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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Auf der Rundfahrt

Teuerkcit des Reifens in der Hochsaisvn hat also für dieses Jahr die Erbärm¬
lichkeit des Geschäftsganges ein wenig abgeholfen. Teuer genug bleibt es aber
immer noch im nordöstlichen Teile des lieben Vaterlandes, wo der etwaige
solide Preis gewöhnlich durch die schlechte Beschaffenheit der Zimmer, Betten
und Speisen aufgewogen wird. Gegenden, wo man für billiges Geld etwas
gutes bekommt, soll es allerdings auch heute noch in der Welt geben, aber
wer sie kennt, der hütet sich weislich, sie zu nennen.

Wenn in Berlin die Preise für Wohnung und Kost stetig in die Höhe
gehn und jetzt weit hoher sind als noch vor zehn Jahren, so kommt das nicht
von zunehmender Lebhaftigkeit des Fremdenverkehrs, sondern von dem lawinen¬
artigen Anschwellen der Einwohnerschaft, das den Bodenpreis zu schwindelnder
Höhe emportreibt. Ein Berliner Hausbesitzer sagte mir, daß in der Friedrich¬
stadt die Quadratrute mit fünfundzwanzigtausend Mark bezahlt würde. Wenn
sich der gute Maun nicht um eine Null geirrt hat, so würde also der Qua¬
dratfuß zweihundertfunfzig Mark gelten; dafür bekommt man schon einen Qua¬
dratfuß Goldblech. Daß bei diesem Preise des Baugrundes die Gastwirte und
Ladeninhaber unverschämt scheinende Preise fordern müssen und trotzdem keine
glänzenden Geschäfte machen, sieht jedermann ein. Aller Arbeitsverdienst und
alle Ersparnisse von Hunderttausenden fließen den boleti xv8Liäentö8 zu, die
durch den Zufall der Geburt vor 1870 schon in Berlin Grundbesitzer waren,
oder die durch geschickte und glückliche Spekulation rechtzeitig zu Grundbesitz
gekommen sind.

Besagter Hausbesitzer ist natürlich eifriges Mitglied des Hciusbesitzer-
vereins und schwärmt für zwei Dinge: als Hausbesitzer für die Kafernirnng
der Prostitution und als Berliner Philister für Ahlwardt. In ersterer Be¬
ziehung teilte er einen Fall mit, wo ein Hausbesitzer, der gar nicht in Berlin
wohnt und schlechterdings nicht weiß, was in seinem Hause vorgeht, wegen
Kuppelei verurteilt worden sei. Bekanntlich fordert der Hausbcsitzervereiu von
seinen Mitgliedern, daß sie kein unter Kontrolle stehendes Mädchen aufnehmen,
die Polizei aber verweigert die Auskunft darüber, ob eine Frauensperson unter
Kontrolle stehe oder nicht, um, wie es in einem Bescheide heißt, diesen Per¬
sonen das Wohnungfiuden nicht noch mehr zu erschweren. Ich habe nun dem
Herrn geraten, er soll dem Hausbesitzervereiu vorschlagen, auf Grund dieser
Motivirung der Auskunftsverweigerung den Polizeipräsidenten wegen Kuppelei
zu verklagen, dann wird wohl die blinde Justitia Augen kriegen und die heikle
Frage in einer der beiden möglichen Weisen entscheiden. Will man sich zu
keiner von beiden entschließen, dann wird nichts übrig bleiben, als daß der
Staat sür diese Personen Luftballons anschafft, in denen sie dann wohnen
und zweimal wöchentlich zu der vorgeschriebnen ärztlichen Untersuchung schweben
müßten. Was Ahlwardt anlangt, so behauptete mein Philister steif und fest,
alles, was dieser Ehrenmann erzähle, sei wahr, und alles, was die Zeitungen


Auf der Rundfahrt

Teuerkcit des Reifens in der Hochsaisvn hat also für dieses Jahr die Erbärm¬
lichkeit des Geschäftsganges ein wenig abgeholfen. Teuer genug bleibt es aber
immer noch im nordöstlichen Teile des lieben Vaterlandes, wo der etwaige
solide Preis gewöhnlich durch die schlechte Beschaffenheit der Zimmer, Betten
und Speisen aufgewogen wird. Gegenden, wo man für billiges Geld etwas
gutes bekommt, soll es allerdings auch heute noch in der Welt geben, aber
wer sie kennt, der hütet sich weislich, sie zu nennen.

Wenn in Berlin die Preise für Wohnung und Kost stetig in die Höhe
gehn und jetzt weit hoher sind als noch vor zehn Jahren, so kommt das nicht
von zunehmender Lebhaftigkeit des Fremdenverkehrs, sondern von dem lawinen¬
artigen Anschwellen der Einwohnerschaft, das den Bodenpreis zu schwindelnder
Höhe emportreibt. Ein Berliner Hausbesitzer sagte mir, daß in der Friedrich¬
stadt die Quadratrute mit fünfundzwanzigtausend Mark bezahlt würde. Wenn
sich der gute Maun nicht um eine Null geirrt hat, so würde also der Qua¬
dratfuß zweihundertfunfzig Mark gelten; dafür bekommt man schon einen Qua¬
dratfuß Goldblech. Daß bei diesem Preise des Baugrundes die Gastwirte und
Ladeninhaber unverschämt scheinende Preise fordern müssen und trotzdem keine
glänzenden Geschäfte machen, sieht jedermann ein. Aller Arbeitsverdienst und
alle Ersparnisse von Hunderttausenden fließen den boleti xv8Liäentö8 zu, die
durch den Zufall der Geburt vor 1870 schon in Berlin Grundbesitzer waren,
oder die durch geschickte und glückliche Spekulation rechtzeitig zu Grundbesitz
gekommen sind.

