Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.T>le Handelspolitik unsers Jahrhunderts summt, für den man in Deutschland den Freihandel anstrebte, ist der Beamte Wir unserseits sind schon lange so weit, daß wir uns durch einen Rummel Grenzboten 111 1892 !it
T>le Handelspolitik unsers Jahrhunderts summt, für den man in Deutschland den Freihandel anstrebte, ist der Beamte Wir unserseits sind schon lange so weit, daß wir uns durch einen Rummel Grenzboten 111 1892 !it
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0409" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212885"/> <fw type="header" place="top"> T>le Handelspolitik unsers Jahrhunderts</fw><lb/> <p xml:id="ID_1365" prev="#ID_1364"> summt, für den man in Deutschland den Freihandel anstrebte, ist der Beamte<lb/> und Kleinbürger, der billige Kleider, der Großgrundbesitzer, der wohlfeile land¬<lb/> wirtschaftliche Maschinen und womöglich auch billigen Rotwein wünscht, der<lb/> schwächliche Hausweber und Strumpfwirker, der durch wohlfeilern Garneinkcmf<lb/> seine kümmerliche Existenz einige Jahre länger zu fristen hofft. Die Koalition<lb/> der deutschen Freihändler von 1862 bis 1875 ist aus heterogenen Elementen zu¬<lb/> sammengesetzt. Sie hat nicht in erster Linie die Großindustriellen und die<lb/> Arbeiterklasse zu Vorkämpfern. Die Wortführer sind persönlich von der abso¬<lb/> luten Richtigkeit des Freihandelsdvgmas überzeugte Schriftsteller und Parla¬<lb/> mentarier. Ihre Hilfstruppen sind erstens der deutsche Handel, zweitens der<lb/> Liberalismus, drittens die norddeutsche Landwirtschaft. Die Organisation, in<lb/> welcher um die Wende der fünfziger und sechziger Jahre die Wortführer des<lb/> Freihandels sich zusammenschließe,!, ist der Kongreß deutscher Volkswirte."</p><lb/> <p xml:id="ID_1366" next="#ID_1367"> Wir unserseits sind schon lange so weit, daß wir uns durch einen Rummel<lb/> oder boon, weder verblüffen noch fortreißen lassen, daß uns in solchen stür¬<lb/> mischen Bewegungen weder eine große Autorität imponirt, noch der Ruf<lb/> schreckt: Das Vaterland ist in Gefahr, daß wir vielmehr kaltblütig den Gegen¬<lb/> stand der Aufregung prüfen. Wer noch nicht so weit sein sollte, der wird,<lb/> wenn er die Schrift von Lotz liest, vollends dahin kommen. Während der<lb/> freihändlerische Doktrinarismus der Liberalen als ein vom wirklichen Leben<lb/> abgelöstes fleisch- und blutloses Gespenst nur öde und langweilig aussieht,<lb/> wirkt die feurige Begeisterung der Agrarier zuerst für den Freihandel und<lb/> daun für den Schutzzoll geradezu hochkomisch. Schon im Jahre 1848 hatten<lb/> sämtliche landwirtschaftlichen Vereine Sachsens eine Denkschrift gegen alle Schutz¬<lb/> zölle bei der Frankfurter Nationalversammlung eingereicht, weil ihnen die durch<lb/> Schutzzölle begünstigte Industrie die Arbeiter abspenstig mache. Und als 1870<lb/> der Tarif im freihändlerischen Sinne reformirt wurde, geberdeten sich die<lb/> Agrarier am radikalsten und forderten ein viel schnelleres Tempo im Auf¬<lb/> räumen mit Zöllen. Im Zollparlcuneut erklärte ein norddeutscher Gutsbesitzer:<lb/> weil er konservativ sei, so sei er natürlicherweise auch Freihändler. Niendorf,<lb/> der spätere Vorkämpfer des Schutzzolls, bekämpfte am leidenschaftlichsten im<lb/> agrarischen Interesse den Eisenzoll; „unverschämte" Freihändler nannten sich<lb/> seine Mannen im Unterschiede von den gemäßigten Freihändlern aus dem<lb/> Handels- und Gewerbestande. Im schönen Monat Mai l873, in dem Monat<lb/> des Wiener Börsenkrachs, beantragten die Abgeordneten von Behr und Ge¬<lb/> nossen die völlige Aufhebung fast aller Eisenzölle. Nehmen Sie, sagte Herr<lb/> von Behr in seiner Rede, „vor allem die Versicherung entgegen, daß mir<lb/> nichts ferner liegt, als Ihnen die Notwendigkeit der Aufhebung der Eisenzölle<lb/> beweisen zu wollen; Axiome, meine Herren, beweist man nicht." Es war da¬<lb/> mals, sagt der Verfasser, als ob das deutsche Volk nicht ans Brvtessern, son¬<lb/> dern aus lauter Eiseufresseru bestanden hätte. Wer sich die Agitation der</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten 111 1892 !it</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0409]
