Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Weltgeschichte in Hinterwinkel

An diesem jungen Füllentoni zappelte alles. Jedesmal, wenn er ein
Seil legte, bückte er sich bis auf den Boden, um es schön "kerzengerade" aus¬
zustrecken, und er that das auf eine Art, als ob er das Strohbaud dabei
streichelt? und liebkosen wollte. Ich verhielt mich viel kälter gegen die störrigen
Strohzvpfe. Das Bücken erachtete ich für höchst überflüssig; ich ergriff mein
Seil an dem einen Ende, warf mit einem zierlichen Schwung das andre Ende, so
laug es war, vor mir hinaus auf den Boden und ließ den festgehaltnen Zipfel
zu meinen Füßen niedergleiten. Das Strohband kam so nicht immer in eine
mathematisch gerade Streckung, es bildete vielmehr zur Abwechslung bald eine
Kurve, bald einen mehr oder weniger stumpfen Winkel. Aber ich sah darin
kein Unglück.

Der alte Füllentvni sagte lange nichts, aber er warf mir wütende Blicke
zu. Endlich konnte ers nicht mehr verbeißen. Kerl, dir kaun man nicht zu¬
sehen! stieß er zwischen den Zähnen hervor. Ruhr dich jetzt besser, oder ich
jag dich zum Kuckuck.

Ich konnte den Zorn des Bauern nicht begreifen. Wenn ein Band bereit
lag, so oft die Mägde dessen bedurften, mehr konnte er doch nicht verlangen,
meinte ich, und es konnte ihm gleich sein, ob ich mich dabei mehr oder weniger
"rührte." Ich ließ mich deshalb nicht aus meiner Art bringen; ich hatte
noch andres zu thun, als Strohseile zu legen. Die Lerchen schmetterten über
mir im wolkenlos blauen Himmel, und ich mußte, wenigstens von Zeit zu Zeit,
auf sie hören. Sie waren ja meine Kolleginnen; ich dachte, wenn ich es nur
auf meiner Klarinette so gut könnte, oder gar uns der Geige, denn anßer
der Schneiderei und dem Geishüten und außer meinen Lateinstudien pflegte
ich damals auch die Musik, auf der Klarinette beim Paten Rothermund
und auf der Geige beim Schulmeister Langbein. Und die Lerchen waren
so glücklich! Sie durften musiziren, wie sie wollten, ihnen sprach niemand
von brotloser Kunst; sie brauchten nicht zu mähen und auch keine Strvh-
bänder zu legen. Und weiter drüben im Felde, inmitten noch unberührter
Saaten von silbergrcinem Spelz und dunkel goldbraunem Stachelweizen, lag
eine Steinmauer von hoher Hecke umschlossen, von einem alten Nußbaum über¬
schattet. Und auf dem Nußbaum saß ein Hähervogel, Herr Marquart, wie
er bei den alten Dichtern heißt, und rief in einem fort: Komm her, komm
her! Ich konnte nicht hinkommen, aber ich mußte oft zu ihm hinübersehen.
Es half nichts, daß der Füllentoni mir immer grimmigere Blicke zuwarf,
-^es sehe den Bauern noch heute vor mir, sehe ihn die Zähne fletschen, indem
^ auf die Garbe kniet und das Strohband anzieht, sehe ihn seine Augen starr
auf mich richten, während er anhält und eine Prise nimmt.

Eigentlich gab er mir kein gutes Beispiel; denn er schnupfte ein wenig
v>t, fast wie der alte Fritz, aller drei Garben, nur ans der Dose statt aus
der Westentasche. Aber einen Kopf hatte er, den man so leicht nicht vergißt,


Grenzboten III 1392 47
Weltgeschichte in Hinterwinkel

An diesem jungen Füllentoni zappelte alles. Jedesmal, wenn er ein
Seil legte, bückte er sich bis auf den Boden, um es schön „kerzengerade" aus¬
zustrecken, und er that das auf eine Art, als ob er das Strohbaud dabei
streichelt? und liebkosen wollte. Ich verhielt mich viel kälter gegen die störrigen
Strohzvpfe. Das Bücken erachtete ich für höchst überflüssig; ich ergriff mein
Seil an dem einen Ende, warf mit einem zierlichen Schwung das andre Ende, so
laug es war, vor mir hinaus auf den Boden und ließ den festgehaltnen Zipfel
zu meinen Füßen niedergleiten. Das Strohband kam so nicht immer in eine
mathematisch gerade Streckung, es bildete vielmehr zur Abwechslung bald eine
Kurve, bald einen mehr oder weniger stumpfen Winkel. Aber ich sah darin
kein Unglück.

Der alte Füllentvni sagte lange nichts, aber er warf mir wütende Blicke
zu. Endlich konnte ers nicht mehr verbeißen. Kerl, dir kaun man nicht zu¬
sehen! stieß er zwischen den Zähnen hervor. Ruhr dich jetzt besser, oder ich
jag dich zum Kuckuck.

