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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Aufklärungen über studentische Singe

politischer, aber in diesem Falle vollkommen harmloser Humor nur aus histo¬
rischer Anhänglichkeit und ohne jede Tendenz noch lebt, wie


stößt an, freies Wort lebe!
Wer die Wahrheit kennet und saget sie frei,
Der kommt nach Berlin auf die Hausvogtci.

Dagegen wird in allem nur möglichen Eifer entgegengesetzter Art eher zu viel
geleistet; weniger wäre da manchmal mehr. So, wenn einzelne Burschen¬
schafter auch ganz kleine Festlichkeiten, wie sogenannte Antrittskueipen u. s. w.,
mit einer Kaiserrede eröffnen und stehend die preußische Hymne singen. Das
ist doch blinder Übereifer.

Auch aus dem alten Rufe der Burschenschaft nach der deutschen Einheit
scheint ein gewisser Konflikt für sie heraufbeschworen werden zu solle".
Wenigstens erklären gerade außenstehende Kreise sehr oft, die Burschenschaft
sei seit 1871 überflüssig geworden und hätte sich auflösen sollen. Als ob sie
sich nicht längst vor 1870 zur Verbindung, die sich schließlich auch selbst genug
wäre, verpuppt hätte. Hierin ist die neuere Burschenschaft einsichtsvoll verfahren,
wenn sie ihrerseits erklärt, es gebe auch heute der nationalen Aufgaben noch
genug, sie wolle ihre Mitglieder "zu tüchtigen, im Denken und Handeln freien und
selbständigen Bürgern eines einigen, nach innen kräftigen, nach außen mächtigen
deutschen Vaterlandes" erziehen und nach Kräften "die Erhaltung deutscher
Sitte und Sprache und das Gefühl der Zusanunengehörigkeit der Stämme
deutscher Zunge" pflegen. Besonnenen Takt bewies sie dabei in der mehr¬
fachen freundschaftliche" Abwehr der um die Aufnahme in den Eisenacher Bund
werbenden österreichische" Burschenschafter, denen die deutsche Zunge doch
etwas gar zu lose sitzt; die Österreicher haben seitdem schließlich einen Bund,
der in Linz tagt, geschlossen, und eine gewisse Pflege der Zusammengehörig¬
keit, wie sie der genannten Satzung entspricht, ist dadurch erleichtert worden
und wird zugleich durch die Burschenschaftlichen Blätter geübt.

Schon die eben angeführte Stelle aus den neuen Satzungen von 1886
führt dazu, einen Blick auf die Stellung der Burschenschaft zur Judenfrage
zu werfen. Im allgemeinen ist die Burschenschaft offenbar bestrebt, von der
Aufnahme jüdischer Mitglieder loszukommen. Die Gründe dieses Wunsches
wollen wir hier nicht breiter erörtern, sicher liegen sie in der Hauptsache in der
antisemitischen Gesamtüberzeugung des ganzen jungen Geschlechts und in der
Einsicht, daß die jungen Juden weniger Burschenschafter sein, als vielmehr
überhaupt da, wo sie noch können, sich eindrängen und eine Rolle in ihrer
Art spielen wollen lind dann durch ihre Respektlosigkeit gegen alles, ihre
Lüsternheit, ihr Protzentum und ihren Mangel an außerjüdischem Gemeinsinn
zersetzend und korrumpirend wirke". Da"eben fällt aber jedenfalls auch der
praktische Gedanke ins Gewicht, daß heutzutage jede verjudete Verbindung


Aufklärungen über studentische Singe

politischer, aber in diesem Falle vollkommen harmloser Humor nur aus histo¬
rischer Anhänglichkeit und ohne jede Tendenz noch lebt, wie


stößt an, freies Wort lebe!
Wer die Wahrheit kennet und saget sie frei,
Der kommt nach Berlin auf die Hausvogtci.

Dagegen wird in allem nur möglichen Eifer entgegengesetzter Art eher zu viel
geleistet; weniger wäre da manchmal mehr. So, wenn einzelne Burschen¬
schafter auch ganz kleine Festlichkeiten, wie sogenannte Antrittskueipen u. s. w.,
mit einer Kaiserrede eröffnen und stehend die preußische Hymne singen. Das
ist doch blinder Übereifer.

Auch aus dem alten Rufe der Burschenschaft nach der deutschen Einheit
scheint ein gewisser Konflikt für sie heraufbeschworen werden zu solle».
Wenigstens erklären gerade außenstehende Kreise sehr oft, die Burschenschaft
sei seit 1871 überflüssig geworden und hätte sich auflösen sollen. Als ob sie
sich nicht längst vor 1870 zur Verbindung, die sich schließlich auch selbst genug
wäre, verpuppt hätte. Hierin ist die neuere Burschenschaft einsichtsvoll verfahren,
wenn sie ihrerseits erklärt, es gebe auch heute der nationalen Aufgaben noch
genug, sie wolle ihre Mitglieder „zu tüchtigen, im Denken und Handeln freien und
selbständigen Bürgern eines einigen, nach innen kräftigen, nach außen mächtigen
deutschen Vaterlandes" erziehen und nach Kräften „die Erhaltung deutscher
Sitte und Sprache und das Gefühl der Zusanunengehörigkeit der Stämme
deutscher Zunge" pflegen. Besonnenen Takt bewies sie dabei in der mehr¬
fachen freundschaftliche» Abwehr der um die Aufnahme in den Eisenacher Bund
werbenden österreichische» Burschenschafter, denen die deutsche Zunge doch
etwas gar zu lose sitzt; die Österreicher haben seitdem schließlich einen Bund,
der in Linz tagt, geschlossen, und eine gewisse Pflege der Zusammengehörig¬
keit, wie sie der genannten Satzung entspricht, ist dadurch erleichtert worden
und wird zugleich durch die Burschenschaftlichen Blätter geübt.

Schon die eben angeführte Stelle aus den neuen Satzungen von 1886
führt dazu, einen Blick auf die Stellung der Burschenschaft zur Judenfrage
zu werfen. Im allgemeinen ist die Burschenschaft offenbar bestrebt, von der
Aufnahme jüdischer Mitglieder loszukommen. Die Gründe dieses Wunsches
wollen wir hier nicht breiter erörtern, sicher liegen sie in der Hauptsache in der
antisemitischen Gesamtüberzeugung des ganzen jungen Geschlechts und in der
Einsicht, daß die jungen Juden weniger Burschenschafter sein, als vielmehr
überhaupt da, wo sie noch können, sich eindrängen und eine Rolle in ihrer
Art spielen wollen lind dann durch ihre Respektlosigkeit gegen alles, ihre
Lüsternheit, ihr Protzentum und ihren Mangel an außerjüdischem Gemeinsinn
zersetzend und korrumpirend wirke». Da»eben fällt aber jedenfalls auch der
praktische Gedanke ins Gewicht, daß heutzutage jede verjudete Verbindung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/32>, abgerufen am 06.01.2025.