
nationalen Stellung genügt noch nicht ihrem innern Wesen und Wert, und
wir wollten die Gelegenheit ergreifen, Form und Inhalt unsers Lebens ein¬
ander näher zu bringen.

Aber wir stehn in diesem Bedürfnis nicht allein. Die Italiener sind
auch in dieser Beziehung unsre Schicksalsgenossen, und die uns geistig näher¬
stehenden Engländer und Skandinavier haben öfter das aufdringliche Sich-
geltendmachenwollen der Franzosen ruhig abgelehnt und sie bei internationalen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/448>, abgerufen am 08.01.2025.