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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Aufklärungen über studentische Dinge

verbrüchlicher Treue nicht allzu lebhaft empfänglich; Prinzen erscheinen fast nur
bei Korpskvmmersen, auch wenn sie als Studenten nicht ausschließlich bei einen,
Korps verkehrt haben. Manche geradezu beleidigende Zurücksetzung durch Ver¬
waltungsbehörden, die irgendwie mit burschenschaftlichen Korporationen zu thu"
hatten, ist schon von den Vurschenschaftlichen Blättern berichtet worden; auch
Bismarck antwortete den ihm zu Ehren veranstalteten Kommersen immerhin
kühler, und als er 1890 an seinem fünfundsiebzigsteu Geburtstage in Friedrichs-
ruh die Vertreter der deutschen Burschenschaft durch persönlichen Empfang
sehr vor andern auszeichnete, sagte er ihnen doch: "An Sie ergeht in dieser
Stunde die Mahnung, festzuhalten das, was wir haben, und das, was besteht,"
und noch manche ähnliche ernst klingende Warnung.

Nun ist freilich eines wahr: es giebt noch heute ein paar "rote" Burschen¬
schafter, schwerlich aber mehr als drei oder vier nnter einem halben Hundert.
Was die Ursache ist? nachwirkende alte Überlieferung, die hier in unklarer
Treue gepflegt wird, zufällig vorhandener Einfluß einzelner mißvergnügter
alter Herren, auch chronisch gewordene Oppositiouslust gegen die übrigen
Burschenschafter. Was sie vertreten? Soweit die Mitglieder Deutsche siud,
wen" überhaupt etwas bestimmtes, etwa eine Art vormärzlichen deutschen
Repnblikanertnms mit großdeutschem Beigeschmack. Zum guten Teil sind es
aber keine Deutschen, sondern gerade die maßgebenden Mitglieder oder alten
Herren sind Juden. Was die vertreten, darf man aber nicht sagen und über-
haupt nicht wissen, weil man ja kein Antisemit sein darf. Von irgendwelchem
teutonischen oder heckermäßigen Aussehen findet sich darum auch bei diese"
"Prinzipieutreueu" keine Spur, sie laufen gerade so hauptnmschoren wie die
übrigen und eher gigerlmüßiger als die meisten andern herum. Die andern
halten diese grimmigen Leuen strenge darnieder und gewissermaßen in Quaran¬
täne, haben wenig schmeichelhafte Namen für sie und waschen ihnen bei Ge¬
legenheit tüchtig den Kopf, so z. V. als bei einem Verweilen des Kronprinzen
(Kaiser Friedrichs) in Würzburg die dortige rote Burschenschaft sich der ge¬
planten Feier demonstrativ durch einen Ausflug entzogen hatte. Diese Würz¬
burger Uriniren hatten damals wohl keine Juden, sonst hätten sie sicher die
große Verheißung gewußt, daß die Hoffnung des "Freisinns" auf dem Kron-
prinzen beruhe. Das Beispiel giebt zugleich einen Maßstab für das Ver¬
ständnis und thatsächliche Wissen dieser jugendlichen Politiker, da irgendwelcher
unversöhnte Bajnvarismus hier absolut nicht in Betracht kam.

Die andern machen sich vielfach über ihre eigne alte Zeit lustig, singen
mit komischem Berserkertum das "Dreiunddreißig Jahre währt die Knechtschaft
schon" zu"> Frühschoppen und lächeln innerlich bei gewissen Kraftstellen ihrer
alten im ganzen so schönen und von hohem Idealismus durchwehte" Lieder. Daß
seit Jahrzehnten kein regierungsfeindlicher Spott von der Burschenschaft zur
Welt gebracht worden ist, zeigen die paar alten Parodien, von denen ihr


Aufklärungen über studentische Dinge

verbrüchlicher Treue nicht allzu lebhaft empfänglich; Prinzen erscheinen fast nur
bei Korpskvmmersen, auch wenn sie als Studenten nicht ausschließlich bei einen,
Korps verkehrt haben. Manche geradezu beleidigende Zurücksetzung durch Ver¬
waltungsbehörden, die irgendwie mit burschenschaftlichen Korporationen zu thu»
hatten, ist schon von den Vurschenschaftlichen Blättern berichtet worden; auch
Bismarck antwortete den ihm zu Ehren veranstalteten Kommersen immerhin
kühler, und als er 1890 an seinem fünfundsiebzigsteu Geburtstage in Friedrichs-
ruh die Vertreter der deutschen Burschenschaft durch persönlichen Empfang
sehr vor andern auszeichnete, sagte er ihnen doch: „An Sie ergeht in dieser
Stunde die Mahnung, festzuhalten das, was wir haben, und das, was besteht,"
und noch manche ähnliche ernst klingende Warnung.

Nun ist freilich eines wahr: es giebt noch heute ein paar „rote" Burschen¬
schafter, schwerlich aber mehr als drei oder vier nnter einem halben Hundert.
Was die Ursache ist? nachwirkende alte Überlieferung, die hier in unklarer
Treue gepflegt wird, zufällig vorhandener Einfluß einzelner mißvergnügter
alter Herren, auch chronisch gewordene Oppositiouslust gegen die übrigen
Burschenschafter. Was sie vertreten? Soweit die Mitglieder Deutsche siud,
wen» überhaupt etwas bestimmtes, etwa eine Art vormärzlichen deutschen
Repnblikanertnms mit großdeutschem Beigeschmack. Zum guten Teil sind es
aber keine Deutschen, sondern gerade die maßgebenden Mitglieder oder alten
Herren sind Juden. Was die vertreten, darf man aber nicht sagen und über-
haupt nicht wissen, weil man ja kein Antisemit sein darf. Von irgendwelchem
teutonischen oder heckermäßigen Aussehen findet sich darum auch bei diese»
„Prinzipieutreueu" keine Spur, sie laufen gerade so hauptnmschoren wie die
übrigen und eher gigerlmüßiger als die meisten andern herum. Die andern
halten diese grimmigen Leuen strenge darnieder und gewissermaßen in Quaran¬
täne, haben wenig schmeichelhafte Namen für sie und waschen ihnen bei Ge¬
legenheit tüchtig den Kopf, so z. V. als bei einem Verweilen des Kronprinzen
(Kaiser Friedrichs) in Würzburg die dortige rote Burschenschaft sich der ge¬
planten Feier demonstrativ durch einen Ausflug entzogen hatte. Diese Würz¬
burger Uriniren hatten damals wohl keine Juden, sonst hätten sie sicher die
große Verheißung gewußt, daß die Hoffnung des „Freisinns" auf dem Kron-
prinzen beruhe. Das Beispiel giebt zugleich einen Maßstab für das Ver¬
ständnis und thatsächliche Wissen dieser jugendlichen Politiker, da irgendwelcher
unversöhnte Bajnvarismus hier absolut nicht in Betracht kam.

Die andern machen sich vielfach über ihre eigne alte Zeit lustig, singen
mit komischem Berserkertum das „Dreiunddreißig Jahre währt die Knechtschaft
schon" zu»> Frühschoppen und lächeln innerlich bei gewissen Kraftstellen ihrer
alten im ganzen so schönen und von hohem Idealismus durchwehte» Lieder. Daß
seit Jahrzehnten kein regierungsfeindlicher Spott von der Burschenschaft zur
Welt gebracht worden ist, zeigen die paar alten Parodien, von denen ihr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/31>, abgerufen am 06.01.2025.