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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Gedanken eines Laien über den Buschoffschen Prozeß

Mail nimmt an, die Leiche habe schon vom Morgen an in der Scheune
gelegen. Ob der Knabe im Hause Buschoffs oder in der Küpperschen Scheune
abgeschlachtet worden ist -- non liqaöt,. Daß das Blut, das in der Scheune
aufgefunden worden ist, für ein Kind in diesem Alter genüge, ist zuerst vou
den Ärzten verneint worden; dann hat sich während der Verhandlungen einer
der Ärzte, der diese Ansicht vertrat, dem Gutachten seiner Kollegen angeschlossen,
die erklärten, ein fünfjähriges Kind brauche nicht mehr Blut zu vergießen.
Aber ein Zeugnis scheint wenig Beachtung gesunden zu haben, das der Magd,
die am Mittag den Leichnam in der Scheune uicht erblickt hat, um Abend
aber auf einen dunkeln Gegenstand zugegangen ist, in dem Glauben, es süßen
da die Hühner. Auf die Entgegnung, sie hätte am Mittag nicht Acht gegeben,
sonst hätte sie ihn sehen müssen, erklärt sie, die doch wohl besser als die
Anwälte wissen muß, was mau in der Scheune sehen konnte oder nicht, sie
hätte ihn sehen müssen, wenn der Kleine schon am Mittag dagelegen Hütte!

In seiner ganzen Praxis hat ferner der eine der Staatsanwülte noch
nicht so schlagende Alibibeweise gehabt. Eine Anzahl von Zeugen, darunter
der sehr verdächtige Ullenboom, sagen aus, wo sich während des ganzen
Peter-Paulstags Buschoff aufgehalten habe, sie geben die halben Stunden um,
wann er ausgegangen, zu Hause gewesen, Mittagschlnf gehalten, Kaffee ge¬
trunken, wieder ausgegangen, sich zum Kegeln begeben habe u. s. w. Diese
Aussagen bezweifelt keiner, man findet es natürlich, daß fast nach Jahresfrist
jeder weiß, wo und wann immer Buschoff an diesem Tage gerade gewesen ist!
Man halte nicht entgegen: Der Tag ist als ein wichtiger in aller Erinnerung
geblieben. Denn alle diese Zeugen konnten doch nicht ahnen, daß sie nach so
langer Zeit nach den Einzelheiten über den Aufenthalt Buschoffs gefragt
werden würden. Und gesetzt auch, man wäre sich völlig klar über sein Thun
und Treiben während der fraglichen Stunden, genügt nicht zur Ermordung
eines fünfjährigen Knaben eine Spanne Zeit von fünf Minuten? Und hat
der Angeklagte nicht eine Fran, eine Tochter, einen Sohn?

Gewaltig fiel schließlich in die Wagschale der allseitig bezeugte gute Ruf
des Mannes. Ohne seinen Ruf irgendwie antasten zu wollen, behaupten wir:
der gute Leumund kann höchstens beweisen, daß Buschoff uicht aus Nach¬
sucht oder ähnlichen Motiven den Knaben getötet hat. Wenn er es aber aus
Fanatismus oder im religiösen Aberglauben befangen gethan hätte, so wider¬
spricht dem nicht, daß er im bürgerlichen Leben als rechtlich angesehen wurde.
Damit kommen wir auf den viel berufnen und verrufnen sogenannten Ritual¬
mord zu sprechen. Im Talmud, behauptet die ganze Judenschaft und be¬
stätigen einige christliche Gelehrten, im Talmud giebt es keine Vorschrift
über die Ermordung von Christenkindern zu Nitualzweckeu. Aber ganz ab¬
gesehn davon, daß z. B. Professor Rodung in Prag und andre das Gegen¬
teil behaupten, abgesehn davon, daß im Lause der Zeiten der Talmud sehr


Gedanken eines Laien über den Buschoffschen Prozeß

Mail nimmt an, die Leiche habe schon vom Morgen an in der Scheune
gelegen. Ob der Knabe im Hause Buschoffs oder in der Küpperschen Scheune
abgeschlachtet worden ist — non liqaöt,. Daß das Blut, das in der Scheune
aufgefunden worden ist, für ein Kind in diesem Alter genüge, ist zuerst vou
den Ärzten verneint worden; dann hat sich während der Verhandlungen einer
der Ärzte, der diese Ansicht vertrat, dem Gutachten seiner Kollegen angeschlossen,
die erklärten, ein fünfjähriges Kind brauche nicht mehr Blut zu vergießen.
Aber ein Zeugnis scheint wenig Beachtung gesunden zu haben, das der Magd,
die am Mittag den Leichnam in der Scheune uicht erblickt hat, um Abend
aber auf einen dunkeln Gegenstand zugegangen ist, in dem Glauben, es süßen
da die Hühner. Auf die Entgegnung, sie hätte am Mittag nicht Acht gegeben,
sonst hätte sie ihn sehen müssen, erklärt sie, die doch wohl besser als die
Anwälte wissen muß, was mau in der Scheune sehen konnte oder nicht, sie
hätte ihn sehen müssen, wenn der Kleine schon am Mittag dagelegen Hütte!

