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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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seltsamen Hofszcne zwischen einer Kuh und einem Bullen gesehn, die unsern
naturalistischen Malern den Stoff für ein prächtiges Seitenstück zu Potters
bekanntem Gemälde vaoliö cM pisss bieten könnte. Nun hat der junge
Bauer seine Frau verloren, seine Familienverhältnisse sind unerquicklich, seine
Landwirtschaft ist heruntergekommen. Und so begrüßt er denn den Ausbruch
des Krieges wie eine Befreiung aus unerträglichen Zuständen. Er tritt in
sein altes Infanterieregiment, worin er den italienischen Feldzug mitgemacht
hat, und erhält, obgleich er kaum lesen und schreiben kann, sofort eine Kor¬
poralschaft.

Seine Untergebnen sind nach Bildung und Charakter so verschieden wie
möglich. Der Füsilier Chouteau, ein Pariser Stubenmaler, ist gleichsam der
zersetzende Geist in der kleinen Abteilung. Er ist Revolutionär vom reinsten
Wasser, verdreht durch seine hochklingenden Phrasen und Schlagwörter den
Kameraden den Kops und untergräbt die ganze Disziplin. Er ist der echte
großmäulige Franzose, ohne Achtung vor Autorität, ein eingebildeter, rücksichts¬
loser und dabei feiger Bursche. Das Gegenteil von diesem Pariser dig-gusur
ist der Bauer Pciche aus der Picardie, ein einfältiger, bescheidner und frommer
Mensch, der im Lager jeden Tag sein Morgen- und Abendgebet spricht und
an keinem Kreuze vorbeigeht, ohne sein Sprüchlein zu murmeln. Er erträgt
die Mühseligkeiten des Feldzugs ohne zu murren, wie ein Märtyrer; er ist in
den Krieg gezogen nicht aus Begeisterung für seinen Kaiser oder für sein Vater¬
land, sondern weil es die Gendarmen in seinem Dorfe so haben wollten. II
seine 1s LorM's-ckoulLur 6s 1'csoormäö. Neben ihm steht der rohe Bauernknecht
Lcipoulle, ein fauler, beschränkter und gefräßiger Mensch, der fern von aller
Kultur in den Sümpfen der Svlogne aufgewachsen ist, und der von der Ge¬
schichte seines Landes so wenig weiß, daß er bei seiner Ankunft im Regiment
fragt, ob er den Lvi sehn könnte. Die Kameraden machen den vierschrötiger
Kerl zum Packesel der Korpvralschaft; sie bürden ihm alles auf und reden ihm
ein, daß es eine Ehre sei, die Gebrauchsgegenstände der Abteilung, den Kessel,
den Spaten u. s. w. zu tragen. Der lustige Schwerenöter in der Gruppe ist
der Pariser Koch Loubet; mit seinen Canennliedern ergötzt er die Kameraden,
und durch faule Witze sucht er ihre Niedergeschlagenheit wieder zu heben. End¬
lich gehört zu dieser geistig ziemlich tief stehenden Gesellschaft noch der Kamerad
Maurice Levasfeur. Er ist Advokat in Paris, hat sein Leben uach deu Ge¬
wohnheiten der ^uiuzsso clorvö genossen und ist durch einen gewissen Ekel an
der Menschheit und besonders an den Weibern zum freiwilligen Eintritt ins
Heer getrieben worden. Das leicht erregbare Blut, die Erinnerung an die
französische ssloirs, das betäubende Geschrei einer siegestrunknen Menge auf den
Boulevards, die einen militärischen Spaziergang nach Berlin zu unternehmen
meinte, waren dazu gekommen, in ihm die Begeisterung für den Krieg wach¬
zurufen. Die Abkühlung war bald genng eingetreten. Die müssige Luft in


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seltsamen Hofszcne zwischen einer Kuh und einem Bullen gesehn, die unsern
naturalistischen Malern den Stoff für ein prächtiges Seitenstück zu Potters
bekanntem Gemälde vaoliö cM pisss bieten könnte. Nun hat der junge
Bauer seine Frau verloren, seine Familienverhältnisse sind unerquicklich, seine
Landwirtschaft ist heruntergekommen. Und so begrüßt er denn den Ausbruch
des Krieges wie eine Befreiung aus unerträglichen Zuständen. Er tritt in
sein altes Infanterieregiment, worin er den italienischen Feldzug mitgemacht
hat, und erhält, obgleich er kaum lesen und schreiben kann, sofort eine Kor¬
poralschaft.

