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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Würdige Heuchelei auf selten der Aktiven, denen sich der Gedanke an ein wirk¬
liches und ehrliches Nachgeben von Anfang an als undurchführbar dargestellt
hatte, schließlich doch wieder füllen lassen.

Ferner hat das Festhalten an gewissen alte" Grundsätzen der Burschen¬
schaft, die sich auf ihre innere Organisation beziehen, allmählich und teilweise
verblümt aufgegeben werden müssen, seit sie in erster Linie Verbindung ist.
Ihre Füchse dürfen sich ja, im Gegensatze zu den Renoncen bei den Korps,
als Mitglieder betrachten. Aber Füchse müssen sie bleiben, bis sie die Sta¬
tuten und die Grundsätze, wie die Formalitäten des innern Verbinduugs-
lebens, die Geschäftsordnung, die Zusammensetzung und Organisation des
^. l). und ähnliche Dinge gelernt und begriffen, sich in ihrem Benehmen
nach außen und auf der Mensur bewährt und eine gewisse "Direktion" und
Erfahrung gewonnen haben. Trotzdem hat man ihnen auf Grund der alt-
burscheuschaftlicheu Gleichberechtigung hie und da volles Stimmrecht verleihen
wollen. Das hat dann zu den übelsten Folgen, besonders in mitglieder¬
schwachen Verbindungen geführt. Ehrgeizige Burschen singen die Seelen der
Füchse dnrch Liebenswürdigkeit und süße Versprechungen ein, untergruben die
Disziplin, der sich der nicht "aufgeklärte" Fuchs sonst mit harmlosen Eifer
unterwirft, hetzten gegen die Chargirten, und die Folge waren unglaubliche
Wahlen und verhängnisvolle Beschlüsse, besonders auch in Kassenangelegen¬
heiten. So ist auch auf diesem Gebiete die Gleichberechtigung praktisch in die
Brüche gegangen. Einzelne Burschenschafter haben zwar das Stimmrecht der
Füchse beibehalten, erledigen aber dafür alle Angelegenheiten kritischer Art in
Ausschüssen, Bnrschenkouventeu, Ehrengerichten oder wie sich sonst nennen.

Das wären so ein paar Punkte aus dem Widerstreite von Theorie und
Praxis, Rückwärts- und Vvrwärtsblicken, unter dessen Bann die heutige
Burschenschaft steht. Dieses Doppelspiel ist auch der Grund, weshalb weder
die Studentenschaft noch das Publikum recht weiß, was die Burschenschaft
eigentlich will, ein Umstand, der den Korps praktisch zu gute kommt, die sonst
an sich viel weniger auf wirkliche Sympathie von außen rechnen konnten. Die
Burschenschaft hat diesen Schaden und die hemmenden Einflüsse jener Konflikte
auf ihre logische innere und äußere Entwicklung auch mehr oder minder ge¬
merkt und im Jahre 1886, nachdem der ^. I). (I bis dahin nur ein äußer¬
licher Verband mit bloßer Geschäftsordnung gewesen war, der alle grund¬
sätzlichen Fragen den einzelnen Verbandsburschenschaften überließ, einen Ausgleich
der Forderungen, die die Wirklichkeit an die heutige Verbindung stellt, mit
ihren alten Überlieferungen durch ein gemeinsames Programm versucht. Dessen
Formulirung war bei allerhand verschiednen Meinungen und Richtungen und
sehr verschiedner Klarheit der Kopfe unter den Beschließenden natürlich ein
schweres Stück, und wenn die Losung vorläufig einigermaßen zur allgemeinen
Zufriedenheit der Beteiligten gelungen ist, so ist das doch nur aus Kosten


Würdige Heuchelei auf selten der Aktiven, denen sich der Gedanke an ein wirk¬
liches und ehrliches Nachgeben von Anfang an als undurchführbar dargestellt
hatte, schließlich doch wieder füllen lassen.

Ferner hat das Festhalten an gewissen alte» Grundsätzen der Burschen¬
schaft, die sich auf ihre innere Organisation beziehen, allmählich und teilweise
verblümt aufgegeben werden müssen, seit sie in erster Linie Verbindung ist.
Ihre Füchse dürfen sich ja, im Gegensatze zu den Renoncen bei den Korps,
als Mitglieder betrachten. Aber Füchse müssen sie bleiben, bis sie die Sta¬
tuten und die Grundsätze, wie die Formalitäten des innern Verbinduugs-
lebens, die Geschäftsordnung, die Zusammensetzung und Organisation des
^. l). und ähnliche Dinge gelernt und begriffen, sich in ihrem Benehmen
nach außen und auf der Mensur bewährt und eine gewisse „Direktion" und
Erfahrung gewonnen haben. Trotzdem hat man ihnen auf Grund der alt-
burscheuschaftlicheu Gleichberechtigung hie und da volles Stimmrecht verleihen
wollen. Das hat dann zu den übelsten Folgen, besonders in mitglieder¬
schwachen Verbindungen geführt. Ehrgeizige Burschen singen die Seelen der
Füchse dnrch Liebenswürdigkeit und süße Versprechungen ein, untergruben die
Disziplin, der sich der nicht „aufgeklärte" Fuchs sonst mit harmlosen Eifer
unterwirft, hetzten gegen die Chargirten, und die Folge waren unglaubliche
Wahlen und verhängnisvolle Beschlüsse, besonders auch in Kassenangelegen¬
heiten. So ist auch auf diesem Gebiete die Gleichberechtigung praktisch in die
Brüche gegangen. Einzelne Burschenschafter haben zwar das Stimmrecht der
Füchse beibehalten, erledigen aber dafür alle Angelegenheiten kritischer Art in
Ausschüssen, Bnrschenkouventeu, Ehrengerichten oder wie sich sonst nennen.