Ich konnte den Zorn des Bauern nicht begreifen. Wenn ein Band bereit
lag, so oft die Mägde dessen bedurften, mehr konnte er doch nicht verlangen,
meinte ich, und es konnte ihm gleich sein, ob ich mich dabei mehr oder weniger
„rührte." Ich ließ mich deshalb nicht aus meiner Art bringen; ich hatte
noch andres zu thun, als Strohseile zu legen. Die Lerchen schmetterten über
mir im wolkenlos blauen Himmel, und ich mußte, wenigstens von Zeit zu Zeit,
auf sie hören. Sie waren ja meine Kolleginnen; ich dachte, wenn ich es nur
auf meiner Klarinette so gut könnte, oder gar uns der Geige, denn anßer
der Schneiderei und dem Geishüten und außer meinen Lateinstudien pflegte
ich damals auch die Musik, auf der Klarinette beim Paten Rothermund
und auf der Geige beim Schulmeister Langbein. Und die Lerchen waren
so glücklich! Sie durften musiziren, wie sie wollten, ihnen sprach niemand
von brotloser Kunst; sie brauchten nicht zu mähen und auch keine Strvh-
bänder zu legen. Und weiter drüben im Felde, inmitten noch unberührter
Saaten von silbergrcinem Spelz und dunkel goldbraunem Stachelweizen, lag
eine Steinmauer von hoher Hecke umschlossen, von einem alten Nußbaum über¬
schattet. Und auf dem Nußbaum saß ein Hähervogel, Herr Marquart, wie
er bei den alten Dichtern heißt, und rief in einem fort: Komm her, komm
her! Ich konnte nicht hinkommen, aber ich mußte oft zu ihm hinübersehen.
Es half nichts, daß der Füllentoni mir immer grimmigere Blicke zuwarf,
-^es sehe den Bauern noch heute vor mir, sehe ihn die Zähne fletschen, indem
^ auf die Garbe kniet und das Strohband anzieht, sehe ihn seine Augen starr
auf mich richten, während er anhält und eine Prise nimmt.

Eigentlich gab er mir kein gutes Beispiel; denn er schnupfte ein wenig
v>t, fast wie der alte Fritz, aller drei Garben, nur ans der Dose statt aus
der Westentasche. Aber einen Kopf hatte er, den man so leicht nicht vergißt,


