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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Die Handelspolitik unsers Icchrhunderts

Agrarier gegen die Eisenzölle vergegenwärtigt, der wird für ihre heutigen Be¬
weisführungen -- vielleicht dürfen wir schon sagen gestrigen -- nur ein
Lächeln haben. Wie heute mit Schutzzoll und billigem Silber, so sollten da¬
mals alle wirklichen und vorgeblichen Leiden der "Landwirtschaft" mit Frei¬
handel und billigem Eisen kurirt werden.

Für die Schwenkung im Jahre 1879 war ja freilich Grund genug vor¬
handen. Auf dem Londoner Gctreidemarkte waren die preußischen Großgrund-
besitzer von ihren russischen Konkurrenten geschlagen worden, denen sich bald
auch die amerikanischen zugesellten, und die von der überseeischen Konkurrenz
herabgedrückten Getreidepreise Päßler sehr schlecht zu den hohen Gutspreiscu,
die in den teuern fünfziger Jahren gezahlt worden waren. Und da jetzt hohe
Getreidepreise viel wichtiger waren als billiges Eisen, das man nach dem
.Krach auch noch beim höchsten Schutzzoll haben konnte, so war es natürlich
genug, daß die Agrarier, nachdem kaum ihre Eisenfresserreden verhallt waren,
mit den Eisenindustriellen ihre Schutzzollschachergeschüstchen machten. Wenn
die Herren, sagte der Abgeordnete Flügge bei der Zolldebatte von 1879, "hier
in der Kulisse des Hauses gewesen sind vor der Verhandlung über die Eisen¬
zölle, so ist es ihnen vielleicht ergangen wie mir, wenn ich die ehrlichen Makler
einhergehen sah; der eine bot: geben Sie fünfzig für Roggen, gebe ich den
vollen Eisenzoll, oder verwerfen Sie das von Wedellsche Amendement, so gebe
ich Ihnen den Roggen u. s. w. Meine Herren, man zweifelte mitunter, man
mußte sich besinnen, daß man sich an der Leipziger Straße befand und nicht
etwa in einer sonst sehr achtbaren Versammlung an der Burgstraße." Vom
Standpunkte der Interessenpolitik also ist gegen diese Schwenkung der Agrarier
nicht das geringste einzuwenden, nur mit ihrem patriotischen, sittlichen und
sonstigen Pathos sollen sie und alle andern Jnteressenpolitiler uns vom Leibe
bleiben.

Was das Interesse der Gesamtheit oder genauer gesagt der Mehrheit der
Bevölkerung anlangt, so ist das in allen diesen Wechseln, wenn auch vielleicht
nicht gerade ausnehmend schlecht, so doch gewiß mich nicht besonders gut ge¬
fahren. Man hat Freihandel getrieben zu einer Zeit, wo der Schutzzoll nichts
geschadet hätte und teilweise sogar uoch nützlich gewesen wäre, man hat gegen
alle Mahnungen der Sachverständigen den letzten Eisenzoll weggeräumt in
einem Augenblicke, wo die schwere Krisis der Eisenindustrie durch einen mäßigen
Schutzzoll hätte gemildert werden können, und man hat die Agrarzölle in einer
Zeit, wo der beginnende Brot- und Fleischmangel ihre völlige Aufhebung ge¬
rechtfertigt haben würde, unmäßig erhöht. Der Regierung dient dabei der
Umstand zur Entschuldigung, daß sie sich in Zollfragen fast niemals von rein
volkswirtschaftlichen Erwägungen leiten lassen durfte. Wurde Preußen zur
Zeit des Bundes durch den Gegensatz zu Österreich auf die Seite des Frei¬
handels gedrängt, so bildete dieser dann später, als die Freihändler ihre Sache


Die Handelspolitik unsers Icchrhunderts

Agrarier gegen die Eisenzölle vergegenwärtigt, der wird für ihre heutigen Be¬
weisführungen — vielleicht dürfen wir schon sagen gestrigen — nur ein
Lächeln haben. Wie heute mit Schutzzoll und billigem Silber, so sollten da¬
mals alle wirklichen und vorgeblichen Leiden der „Landwirtschaft" mit Frei¬
handel und billigem Eisen kurirt werden.

Für die Schwenkung im Jahre 1879 war ja freilich Grund genug vor¬
handen. Auf dem Londoner Gctreidemarkte waren die preußischen Großgrund-
besitzer von ihren russischen Konkurrenten geschlagen worden, denen sich bald
auch die amerikanischen zugesellten, und die von der überseeischen Konkurrenz
herabgedrückten Getreidepreise Päßler sehr schlecht zu den hohen Gutspreiscu,
die in den teuern fünfziger Jahren gezahlt worden waren. Und da jetzt hohe
Getreidepreise viel wichtiger waren als billiges Eisen, das man nach dem
.Krach auch noch beim höchsten Schutzzoll haben konnte, so war es natürlich
genug, daß die Agrarier, nachdem kaum ihre Eisenfresserreden verhallt waren,
mit den Eisenindustriellen ihre Schutzzollschachergeschüstchen machten. Wenn
die Herren, sagte der Abgeordnete Flügge bei der Zolldebatte von 1879, „hier
in der Kulisse des Hauses gewesen sind vor der Verhandlung über die Eisen¬
zölle, so ist es ihnen vielleicht ergangen wie mir, wenn ich die ehrlichen Makler
einhergehen sah; der eine bot: geben Sie fünfzig für Roggen, gebe ich den
vollen Eisenzoll, oder verwerfen Sie das von Wedellsche Amendement, so gebe
ich Ihnen den Roggen u. s. w. Meine Herren, man zweifelte mitunter, man
mußte sich besinnen, daß man sich an der Leipziger Straße befand und nicht
etwa in einer sonst sehr achtbaren Versammlung an der Burgstraße." Vom
Standpunkte der Interessenpolitik also ist gegen diese Schwenkung der Agrarier
nicht das geringste einzuwenden, nur mit ihrem patriotischen, sittlichen und
sonstigen Pathos sollen sie und alle andern Jnteressenpolitiler uns vom Leibe
bleiben.