Das wären so ein paar Punkte aus dem Widerstreite von Theorie und
Praxis, Rückwärts- und Vvrwärtsblicken, unter dessen Bann die heutige
Burschenschaft steht. Dieses Doppelspiel ist auch der Grund, weshalb weder
die Studentenschaft noch das Publikum recht weiß, was die Burschenschaft
eigentlich will, ein Umstand, der den Korps praktisch zu gute kommt, die sonst
an sich viel weniger auf wirkliche Sympathie von außen rechnen konnten. Die
Burschenschaft hat diesen Schaden und die hemmenden Einflüsse jener Konflikte
auf ihre logische innere und äußere Entwicklung auch mehr oder minder ge¬
merkt und im Jahre 1886, nachdem der ^. I). (I bis dahin nur ein äußer¬
licher Verband mit bloßer Geschäftsordnung gewesen war, der alle grund¬
sätzlichen Fragen den einzelnen Verbandsburschenschaften überließ, einen Ausgleich
der Forderungen, die die Wirklichkeit an die heutige Verbindung stellt, mit
ihren alten Überlieferungen durch ein gemeinsames Programm versucht. Dessen
Formulirung war bei allerhand verschiednen Meinungen und Richtungen und
sehr verschiedner Klarheit der Kopfe unter den Beschließenden natürlich ein
schweres Stück, und wenn die Losung vorläufig einigermaßen zur allgemeinen
Zufriedenheit der Beteiligten gelungen ist, so ist das doch nur aus Kosten


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[0036] Würdige Heuchelei auf selten der Aktiven, denen sich der Gedanke an ein wirk¬ liches und ehrliches Nachgeben von Anfang an als undurchführbar dargestellt hatte, schließlich doch wieder füllen lassen. Ferner hat das Festhalten an gewissen alte» Grundsätzen der Burschen¬ schaft, die sich auf ihre innere Organisation beziehen, allmählich und teilweise verblümt aufgegeben werden müssen, seit sie in erster Linie Verbindung ist. Ihre Füchse dürfen sich ja, im Gegensatze zu den Renoncen bei den Korps, als Mitglieder betrachten. Aber Füchse müssen sie bleiben, bis sie die Sta¬ tuten und die Grundsätze, wie die Formalitäten des innern Verbinduugs- lebens, die Geschäftsordnung, die Zusammensetzung und Organisation des ^. l). und ähnliche Dinge gelernt und begriffen, sich in ihrem Benehmen nach außen und auf der Mensur bewährt und eine gewisse „Direktion" und Erfahrung gewonnen haben. Trotzdem hat man ihnen auf Grund der alt- burscheuschaftlicheu Gleichberechtigung hie und da volles Stimmrecht verleihen wollen. Das hat dann zu den übelsten Folgen, besonders in mitglieder¬ schwachen Verbindungen geführt. Ehrgeizige Burschen singen die Seelen der Füchse dnrch Liebenswürdigkeit und süße Versprechungen ein, untergruben die Disziplin, der sich der nicht „aufgeklärte" Fuchs sonst mit harmlosen Eifer unterwirft, hetzten gegen die Chargirten, und die Folge waren unglaubliche Wahlen und verhängnisvolle Beschlüsse, besonders auch in Kassenangelegen¬ heiten. So ist auch auf diesem Gebiete die Gleichberechtigung praktisch in die Brüche gegangen. Einzelne Burschenschafter haben zwar das Stimmrecht der Füchse beibehalten, erledigen aber dafür alle Angelegenheiten kritischer Art in Ausschüssen, Bnrschenkouventeu, Ehrengerichten oder wie sich sonst nennen. Das wären so ein paar Punkte aus dem Widerstreite von Theorie und Praxis, Rückwärts- und Vvrwärtsblicken, unter dessen Bann die heutige Burschenschaft steht. Dieses Doppelspiel ist auch der Grund, weshalb weder die Studentenschaft noch das Publikum recht weiß, was die Burschenschaft eigentlich will, ein Umstand, der den Korps praktisch zu gute kommt, die sonst an sich viel weniger auf wirkliche Sympathie von außen rechnen konnten. Die Burschenschaft hat diesen Schaden und die hemmenden Einflüsse jener Konflikte auf ihre logische innere und äußere Entwicklung auch mehr oder minder ge¬ merkt und im Jahre 1886, nachdem der ^. I). (I bis dahin nur ein äußer¬ licher Verband mit bloßer Geschäftsordnung gewesen war, der alle grund¬ sätzlichen Fragen den einzelnen Verbandsburschenschaften überließ, einen Ausgleich der Forderungen, die die Wirklichkeit an die heutige Verbindung stellt, mit ihren alten Überlieferungen durch ein gemeinsames Programm versucht. Dessen Formulirung war bei allerhand verschiednen Meinungen und Richtungen und sehr verschiedner Klarheit der Kopfe unter den Beschließenden natürlich ein schweres Stück, und wenn die Losung vorläufig einigermaßen zur allgemeinen Zufriedenheit der Beteiligten gelungen ist, so ist das doch nur aus Kosten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/36>, abgerufen am 06.01.2025.