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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Bismarckisch

die erste Bürgerpflicht sei, und Rochows vom beschränkten Unterthancnverstande
neu aufzulegen? Ihn vor ganz Europa mit Acht und Baun zu belegen? Und
weshalb? Ein Besucher will von ihm die Äußerung gehört haben, er liebe
die Hunde, weil sie einen Fußtritt nicht nachtragen. Von ihm die Hunde¬
treue, die Grillparzer in seinen Baneban gefeiert hat, zu erwarten, hat er
niemand das Recht gegeben! Er ist aus hartem Metall geschmiedet, das weiß
die Welt, wie Hütte er sonst seine Thaten thun können! Und mochte man
auch wünschen, daß ihm manchmal möglich gewesen wäre, seinen Zorn zu be¬
mustern: das hat die Art der Verfolgung in Vergessenheit gebracht. Mit
Recht wurde in dem eingangs erwähnten Aufsatze an den Freiherr,: vom Stein
erinnert; der war auch kein Kautschukmann, und die Freisinnigen, die seinen
Namen unnütz im Munde führen, würden ihn, wenn er noch lebte und wirkte,
so bitter hassen, wie unsern ersten Reichskanzler.

Das ist die Empfindung, die in Mittel- und Süddeutschland so einmütig
zum Durchbruch gekommen ist. So legte einst das gebildete Berlin Zeugnis
ab für die Richter im Arnoldschen Prozesse, als sich Friedrich der Große
durch irregeleiteten Gerechtigkeitssinn zu höchster Ungerechtigkeit hatte hinreißen
lassen, und Europa feierte die Richter und die gegen den Gewaltspruch pro-
testirenden. In demselben Berlin verdächtigt man heute die Kundgebungen im
nichtpreußischen Deutschland. Partikularismus? O weckt doch nicht selbst
Mächte, die versöhnt und gewonnen zu haben zu den größten Verdiensten des
Mannes gehört, dem ihr jetzt keinen Dank gönnt! Ist es so schwer zu be¬
greifen, daß die Deutschen, die am meisten unter der Zerrissenheit und Ohn¬
macht des Vaterlands gelitten haben, lebhafter den Segen der Zeit von 1866
bis 1882 erkennen, als ihr in einem Staate, der im Notfall auf sich selber
stehen konnte? Berauscht euch nicht in hochmütigem Machtbewußtsein wie
eure Großväter, die Friedrichs des Großen Thaten sich selbst anrechneten, wie
ihr -- die Thaten Bismarcks! Schämt euch vielmehr bis ins Innerste, daß
Sachsen, Franken, Baiern, Schwaben, .Hessen n. s. w. den preußischen Junker
besser würdigen als ihr!

Es ist ein tieftrauriges Bild: auf der einen Seite die Reichsregiernng
mit einer Gefolgschaft, um der sie selbst keine Freude haben kann, auf der
andern der Kern der deutschen Nation -- wie in den schlechtesten Zeiten der
neuern Geschichte Deutschlands. Und darum können und wollen wir uns
nicht beruhigen. Reden, Gesänge und Huldigungen sind etwas schönes am
rechten Orte, aber damit dürfen wir nicht unsre Pflicht erfüllt zu haben
meinen. Vor allein ist es endlich an der Zeit, der freiwilligen Abhängigkeit
von einer Presse ein Ende zu machen, die wir von Herzen verachten müssen.
Wir dürfen nicht länger durch Abonnement und Insertion Blätter unterstützen,
deren Inhalt unsern besten Überzeugungen entgegengesetzt ist. Weshalb werden
sie von Deutschgesinnten gehalten? Wegen der vielen Anzeigen, wegen der


Bismarckisch

die erste Bürgerpflicht sei, und Rochows vom beschränkten Unterthancnverstande
neu aufzulegen? Ihn vor ganz Europa mit Acht und Baun zu belegen? Und
weshalb? Ein Besucher will von ihm die Äußerung gehört haben, er liebe
die Hunde, weil sie einen Fußtritt nicht nachtragen. Von ihm die Hunde¬
treue, die Grillparzer in seinen Baneban gefeiert hat, zu erwarten, hat er
niemand das Recht gegeben! Er ist aus hartem Metall geschmiedet, das weiß
die Welt, wie Hütte er sonst seine Thaten thun können! Und mochte man
auch wünschen, daß ihm manchmal möglich gewesen wäre, seinen Zorn zu be¬
mustern: das hat die Art der Verfolgung in Vergessenheit gebracht. Mit
Recht wurde in dem eingangs erwähnten Aufsatze an den Freiherr,: vom Stein
erinnert; der war auch kein Kautschukmann, und die Freisinnigen, die seinen
Namen unnütz im Munde führen, würden ihn, wenn er noch lebte und wirkte,
so bitter hassen, wie unsern ersten Reichskanzler.

