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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Die Repräsentation in der Gesellschaft der Völker

große Anzahl dieser Versammlungen durchzieht, die Skandale, zu denen sie
Anlaß geben, ihre Unfruchtbarkeit nach innen und nach außen. Die tranrig-
lächerlichen Streitigkeiten des in die Brüche gegangnen Orientalistenkongresses,
die in alle Blätter getragnen Zwistigkeiten über den diesjährigen Moskaner
Anthropologeilkongreß, deu ernste Leute dort zuerst ablehnten, während ihn
Streber mit aller Macht zustande zu bringen suchten, obwohl jene vor An¬
nahme der Einladungen warnten, die entsprechenden Warnungen, die jetzt
schon ernste Gelehrte Nordamerikas vor den mit der Weltausstellung in
Chicago verbundnen Kongressen ergehen lassen, die von Unberufnen geplant
und verkündet werden, sind die neuesten Zeugnisse der Unsicherheit des Bodens,
uns dem diese internationalen Veranstaltungen stehn. Ähnliche Anzeichen sind
aber schon früher in Masse dagewesen und haben z. B. schon vor Jahren die
Neichsregierung und die deutschen Länder veranlaßt, sich auf den internatio¬
nalen Kongressen der Statistiker nicht mehr vertreten zu lassen. Von den
internationalen Kongressen, die 1889 zur Erinnerung an die erste französische
Revolution in Paris abgehalten wurden, sind die meisten nur von einer geringen
Zahl von Vertretern der europäischen Kulturvölker besucht worden. Dennoch
wurden dort Beschlüsse gefaßt, denen man internationale Geltung zu sichern
suchte, und so hat sich das Sinnwidrige ereignet, daß letzten Frühling eine
sogenannte internationale Chemikerversammlung in Genf, der nur zwei nam¬
hafte deutsche Chemiker beiwohnten, Regeln über chemische Nomenklatur fest¬
setzte, die wahrscheinlich nie Geltung erlangen werden. Die chemische Wissen¬
schaft ist heute so vorwiegend deutsch, daß die Anmaßung einer vorwiegend
französischen Versammlung, ihr, wenn auch nur über Äußerliches, Gesetze zu
geben, nur als eine gelungne Parodie ans den Wert des "Internationalen"
erscheint.

Aber derartige Unifikationen äußerer Dü"ge, deren Wichtigkeit wir nicht
leugnen wollen, wenn sie auch sehr oft weit übertrieben wird, sind na¬
türlich das Gebiet, auf dem sich die internationalen Kongresse mit Vorliebe
bewegen. Die Probleme des Kerns der Wissenschaft entziehn sich ihrem
Wesen nach der kollegialen Behandlung, sie gehören in die Zelle, sei sie Studir-
zimmer, Observatorium, Laboratorium, aber nicht in die Arena. Wer in der
Vereinheitlichung der Maße, der Terminologie und ähnlichen Äußerlichkeiten
das Heil der Menschheit sieht, kann mit diesen Kongressen höchlich zufrieden
sein, denn dort regnen nur so die menschenfreundlichsten Beschlüsse, die alles
verständlich und leicht machen wollen. Bon den Kongressen sind uns die
schönen Dezimalmaße gebracht worden, die es doch z. B. für Wege und Flächen
mit unsrer alten deutschen Meile und Quadratmeile nicht aufnehmen können.
Aber die Kongreßschwätzer unter unsern Professoren der Geodäsie, Geographie
n. s. w. haben es dahin gebracht, daß eiligst der Anschluß an die französisch¬
revolutionäre Einheit und Gleichheit dekretirt wurde. Die Engländer haben


Die Repräsentation in der Gesellschaft der Völker

große Anzahl dieser Versammlungen durchzieht, die Skandale, zu denen sie
Anlaß geben, ihre Unfruchtbarkeit nach innen und nach außen. Die tranrig-
lächerlichen Streitigkeiten des in die Brüche gegangnen Orientalistenkongresses,
die in alle Blätter getragnen Zwistigkeiten über den diesjährigen Moskaner
Anthropologeilkongreß, deu ernste Leute dort zuerst ablehnten, während ihn
Streber mit aller Macht zustande zu bringen suchten, obwohl jene vor An¬
nahme der Einladungen warnten, die entsprechenden Warnungen, die jetzt
schon ernste Gelehrte Nordamerikas vor den mit der Weltausstellung in
Chicago verbundnen Kongressen ergehen lassen, die von Unberufnen geplant
und verkündet werden, sind die neuesten Zeugnisse der Unsicherheit des Bodens,
uns dem diese internationalen Veranstaltungen stehn. Ähnliche Anzeichen sind
aber schon früher in Masse dagewesen und haben z. B. schon vor Jahren die
Neichsregierung und die deutschen Länder veranlaßt, sich auf den internatio¬
nalen Kongressen der Statistiker nicht mehr vertreten zu lassen. Von den
internationalen Kongressen, die 1889 zur Erinnerung an die erste französische
Revolution in Paris abgehalten wurden, sind die meisten nur von einer geringen
Zahl von Vertretern der europäischen Kulturvölker besucht worden. Dennoch
wurden dort Beschlüsse gefaßt, denen man internationale Geltung zu sichern
suchte, und so hat sich das Sinnwidrige ereignet, daß letzten Frühling eine
sogenannte internationale Chemikerversammlung in Genf, der nur zwei nam¬
hafte deutsche Chemiker beiwohnten, Regeln über chemische Nomenklatur fest¬
setzte, die wahrscheinlich nie Geltung erlangen werden. Die chemische Wissen¬
schaft ist heute so vorwiegend deutsch, daß die Anmaßung einer vorwiegend
französischen Versammlung, ihr, wenn auch nur über Äußerliches, Gesetze zu
geben, nur als eine gelungne Parodie ans den Wert des „Internationalen"
erscheint.