Was das Interesse der Gesamtheit oder genauer gesagt der Mehrheit der
Bevölkerung anlangt, so ist das in allen diesen Wechseln, wenn auch vielleicht
nicht gerade ausnehmend schlecht, so doch gewiß mich nicht besonders gut ge¬
fahren. Man hat Freihandel getrieben zu einer Zeit, wo der Schutzzoll nichts
geschadet hätte und teilweise sogar uoch nützlich gewesen wäre, man hat gegen
alle Mahnungen der Sachverständigen den letzten Eisenzoll weggeräumt in
einem Augenblicke, wo die schwere Krisis der Eisenindustrie durch einen mäßigen
Schutzzoll hätte gemildert werden können, und man hat die Agrarzölle in einer
Zeit, wo der beginnende Brot- und Fleischmangel ihre völlige Aufhebung ge¬
rechtfertigt haben würde, unmäßig erhöht. Der Regierung dient dabei der
Umstand zur Entschuldigung, daß sie sich in Zollfragen fast niemals von rein
volkswirtschaftlichen Erwägungen leiten lassen durfte. Wurde Preußen zur
Zeit des Bundes durch den Gegensatz zu Österreich auf die Seite des Frei¬
handels gedrängt, so bildete dieser dann später, als die Freihändler ihre Sache


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[0410] Die Handelspolitik unsers Icchrhunderts Agrarier gegen die Eisenzölle vergegenwärtigt, der wird für ihre heutigen Be¬ weisführungen — vielleicht dürfen wir schon sagen gestrigen — nur ein Lächeln haben. Wie heute mit Schutzzoll und billigem Silber, so sollten da¬ mals alle wirklichen und vorgeblichen Leiden der „Landwirtschaft" mit Frei¬ handel und billigem Eisen kurirt werden. Für die Schwenkung im Jahre 1879 war ja freilich Grund genug vor¬ handen. Auf dem Londoner Gctreidemarkte waren die preußischen Großgrund- besitzer von ihren russischen Konkurrenten geschlagen worden, denen sich bald auch die amerikanischen zugesellten, und die von der überseeischen Konkurrenz herabgedrückten Getreidepreise Päßler sehr schlecht zu den hohen Gutspreiscu, die in den teuern fünfziger Jahren gezahlt worden waren. Und da jetzt hohe Getreidepreise viel wichtiger waren als billiges Eisen, das man nach dem .Krach auch noch beim höchsten Schutzzoll haben konnte, so war es natürlich genug, daß die Agrarier, nachdem kaum ihre Eisenfresserreden verhallt waren, mit den Eisenindustriellen ihre Schutzzollschachergeschüstchen machten. Wenn die Herren, sagte der Abgeordnete Flügge bei der Zolldebatte von 1879, „hier in der Kulisse des Hauses gewesen sind vor der Verhandlung über die Eisen¬ zölle, so ist es ihnen vielleicht ergangen wie mir, wenn ich die ehrlichen Makler einhergehen sah; der eine bot: geben Sie fünfzig für Roggen, gebe ich den vollen Eisenzoll, oder verwerfen Sie das von Wedellsche Amendement, so gebe ich Ihnen den Roggen u. s. w. Meine Herren, man zweifelte mitunter, man mußte sich besinnen, daß man sich an der Leipziger Straße befand und nicht etwa in einer sonst sehr achtbaren Versammlung an der Burgstraße." Vom Standpunkte der Interessenpolitik also ist gegen diese Schwenkung der Agrarier nicht das geringste einzuwenden, nur mit ihrem patriotischen, sittlichen und sonstigen Pathos sollen sie und alle andern Jnteressenpolitiler uns vom Leibe bleiben. Was das Interesse der Gesamtheit oder genauer gesagt der Mehrheit der Bevölkerung anlangt, so ist das in allen diesen Wechseln, wenn auch vielleicht nicht gerade ausnehmend schlecht, so doch gewiß mich nicht besonders gut ge¬ fahren. Man hat Freihandel getrieben zu einer Zeit, wo der Schutzzoll nichts geschadet hätte und teilweise sogar uoch nützlich gewesen wäre, man hat gegen alle Mahnungen der Sachverständigen den letzten Eisenzoll weggeräumt in einem Augenblicke, wo die schwere Krisis der Eisenindustrie durch einen mäßigen Schutzzoll hätte gemildert werden können, und man hat die Agrarzölle in einer Zeit, wo der beginnende Brot- und Fleischmangel ihre völlige Aufhebung ge¬ rechtfertigt haben würde, unmäßig erhöht. Der Regierung dient dabei der Umstand zur Entschuldigung, daß sie sich in Zollfragen fast niemals von rein volkswirtschaftlichen Erwägungen leiten lassen durfte. Wurde Preußen zur Zeit des Bundes durch den Gegensatz zu Österreich auf die Seite des Frei¬ handels gedrängt, so bildete dieser dann später, als die Freihändler ihre Sache

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/410>, abgerufen am 08.01.2025.