Das ist die Empfindung, die in Mittel- und Süddeutschland so einmütig
zum Durchbruch gekommen ist. So legte einst das gebildete Berlin Zeugnis
ab für die Richter im Arnoldschen Prozesse, als sich Friedrich der Große
durch irregeleiteten Gerechtigkeitssinn zu höchster Ungerechtigkeit hatte hinreißen
lassen, und Europa feierte die Richter und die gegen den Gewaltspruch pro-
testirenden. In demselben Berlin verdächtigt man heute die Kundgebungen im
nichtpreußischen Deutschland. Partikularismus? O weckt doch nicht selbst
Mächte, die versöhnt und gewonnen zu haben zu den größten Verdiensten des
Mannes gehört, dem ihr jetzt keinen Dank gönnt! Ist es so schwer zu be¬
greifen, daß die Deutschen, die am meisten unter der Zerrissenheit und Ohn¬
macht des Vaterlands gelitten haben, lebhafter den Segen der Zeit von 1866
bis 1882 erkennen, als ihr in einem Staate, der im Notfall auf sich selber
stehen konnte? Berauscht euch nicht in hochmütigem Machtbewußtsein wie
eure Großväter, die Friedrichs des Großen Thaten sich selbst anrechneten, wie
ihr — die Thaten Bismarcks! Schämt euch vielmehr bis ins Innerste, daß
Sachsen, Franken, Baiern, Schwaben, .Hessen n. s. w. den preußischen Junker
besser würdigen als ihr!

Es ist ein tieftrauriges Bild: auf der einen Seite die Reichsregiernng
mit einer Gefolgschaft, um der sie selbst keine Freude haben kann, auf der
andern der Kern der deutschen Nation — wie in den schlechtesten Zeiten der
neuern Geschichte Deutschlands. Und darum können und wollen wir uns
nicht beruhigen. Reden, Gesänge und Huldigungen sind etwas schönes am
rechten Orte, aber damit dürfen wir nicht unsre Pflicht erfüllt zu haben
meinen. Vor allein ist es endlich an der Zeit, der freiwilligen Abhängigkeit
von einer Presse ein Ende zu machen, die wir von Herzen verachten müssen.
Wir dürfen nicht länger durch Abonnement und Insertion Blätter unterstützen,
deren Inhalt unsern besten Überzeugungen entgegengesetzt ist. Weshalb werden
sie von Deutschgesinnten gehalten? Wegen der vielen Anzeigen, wegen der


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[0299] Bismarckisch die erste Bürgerpflicht sei, und Rochows vom beschränkten Unterthancnverstande neu aufzulegen? Ihn vor ganz Europa mit Acht und Baun zu belegen? Und weshalb? Ein Besucher will von ihm die Äußerung gehört haben, er liebe die Hunde, weil sie einen Fußtritt nicht nachtragen. Von ihm die Hunde¬ treue, die Grillparzer in seinen Baneban gefeiert hat, zu erwarten, hat er niemand das Recht gegeben! Er ist aus hartem Metall geschmiedet, das weiß die Welt, wie Hütte er sonst seine Thaten thun können! Und mochte man auch wünschen, daß ihm manchmal möglich gewesen wäre, seinen Zorn zu be¬ mustern: das hat die Art der Verfolgung in Vergessenheit gebracht. Mit Recht wurde in dem eingangs erwähnten Aufsatze an den Freiherr,: vom Stein erinnert; der war auch kein Kautschukmann, und die Freisinnigen, die seinen Namen unnütz im Munde führen, würden ihn, wenn er noch lebte und wirkte, so bitter hassen, wie unsern ersten Reichskanzler. Das ist die Empfindung, die in Mittel- und Süddeutschland so einmütig zum Durchbruch gekommen ist. So legte einst das gebildete Berlin Zeugnis ab für die Richter im Arnoldschen Prozesse, als sich Friedrich der Große durch irregeleiteten Gerechtigkeitssinn zu höchster Ungerechtigkeit hatte hinreißen lassen, und Europa feierte die Richter und die gegen den Gewaltspruch pro- testirenden. In demselben Berlin verdächtigt man heute die Kundgebungen im nichtpreußischen Deutschland. Partikularismus? O weckt doch nicht selbst Mächte, die versöhnt und gewonnen zu haben zu den größten Verdiensten des Mannes gehört, dem ihr jetzt keinen Dank gönnt! Ist es so schwer zu be¬ greifen, daß die Deutschen, die am meisten unter der Zerrissenheit und Ohn¬ macht des Vaterlands gelitten haben, lebhafter den Segen der Zeit von 1866 bis 1882 erkennen, als ihr in einem Staate, der im Notfall auf sich selber stehen konnte? Berauscht euch nicht in hochmütigem Machtbewußtsein wie eure Großväter, die Friedrichs des Großen Thaten sich selbst anrechneten, wie ihr — die Thaten Bismarcks! Schämt euch vielmehr bis ins Innerste, daß Sachsen, Franken, Baiern, Schwaben, .Hessen n. s. w. den preußischen Junker besser würdigen als ihr! Es ist ein tieftrauriges Bild: auf der einen Seite die Reichsregiernng mit einer Gefolgschaft, um der sie selbst keine Freude haben kann, auf der andern der Kern der deutschen Nation — wie in den schlechtesten Zeiten der neuern Geschichte Deutschlands. Und darum können und wollen wir uns nicht beruhigen. Reden, Gesänge und Huldigungen sind etwas schönes am rechten Orte, aber damit dürfen wir nicht unsre Pflicht erfüllt zu haben meinen. Vor allein ist es endlich an der Zeit, der freiwilligen Abhängigkeit von einer Presse ein Ende zu machen, die wir von Herzen verachten müssen. Wir dürfen nicht länger durch Abonnement und Insertion Blätter unterstützen, deren Inhalt unsern besten Überzeugungen entgegengesetzt ist. Weshalb werden sie von Deutschgesinnten gehalten? Wegen der vielen Anzeigen, wegen der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/299>, abgerufen am 08.01.2025.