Besagter Hausbesitzer ist natürlich eifriges Mitglied des Hciusbesitzer-
vereins und schwärmt für zwei Dinge: als Hausbesitzer für die Kafernirnng
der Prostitution und als Berliner Philister für Ahlwardt. In ersterer Be¬
ziehung teilte er einen Fall mit, wo ein Hausbesitzer, der gar nicht in Berlin
wohnt und schlechterdings nicht weiß, was in seinem Hause vorgeht, wegen
Kuppelei verurteilt worden sei. Bekanntlich fordert der Hausbcsitzervereiu von
seinen Mitgliedern, daß sie kein unter Kontrolle stehendes Mädchen aufnehmen,
die Polizei aber verweigert die Auskunft darüber, ob eine Frauensperson unter
Kontrolle stehe oder nicht, um, wie es in einem Bescheide heißt, diesen Per¬
sonen das Wohnungfiuden nicht noch mehr zu erschweren. Ich habe nun dem
Herrn geraten, er soll dem Hausbesitzervereiu vorschlagen, auf Grund dieser
Motivirung der Auskunftsverweigerung den Polizeipräsidenten wegen Kuppelei
zu verklagen, dann wird wohl die blinde Justitia Augen kriegen und die heikle
Frage in einer der beiden möglichen Weisen entscheiden. Will man sich zu
keiner von beiden entschließen, dann wird nichts übrig bleiben, als daß der
Staat sür diese Personen Luftballons anschafft, in denen sie dann wohnen
und zweimal wöchentlich zu der vorgeschriebnen ärztlichen Untersuchung schweben
müßten. Was Ahlwardt anlangt, so behauptete mein Philister steif und fest,
alles, was dieser Ehrenmann erzähle, sei wahr, und alles, was die Zeitungen


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[0422] Auf der Rundfahrt Teuerkcit des Reifens in der Hochsaisvn hat also für dieses Jahr die Erbärm¬ lichkeit des Geschäftsganges ein wenig abgeholfen. Teuer genug bleibt es aber immer noch im nordöstlichen Teile des lieben Vaterlandes, wo der etwaige solide Preis gewöhnlich durch die schlechte Beschaffenheit der Zimmer, Betten und Speisen aufgewogen wird. Gegenden, wo man für billiges Geld etwas gutes bekommt, soll es allerdings auch heute noch in der Welt geben, aber wer sie kennt, der hütet sich weislich, sie zu nennen. Wenn in Berlin die Preise für Wohnung und Kost stetig in die Höhe gehn und jetzt weit hoher sind als noch vor zehn Jahren, so kommt das nicht von zunehmender Lebhaftigkeit des Fremdenverkehrs, sondern von dem lawinen¬ artigen Anschwellen der Einwohnerschaft, das den Bodenpreis zu schwindelnder Höhe emportreibt. Ein Berliner Hausbesitzer sagte mir, daß in der Friedrich¬ stadt die Quadratrute mit fünfundzwanzigtausend Mark bezahlt würde. Wenn sich der gute Maun nicht um eine Null geirrt hat, so würde also der Qua¬ dratfuß zweihundertfunfzig Mark gelten; dafür bekommt man schon einen Qua¬ dratfuß Goldblech. Daß bei diesem Preise des Baugrundes die Gastwirte und Ladeninhaber unverschämt scheinende Preise fordern müssen und trotzdem keine glänzenden Geschäfte machen, sieht jedermann ein. Aller Arbeitsverdienst und alle Ersparnisse von Hunderttausenden fließen den boleti xv8Liäentö8 zu, die durch den Zufall der Geburt vor 1870 schon in Berlin Grundbesitzer waren, oder die durch geschickte und glückliche Spekulation rechtzeitig zu Grundbesitz gekommen sind. Besagter Hausbesitzer ist natürlich eifriges Mitglied des Hciusbesitzer- vereins und schwärmt für zwei Dinge: als Hausbesitzer für die Kafernirnng der Prostitution und als Berliner Philister für Ahlwardt. In ersterer Be¬ ziehung teilte er einen Fall mit, wo ein Hausbesitzer, der gar nicht in Berlin wohnt und schlechterdings nicht weiß, was in seinem Hause vorgeht, wegen Kuppelei verurteilt worden sei. Bekanntlich fordert der Hausbcsitzervereiu von seinen Mitgliedern, daß sie kein unter Kontrolle stehendes Mädchen aufnehmen, die Polizei aber verweigert die Auskunft darüber, ob eine Frauensperson unter Kontrolle stehe oder nicht, um, wie es in einem Bescheide heißt, diesen Per¬ sonen das Wohnungfiuden nicht noch mehr zu erschweren. Ich habe nun dem Herrn geraten, er soll dem Hausbesitzervereiu vorschlagen, auf Grund dieser Motivirung der Auskunftsverweigerung den Polizeipräsidenten wegen Kuppelei zu verklagen, dann wird wohl die blinde Justitia Augen kriegen und die heikle Frage in einer der beiden möglichen Weisen entscheiden. Will man sich zu keiner von beiden entschließen, dann wird nichts übrig bleiben, als daß der Staat sür diese Personen Luftballons anschafft, in denen sie dann wohnen und zweimal wöchentlich zu der vorgeschriebnen ärztlichen Untersuchung schweben müßten. Was Ahlwardt anlangt, so behauptete mein Philister steif und fest, alles, was dieser Ehrenmann erzähle, sei wahr, und alles, was die Zeitungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/422>, abgerufen am 08.01.2025.