Aber derartige Unifikationen äußerer Dü«ge, deren Wichtigkeit wir nicht
leugnen wollen, wenn sie auch sehr oft weit übertrieben wird, sind na¬
türlich das Gebiet, auf dem sich die internationalen Kongresse mit Vorliebe
bewegen. Die Probleme des Kerns der Wissenschaft entziehn sich ihrem
Wesen nach der kollegialen Behandlung, sie gehören in die Zelle, sei sie Studir-
zimmer, Observatorium, Laboratorium, aber nicht in die Arena. Wer in der
Vereinheitlichung der Maße, der Terminologie und ähnlichen Äußerlichkeiten
das Heil der Menschheit sieht, kann mit diesen Kongressen höchlich zufrieden
sein, denn dort regnen nur so die menschenfreundlichsten Beschlüsse, die alles
verständlich und leicht machen wollen. Bon den Kongressen sind uns die
schönen Dezimalmaße gebracht worden, die es doch z. B. für Wege und Flächen
mit unsrer alten deutschen Meile und Quadratmeile nicht aufnehmen können.
Aber die Kongreßschwätzer unter unsern Professoren der Geodäsie, Geographie
n. s. w. haben es dahin gebracht, daß eiligst der Anschluß an die französisch¬
revolutionäre Einheit und Gleichheit dekretirt wurde. Die Engländer haben


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[0446] Die Repräsentation in der Gesellschaft der Völker große Anzahl dieser Versammlungen durchzieht, die Skandale, zu denen sie Anlaß geben, ihre Unfruchtbarkeit nach innen und nach außen. Die tranrig- lächerlichen Streitigkeiten des in die Brüche gegangnen Orientalistenkongresses, die in alle Blätter getragnen Zwistigkeiten über den diesjährigen Moskaner Anthropologeilkongreß, deu ernste Leute dort zuerst ablehnten, während ihn Streber mit aller Macht zustande zu bringen suchten, obwohl jene vor An¬ nahme der Einladungen warnten, die entsprechenden Warnungen, die jetzt schon ernste Gelehrte Nordamerikas vor den mit der Weltausstellung in Chicago verbundnen Kongressen ergehen lassen, die von Unberufnen geplant und verkündet werden, sind die neuesten Zeugnisse der Unsicherheit des Bodens, uns dem diese internationalen Veranstaltungen stehn. Ähnliche Anzeichen sind aber schon früher in Masse dagewesen und haben z. B. schon vor Jahren die Neichsregierung und die deutschen Länder veranlaßt, sich auf den internatio¬ nalen Kongressen der Statistiker nicht mehr vertreten zu lassen. Von den internationalen Kongressen, die 1889 zur Erinnerung an die erste französische Revolution in Paris abgehalten wurden, sind die meisten nur von einer geringen Zahl von Vertretern der europäischen Kulturvölker besucht worden. Dennoch wurden dort Beschlüsse gefaßt, denen man internationale Geltung zu sichern suchte, und so hat sich das Sinnwidrige ereignet, daß letzten Frühling eine sogenannte internationale Chemikerversammlung in Genf, der nur zwei nam¬ hafte deutsche Chemiker beiwohnten, Regeln über chemische Nomenklatur fest¬ setzte, die wahrscheinlich nie Geltung erlangen werden. Die chemische Wissen¬ schaft ist heute so vorwiegend deutsch, daß die Anmaßung einer vorwiegend französischen Versammlung, ihr, wenn auch nur über Äußerliches, Gesetze zu geben, nur als eine gelungne Parodie ans den Wert des „Internationalen" erscheint. Aber derartige Unifikationen äußerer Dü«ge, deren Wichtigkeit wir nicht leugnen wollen, wenn sie auch sehr oft weit übertrieben wird, sind na¬ türlich das Gebiet, auf dem sich die internationalen Kongresse mit Vorliebe bewegen. Die Probleme des Kerns der Wissenschaft entziehn sich ihrem Wesen nach der kollegialen Behandlung, sie gehören in die Zelle, sei sie Studir- zimmer, Observatorium, Laboratorium, aber nicht in die Arena. Wer in der Vereinheitlichung der Maße, der Terminologie und ähnlichen Äußerlichkeiten das Heil der Menschheit sieht, kann mit diesen Kongressen höchlich zufrieden sein, denn dort regnen nur so die menschenfreundlichsten Beschlüsse, die alles verständlich und leicht machen wollen. Bon den Kongressen sind uns die schönen Dezimalmaße gebracht worden, die es doch z. B. für Wege und Flächen mit unsrer alten deutschen Meile und Quadratmeile nicht aufnehmen können. Aber die Kongreßschwätzer unter unsern Professoren der Geodäsie, Geographie n. s. w. haben es dahin gebracht, daß eiligst der Anschluß an die französisch¬ revolutionäre Einheit und Gleichheit dekretirt wurde. Die Engländer haben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/446>, abgerufen am 08.01.2025.