T>le Handelspolitik unsers Jahrhunderts
summt, für den man in Deutschland den Freihandel anstrebte, ist der Beamte
und Kleinbürger, der billige Kleider, der Großgrundbesitzer, der wohlfeile land¬
wirtschaftliche Maschinen und womöglich auch billigen Rotwein wünscht, der
schwächliche Hausweber und Strumpfwirker, der durch wohlfeilern Garneinkcmf
seine kümmerliche Existenz einige Jahre länger zu fristen hofft. Die Koalition
der deutschen Freihändler von 1862 bis 1875 ist aus heterogenen Elementen zu¬
sammengesetzt. Sie hat nicht in erster Linie die Großindustriellen und die
Arbeiterklasse zu Vorkämpfern. Die Wortführer sind persönlich von der abso¬
luten Richtigkeit des Freihandelsdvgmas überzeugte Schriftsteller und Parla¬
mentarier. Ihre Hilfstruppen sind erstens der deutsche Handel, zweitens der
Liberalismus, drittens die norddeutsche Landwirtschaft. Die Organisation, in
welcher um die Wende der fünfziger und sechziger Jahre die Wortführer des
Freihandels sich zusammenschließe,!, ist der Kongreß deutscher Volkswirte."
Wir unserseits sind schon lange so weit, daß wir uns durch einen Rummel
oder boon, weder verblüffen noch fortreißen lassen, daß uns in solchen stür¬
mischen Bewegungen weder eine große Autorität imponirt, noch der Ruf
schreckt: Das Vaterland ist in Gefahr, daß wir vielmehr kaltblütig den Gegen¬
stand der Aufregung prüfen. Wer noch nicht so weit sein sollte, der wird,
wenn er die Schrift von Lotz liest, vollends dahin kommen. Während der
freihändlerische Doktrinarismus der Liberalen als ein vom wirklichen Leben
abgelöstes fleisch- und blutloses Gespenst nur öde und langweilig aussieht,
wirkt die feurige Begeisterung der Agrarier zuerst für den Freihandel und
daun für den Schutzzoll geradezu hochkomisch. Schon im Jahre 1848 hatten
sämtliche landwirtschaftlichen Vereine Sachsens eine Denkschrift gegen alle Schutz¬
zölle bei der Frankfurter Nationalversammlung eingereicht, weil ihnen die durch
Schutzzölle begünstigte Industrie die Arbeiter abspenstig mache. Und als 1870
der Tarif im freihändlerischen Sinne reformirt wurde, geberdeten sich die
Agrarier am radikalsten und forderten ein viel schnelleres Tempo im Auf¬
räumen mit Zöllen. Im Zollparlcuneut erklärte ein norddeutscher Gutsbesitzer:
weil er konservativ sei, so sei er natürlicherweise auch Freihändler. Niendorf,
der spätere Vorkämpfer des Schutzzolls, bekämpfte am leidenschaftlichsten im
agrarischen Interesse den Eisenzoll; „unverschämte" Freihändler nannten sich
seine Mannen im Unterschiede von den gemäßigten Freihändlern aus dem
Handels- und Gewerbestande. Im schönen Monat Mai l873, in dem Monat
des Wiener Börsenkrachs, beantragten die Abgeordneten von Behr und Ge¬
nossen die völlige Aufhebung fast aller Eisenzölle. Nehmen Sie, sagte Herr
von Behr in seiner Rede, „vor allem die Versicherung entgegen, daß mir
nichts ferner liegt, als Ihnen die Notwendigkeit der Aufhebung der Eisenzölle
beweisen zu wollen; Axiome, meine Herren, beweist man nicht." Es war da¬
mals, sagt der Verfasser, als ob das deutsche Volk nicht ans Brvtessern, son¬
dern aus lauter Eiseufresseru bestanden hätte. Wer sich die Agitation der
Grenzboten 111 1892 !it
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