Grenzboten III 1392 47
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0377" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212853"/>
          <fw type="header" place="top"> Weltgeschichte in Hinterwinkel</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1257"> An diesem jungen Füllentoni zappelte alles. Jedesmal, wenn er ein<lb/>
Seil legte, bückte er sich bis auf den Boden, um es schön &#x201E;kerzengerade" aus¬<lb/>
zustrecken, und er that das auf eine Art, als ob er das Strohbaud dabei<lb/>
streichelt? und liebkosen wollte. Ich verhielt mich viel kälter gegen die störrigen<lb/>
Strohzvpfe. Das Bücken erachtete ich für höchst überflüssig; ich ergriff mein<lb/>
Seil an dem einen Ende, warf mit einem zierlichen Schwung das andre Ende, so<lb/>
laug es war, vor mir hinaus auf den Boden und ließ den festgehaltnen Zipfel<lb/>
zu meinen Füßen niedergleiten. Das Strohband kam so nicht immer in eine<lb/>
mathematisch gerade Streckung, es bildete vielmehr zur Abwechslung bald eine<lb/>
Kurve, bald einen mehr oder weniger stumpfen Winkel. Aber ich sah darin<lb/>
kein Unglück.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1258"> Der alte Füllentvni sagte lange nichts, aber er warf mir wütende Blicke<lb/>
zu. Endlich konnte ers nicht mehr verbeißen. Kerl, dir kaun man nicht zu¬<lb/>
sehen! stieß er zwischen den Zähnen hervor. Ruhr dich jetzt besser, oder ich<lb/>
jag dich zum Kuckuck.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1259"> Ich konnte den Zorn des Bauern nicht begreifen. Wenn ein Band bereit<lb/>
lag, so oft die Mägde dessen bedurften, mehr konnte er doch nicht verlangen,<lb/>
meinte ich, und es konnte ihm gleich sein, ob ich mich dabei mehr oder weniger<lb/>
&#x201E;rührte." Ich ließ mich deshalb nicht aus meiner Art bringen; ich hatte<lb/>
noch andres zu thun, als Strohseile zu legen. Die Lerchen schmetterten über<lb/>
mir im wolkenlos blauen Himmel, und ich mußte, wenigstens von Zeit zu Zeit,<lb/>
auf sie hören. Sie waren ja meine Kolleginnen; ich dachte, wenn ich es nur<lb/>
auf meiner Klarinette so gut könnte, oder gar uns der Geige, denn anßer<lb/>
der Schneiderei und dem Geishüten und außer meinen Lateinstudien pflegte<lb/>
ich damals auch die Musik, auf der Klarinette beim Paten Rothermund<lb/>
und auf der Geige beim Schulmeister Langbein. Und die Lerchen waren<lb/>
so glücklich! Sie durften musiziren, wie sie wollten, ihnen sprach niemand<lb/>
von brotloser Kunst; sie brauchten nicht zu mähen und auch keine Strvh-<lb/>
bänder zu legen. Und weiter drüben im Felde, inmitten noch unberührter<lb/>
Saaten von silbergrcinem Spelz und dunkel goldbraunem Stachelweizen, lag<lb/>
eine Steinmauer von hoher Hecke umschlossen, von einem alten Nußbaum über¬<lb/>
schattet. Und auf dem Nußbaum saß ein Hähervogel, Herr Marquart, wie<lb/>
er bei den alten Dichtern heißt, und rief in einem fort: Komm her, komm<lb/>
her! Ich konnte nicht hinkommen, aber ich mußte oft zu ihm hinübersehen.<lb/>
Es half nichts, daß der Füllentoni mir immer grimmigere Blicke zuwarf,<lb/>
-^es sehe den Bauern noch heute vor mir, sehe ihn die Zähne fletschen, indem<lb/>
^ auf die Garbe kniet und das Strohband anzieht, sehe ihn seine Augen starr<lb/>
auf mich richten, während er anhält und eine Prise nimmt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1260" next="#ID_1261"> Eigentlich gab er mir kein gutes Beispiel; denn er schnupfte ein wenig<lb/>
v&gt;t, fast wie der alte Fritz, aller drei Garben, nur ans der Dose statt aus<lb/>
der Westentasche.  Aber einen Kopf hatte er, den man so leicht nicht vergißt,</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1392 47</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0377] Weltgeschichte in Hinterwinkel An diesem jungen Füllentoni zappelte alles. Jedesmal, wenn er ein Seil legte, bückte er sich bis auf den Boden, um es schön „kerzengerade" aus¬ zustrecken, und er that das auf eine Art, als ob er das Strohbaud dabei streichelt? und liebkosen wollte. Ich verhielt mich viel kälter gegen die störrigen Strohzvpfe. Das Bücken erachtete ich für höchst überflüssig; ich ergriff mein Seil an dem einen Ende, warf mit einem zierlichen Schwung das andre Ende, so laug es war, vor mir hinaus auf den Boden und ließ den festgehaltnen Zipfel zu meinen Füßen niedergleiten. Das Strohband kam so nicht immer in eine mathematisch gerade Streckung, es bildete vielmehr zur Abwechslung bald eine Kurve, bald einen mehr oder weniger stumpfen Winkel. Aber ich sah darin kein Unglück. Der alte Füllentvni sagte lange nichts, aber er warf mir wütende Blicke zu. Endlich konnte ers nicht mehr verbeißen. Kerl, dir kaun man nicht zu¬ sehen! stieß er zwischen den Zähnen hervor. Ruhr dich jetzt besser, oder ich jag dich zum Kuckuck. Ich konnte den Zorn des Bauern nicht begreifen. Wenn ein Band bereit lag, so oft die Mägde dessen bedurften, mehr konnte er doch nicht verlangen, meinte ich, und es konnte ihm gleich sein, ob ich mich dabei mehr oder weniger „rührte." Ich ließ mich deshalb nicht aus meiner Art bringen; ich hatte noch andres zu thun, als Strohseile zu legen. Die Lerchen schmetterten über mir im wolkenlos blauen Himmel, und ich mußte, wenigstens von Zeit zu Zeit, auf sie hören. Sie waren ja meine Kolleginnen; ich dachte, wenn ich es nur auf meiner Klarinette so gut könnte, oder gar uns der Geige, denn anßer der Schneiderei und dem Geishüten und außer meinen Lateinstudien pflegte ich damals auch die Musik, auf der Klarinette beim Paten Rothermund und auf der Geige beim Schulmeister Langbein. Und die Lerchen waren so glücklich! Sie durften musiziren, wie sie wollten, ihnen sprach niemand von brotloser Kunst; sie brauchten nicht zu mähen und auch keine Strvh- bänder zu legen. Und weiter drüben im Felde, inmitten noch unberührter Saaten von silbergrcinem Spelz und dunkel goldbraunem Stachelweizen, lag eine Steinmauer von hoher Hecke umschlossen, von einem alten Nußbaum über¬ schattet. Und auf dem Nußbaum saß ein Hähervogel, Herr Marquart, wie er bei den alten Dichtern heißt, und rief in einem fort: Komm her, komm her! Ich konnte nicht hinkommen, aber ich mußte oft zu ihm hinübersehen. Es half nichts, daß der Füllentoni mir immer grimmigere Blicke zuwarf, -^es sehe den Bauern noch heute vor mir, sehe ihn die Zähne fletschen, indem ^ auf die Garbe kniet und das Strohband anzieht, sehe ihn seine Augen starr auf mich richten, während er anhält und eine Prise nimmt. Eigentlich gab er mir kein gutes Beispiel; denn er schnupfte ein wenig v>t, fast wie der alte Fritz, aller drei Garben, nur ans der Dose statt aus der Westentasche. Aber einen Kopf hatte er, den man so leicht nicht vergißt, Grenzboten III 1392 47

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/377
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/377>, abgerufen am 08.01.2025.