In seiner ganzen Praxis hat ferner der eine der Staatsanwülte noch
nicht so schlagende Alibibeweise gehabt. Eine Anzahl von Zeugen, darunter
der sehr verdächtige Ullenboom, sagen aus, wo sich während des ganzen
Peter-Paulstags Buschoff aufgehalten habe, sie geben die halben Stunden um,
wann er ausgegangen, zu Hause gewesen, Mittagschlnf gehalten, Kaffee ge¬
trunken, wieder ausgegangen, sich zum Kegeln begeben habe u. s. w. Diese
Aussagen bezweifelt keiner, man findet es natürlich, daß fast nach Jahresfrist
jeder weiß, wo und wann immer Buschoff an diesem Tage gerade gewesen ist!
Man halte nicht entgegen: Der Tag ist als ein wichtiger in aller Erinnerung
geblieben. Denn alle diese Zeugen konnten doch nicht ahnen, daß sie nach so
langer Zeit nach den Einzelheiten über den Aufenthalt Buschoffs gefragt
werden würden. Und gesetzt auch, man wäre sich völlig klar über sein Thun
und Treiben während der fraglichen Stunden, genügt nicht zur Ermordung
eines fünfjährigen Knaben eine Spanne Zeit von fünf Minuten? Und hat
der Angeklagte nicht eine Fran, eine Tochter, einen Sohn?

Gewaltig fiel schließlich in die Wagschale der allseitig bezeugte gute Ruf
des Mannes. Ohne seinen Ruf irgendwie antasten zu wollen, behaupten wir:
der gute Leumund kann höchstens beweisen, daß Buschoff uicht aus Nach¬
sucht oder ähnlichen Motiven den Knaben getötet hat. Wenn er es aber aus
Fanatismus oder im religiösen Aberglauben befangen gethan hätte, so wider¬
spricht dem nicht, daß er im bürgerlichen Leben als rechtlich angesehen wurde.
Damit kommen wir auf den viel berufnen und verrufnen sogenannten Ritual¬
mord zu sprechen. Im Talmud, behauptet die ganze Judenschaft und be¬
stätigen einige christliche Gelehrten, im Talmud giebt es keine Vorschrift
über die Ermordung von Christenkindern zu Nitualzweckeu. Aber ganz ab¬
gesehn davon, daß z. B. Professor Rodung in Prag und andre das Gegen¬
teil behaupten, abgesehn davon, daß im Lause der Zeiten der Talmud sehr


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[0306] Gedanken eines Laien über den Buschoffschen Prozeß Mail nimmt an, die Leiche habe schon vom Morgen an in der Scheune gelegen. Ob der Knabe im Hause Buschoffs oder in der Küpperschen Scheune abgeschlachtet worden ist — non liqaöt,. Daß das Blut, das in der Scheune aufgefunden worden ist, für ein Kind in diesem Alter genüge, ist zuerst vou den Ärzten verneint worden; dann hat sich während der Verhandlungen einer der Ärzte, der diese Ansicht vertrat, dem Gutachten seiner Kollegen angeschlossen, die erklärten, ein fünfjähriges Kind brauche nicht mehr Blut zu vergießen. Aber ein Zeugnis scheint wenig Beachtung gesunden zu haben, das der Magd, die am Mittag den Leichnam in der Scheune uicht erblickt hat, um Abend aber auf einen dunkeln Gegenstand zugegangen ist, in dem Glauben, es süßen da die Hühner. Auf die Entgegnung, sie hätte am Mittag nicht Acht gegeben, sonst hätte sie ihn sehen müssen, erklärt sie, die doch wohl besser als die Anwälte wissen muß, was mau in der Scheune sehen konnte oder nicht, sie hätte ihn sehen müssen, wenn der Kleine schon am Mittag dagelegen Hütte! In seiner ganzen Praxis hat ferner der eine der Staatsanwülte noch nicht so schlagende Alibibeweise gehabt. Eine Anzahl von Zeugen, darunter der sehr verdächtige Ullenboom, sagen aus, wo sich während des ganzen Peter-Paulstags Buschoff aufgehalten habe, sie geben die halben Stunden um, wann er ausgegangen, zu Hause gewesen, Mittagschlnf gehalten, Kaffee ge¬ trunken, wieder ausgegangen, sich zum Kegeln begeben habe u. s. w. Diese Aussagen bezweifelt keiner, man findet es natürlich, daß fast nach Jahresfrist jeder weiß, wo und wann immer Buschoff an diesem Tage gerade gewesen ist! Man halte nicht entgegen: Der Tag ist als ein wichtiger in aller Erinnerung geblieben. Denn alle diese Zeugen konnten doch nicht ahnen, daß sie nach so langer Zeit nach den Einzelheiten über den Aufenthalt Buschoffs gefragt werden würden. Und gesetzt auch, man wäre sich völlig klar über sein Thun und Treiben während der fraglichen Stunden, genügt nicht zur Ermordung eines fünfjährigen Knaben eine Spanne Zeit von fünf Minuten? Und hat der Angeklagte nicht eine Fran, eine Tochter, einen Sohn? Gewaltig fiel schließlich in die Wagschale der allseitig bezeugte gute Ruf des Mannes. Ohne seinen Ruf irgendwie antasten zu wollen, behaupten wir: der gute Leumund kann höchstens beweisen, daß Buschoff uicht aus Nach¬ sucht oder ähnlichen Motiven den Knaben getötet hat. Wenn er es aber aus Fanatismus oder im religiösen Aberglauben befangen gethan hätte, so wider¬ spricht dem nicht, daß er im bürgerlichen Leben als rechtlich angesehen wurde. Damit kommen wir auf den viel berufnen und verrufnen sogenannten Ritual¬ mord zu sprechen. Im Talmud, behauptet die ganze Judenschaft und be¬ stätigen einige christliche Gelehrten, im Talmud giebt es keine Vorschrift über die Ermordung von Christenkindern zu Nitualzweckeu. Aber ganz ab¬ gesehn davon, daß z. B. Professor Rodung in Prag und andre das Gegen¬ teil behaupten, abgesehn davon, daß im Lause der Zeiten der Talmud sehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/306>, abgerufen am 08.01.2025.