Seine Untergebnen sind nach Bildung und Charakter so verschieden wie
möglich. Der Füsilier Chouteau, ein Pariser Stubenmaler, ist gleichsam der
zersetzende Geist in der kleinen Abteilung. Er ist Revolutionär vom reinsten
Wasser, verdreht durch seine hochklingenden Phrasen und Schlagwörter den
Kameraden den Kops und untergräbt die ganze Disziplin. Er ist der echte
großmäulige Franzose, ohne Achtung vor Autorität, ein eingebildeter, rücksichts¬
loser und dabei feiger Bursche. Das Gegenteil von diesem Pariser dig-gusur
ist der Bauer Pciche aus der Picardie, ein einfältiger, bescheidner und frommer
Mensch, der im Lager jeden Tag sein Morgen- und Abendgebet spricht und
an keinem Kreuze vorbeigeht, ohne sein Sprüchlein zu murmeln. Er erträgt
die Mühseligkeiten des Feldzugs ohne zu murren, wie ein Märtyrer; er ist in
den Krieg gezogen nicht aus Begeisterung für seinen Kaiser oder für sein Vater¬
land, sondern weil es die Gendarmen in seinem Dorfe so haben wollten. II
seine 1s LorM's-ckoulLur 6s 1'csoormäö. Neben ihm steht der rohe Bauernknecht
Lcipoulle, ein fauler, beschränkter und gefräßiger Mensch, der fern von aller
Kultur in den Sümpfen der Svlogne aufgewachsen ist, und der von der Ge¬
schichte seines Landes so wenig weiß, daß er bei seiner Ankunft im Regiment
fragt, ob er den Lvi sehn könnte. Die Kameraden machen den vierschrötiger
Kerl zum Packesel der Korpvralschaft; sie bürden ihm alles auf und reden ihm
ein, daß es eine Ehre sei, die Gebrauchsgegenstände der Abteilung, den Kessel,
den Spaten u. s. w. zu tragen. Der lustige Schwerenöter in der Gruppe ist
der Pariser Koch Loubet; mit seinen Canennliedern ergötzt er die Kameraden,
und durch faule Witze sucht er ihre Niedergeschlagenheit wieder zu heben. End¬
lich gehört zu dieser geistig ziemlich tief stehenden Gesellschaft noch der Kamerad
Maurice Levasfeur. Er ist Advokat in Paris, hat sein Leben uach deu Ge¬
wohnheiten der ^uiuzsso clorvö genossen und ist durch einen gewissen Ekel an
der Menschheit und besonders an den Weibern zum freiwilligen Eintritt ins
Heer getrieben worden. Das leicht erregbare Blut, die Erinnerung an die
französische ssloirs, das betäubende Geschrei einer siegestrunknen Menge auf den
Boulevards, die einen militärischen Spaziergang nach Berlin zu unternehmen
meinte, waren dazu gekommen, in ihm die Begeisterung für den Krieg wach¬
zurufen. Die Abkühlung war bald genng eingetreten. Die müssige Luft in


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[0365] Aolas Ariegsroman La veI>ÜLle seltsamen Hofszcne zwischen einer Kuh und einem Bullen gesehn, die unsern naturalistischen Malern den Stoff für ein prächtiges Seitenstück zu Potters bekanntem Gemälde vaoliö cM pisss bieten könnte. Nun hat der junge Bauer seine Frau verloren, seine Familienverhältnisse sind unerquicklich, seine Landwirtschaft ist heruntergekommen. Und so begrüßt er denn den Ausbruch des Krieges wie eine Befreiung aus unerträglichen Zuständen. Er tritt in sein altes Infanterieregiment, worin er den italienischen Feldzug mitgemacht hat, und erhält, obgleich er kaum lesen und schreiben kann, sofort eine Kor¬ poralschaft. Seine Untergebnen sind nach Bildung und Charakter so verschieden wie möglich. Der Füsilier Chouteau, ein Pariser Stubenmaler, ist gleichsam der zersetzende Geist in der kleinen Abteilung. Er ist Revolutionär vom reinsten Wasser, verdreht durch seine hochklingenden Phrasen und Schlagwörter den Kameraden den Kops und untergräbt die ganze Disziplin. Er ist der echte großmäulige Franzose, ohne Achtung vor Autorität, ein eingebildeter, rücksichts¬ loser und dabei feiger Bursche. Das Gegenteil von diesem Pariser dig-gusur ist der Bauer Pciche aus der Picardie, ein einfältiger, bescheidner und frommer Mensch, der im Lager jeden Tag sein Morgen- und Abendgebet spricht und an keinem Kreuze vorbeigeht, ohne sein Sprüchlein zu murmeln. Er erträgt die Mühseligkeiten des Feldzugs ohne zu murren, wie ein Märtyrer; er ist in den Krieg gezogen nicht aus Begeisterung für seinen Kaiser oder für sein Vater¬ land, sondern weil es die Gendarmen in seinem Dorfe so haben wollten. II seine 1s LorM's-ckoulLur 6s 1'csoormäö. Neben ihm steht der rohe Bauernknecht Lcipoulle, ein fauler, beschränkter und gefräßiger Mensch, der fern von aller Kultur in den Sümpfen der Svlogne aufgewachsen ist, und der von der Ge¬ schichte seines Landes so wenig weiß, daß er bei seiner Ankunft im Regiment fragt, ob er den Lvi sehn könnte. Die Kameraden machen den vierschrötiger Kerl zum Packesel der Korpvralschaft; sie bürden ihm alles auf und reden ihm ein, daß es eine Ehre sei, die Gebrauchsgegenstände der Abteilung, den Kessel, den Spaten u. s. w. zu tragen. Der lustige Schwerenöter in der Gruppe ist der Pariser Koch Loubet; mit seinen Canennliedern ergötzt er die Kameraden, und durch faule Witze sucht er ihre Niedergeschlagenheit wieder zu heben. End¬ lich gehört zu dieser geistig ziemlich tief stehenden Gesellschaft noch der Kamerad Maurice Levasfeur. Er ist Advokat in Paris, hat sein Leben uach deu Ge¬ wohnheiten der ^uiuzsso clorvö genossen und ist durch einen gewissen Ekel an der Menschheit und besonders an den Weibern zum freiwilligen Eintritt ins Heer getrieben worden. Das leicht erregbare Blut, die Erinnerung an die französische ssloirs, das betäubende Geschrei einer siegestrunknen Menge auf den Boulevards, die einen militärischen Spaziergang nach Berlin zu unternehmen meinte, waren dazu gekommen, in ihm die Begeisterung für den Krieg wach¬ zurufen. Die Abkühlung war bald genng eingetreten. Die müssige Luft in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/365>, abgerufen am 09.01.2025.