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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Aufklärungen über studentische Dinge

Völliger Entschiedenheit und Aufrichtigkeit geschehen. Die eilten Überlieferungen,
auch die unhaltbaren, stehen alle darin, um ihre theoretischen Anhänger und
die alten Herren zu versöhnen, aber durch die nähere Umschreibung und aller¬
hand Verbrämung werden sie dann wieder aufgehoben oder abgeschwächt. Die
sehr glückliche Formulirung des nationalen Prinzips wurde schon (S. 24)
in der Hauptsache angeführt. Mi-t der Freiheit finden sich die Satzungen so
ab, daß sie "das Prinzip der geistigen und studentischen Freiheit" aufrecht¬
erhalten und dann definirein "Die geistige Freiheit sieht die Burschenschaft in
der Lossagung von Vorurteilen, der Unabhängigkeit und Selbständigkeit des
Denkens, der Energie und Freiheit des Handelns." Das klingt heutzutage
geradezu wie eine Absage an den landläufigen Liberalismus. Die "Gleich¬
berechtigung aller ehrenhaften Studenten" hinkt bei der Definition der "studen¬
tischen Freiheit" als unschuldiger Nachsatz zu dem wenig behagenden aner¬
kannten "Rechte jedes einzelnen Studenten, von allen akademischen Vorrechten
Gebrauch zu macheu und sich an allen studentischen Angelegenheiten zu be¬
teiligen," hinterher. Die "Wissenschaftlichkeit," die die Burschenschaft von jeher
hat Pflege" Wollen, ist völlig ausreichend definirt, notabene, wenn sie auch
beherzigt wird, die "Sittlichkeit" ebenso. Nebenbei bemerkt halten einzelne
Burscheuschnften von traditionell rein christlichem Charakter ihr altes Keusch¬
heitsgebot mit einer Treue aufrecht, die bei den heutigen recht häßlichen
studentischen Anschauungen in dieser Beziehung besonders rühmenswert ist.
Für die übrigen ist immerhin auch die bunte Mütze, besonders in kleinern
Universitätsstädten, wo man ihren Träger auch im Hute wiedererkennt, kein
geringer äußerer Schutz, wie bei andern Verbindungen ja auch. Ihren Stand¬
punkt als Verbindung wahrt die neuere Burschenschaft durch die Hervorhebung
ihres Eintretens für die "Eigenheiten des deutschen Studentenlebens" und die
mehrmalige Erwähnung "strammen Auftretens"; von den alten Grundsätzen
wird die Ausbildung der körperlichen Kräfte in diesen Zusammenhang gezogen
und durch "Fechten nud sonstige passende Leibesübungen" (nur wenige turnen
offiziell) erläutert. Verhältnismäßig jung, aber aus der Erfahrung genommen
und dem Herkommen der tüchtigem Burschenschafter entsprechend ist die For¬
derung des Matnritütszeugnisfes für die Mitgliederaufnahme im ganzen ^,D,<Ü.,
wodurch die Elite der Chemiker, Pharmaceuten, Tiernrzneistudenten u. s. w.
fern gehalten wird.

Die hier ausgehobuen wichtigern Punkte mußten aber, wie gesagt, in
jenen Satzungen teilweise recht verklausulirt werden. Geradezu komisch wirkt
der Übergang vom hohen Kothurn zur allermodernsten Praxis bei dem einen,
dem letzten Paragraphen: "Die Burschenschaft verlangt von ihren Mitgliedern,
daß sie sich stets vollbewußt sind, wie hohen Idealen sie als Burschenschafter
nachstreben, und daß sie dies Bewußtsein auch äußerlich durch strammes, selbst¬
bewußtes und einheitliches Auftreten an den Tag legen."


Aufklärungen über studentische Dinge

Völliger Entschiedenheit und Aufrichtigkeit geschehen. Die eilten Überlieferungen,
auch die unhaltbaren, stehen alle darin, um ihre theoretischen Anhänger und
die alten Herren zu versöhnen, aber durch die nähere Umschreibung und aller¬
hand Verbrämung werden sie dann wieder aufgehoben oder abgeschwächt. Die
sehr glückliche Formulirung des nationalen Prinzips wurde schon (S. 24)
in der Hauptsache angeführt. Mi-t der Freiheit finden sich die Satzungen so
ab, daß sie „das Prinzip der geistigen und studentischen Freiheit" aufrecht¬
erhalten und dann definirein „Die geistige Freiheit sieht die Burschenschaft in
der Lossagung von Vorurteilen, der Unabhängigkeit und Selbständigkeit des
Denkens, der Energie und Freiheit des Handelns." Das klingt heutzutage
geradezu wie eine Absage an den landläufigen Liberalismus. Die „Gleich¬
berechtigung aller ehrenhaften Studenten" hinkt bei der Definition der „studen¬
tischen Freiheit" als unschuldiger Nachsatz zu dem wenig behagenden aner¬
kannten „Rechte jedes einzelnen Studenten, von allen akademischen Vorrechten
Gebrauch zu macheu und sich an allen studentischen Angelegenheiten zu be¬
teiligen," hinterher. Die „Wissenschaftlichkeit," die die Burschenschaft von jeher
hat Pflege» Wollen, ist völlig ausreichend definirt, notabene, wenn sie auch
beherzigt wird, die „Sittlichkeit" ebenso. Nebenbei bemerkt halten einzelne
Burscheuschnften von traditionell rein christlichem Charakter ihr altes Keusch¬
heitsgebot mit einer Treue aufrecht, die bei den heutigen recht häßlichen
studentischen Anschauungen in dieser Beziehung besonders rühmenswert ist.
Für die übrigen ist immerhin auch die bunte Mütze, besonders in kleinern
Universitätsstädten, wo man ihren Träger auch im Hute wiedererkennt, kein
geringer äußerer Schutz, wie bei andern Verbindungen ja auch. Ihren Stand¬
punkt als Verbindung wahrt die neuere Burschenschaft durch die Hervorhebung
ihres Eintretens für die „Eigenheiten des deutschen Studentenlebens" und die
mehrmalige Erwähnung „strammen Auftretens"; von den alten Grundsätzen
wird die Ausbildung der körperlichen Kräfte in diesen Zusammenhang gezogen
und durch „Fechten nud sonstige passende Leibesübungen" (nur wenige turnen
offiziell) erläutert. Verhältnismäßig jung, aber aus der Erfahrung genommen
und dem Herkommen der tüchtigem Burschenschafter entsprechend ist die For¬
derung des Matnritütszeugnisfes für die Mitgliederaufnahme im ganzen ^,D,<Ü.,
wodurch die Elite der Chemiker, Pharmaceuten, Tiernrzneistudenten u. s. w.
fern gehalten wird.

Die hier ausgehobuen wichtigern Punkte mußten aber, wie gesagt, in
jenen Satzungen teilweise recht verklausulirt werden. Geradezu komisch wirkt
der Übergang vom hohen Kothurn zur allermodernsten Praxis bei dem einen,
dem letzten Paragraphen: „Die Burschenschaft verlangt von ihren Mitgliedern,
daß sie sich stets vollbewußt sind, wie hohen Idealen sie als Burschenschafter
nachstreben, und daß sie dies Bewußtsein auch äußerlich durch strammes, selbst¬
bewußtes und einheitliches Auftreten an den Tag legen."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/37>, abgerufen am 06.01.2025.