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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Seiten ertönte Gesang, patriotische Lieder und andre, lustige und wehmütige.
Auch Spottlieder auf die Preußen wurden in den Schenken und aus der Straße
gesungen; sie klangen nicht immer sehr anständig.

Ich meinerseits bedauerte, daß das Zusammentreten der Soldaten so kurz
ausgefallen und daß so wenig dabei geschehn war; ich hatte mir mehr davon
versprochen und war enttäuscht. Ich glaubte kaum, daß es mit dem Kriege
noch Ernst sei. Denn so ruhig und abgezirkelt, wie das alles ablief, ohne
Kanonendonner und Hurrageschrei, ohne Rauch und Blut und Tumult, das
konnte man doch keinen Krieg nennen.

Nachdem Lienhard in seinem Quartier das Gewehr abgelegt hatte, machten
nur uns auf den Weg nach meinem Fuhrmann. Wir fanden ihn aber nicht
mehr vor; er war mit den andern nach den Feldlagern vor der Stadt ab¬
geschickt worden. Als die Mittagsglocke läutete, kehrten wir zu Lieuhards
Wirtsleuten zurück, wo ich freundlich zum Mittagessen eingeladen wurde.

Man sprach viel über den Feind und seine Absichten. Einig war man
darüber, daß er noch sehr fern sein müsse, da die am frühen Morgen aus¬
geschickten Vorposten keine Spur von ihm entdeckt hätten. Die Wirtsleute,
eine Vückerfamilie, zeigten sich nicht ohne Besorgnis; aber sie suchten sie zu
verbergen, und da es nicht an selbstgebauten Wein fehlte, so herrschte während
des Essens die heiterste Laune.

Außer Lienhard lagen noch zwei Kameraden hier im Quartier, wovon
der eine, ein Tuttlinger, nur dazusein schien, um die Gesellschaft zu be¬
lustigen. Er brachte so drollige Sachen vor, daß das Lachen zuletzt gar
nicht mehr aufhören wollte. Nur Lienhard blieb ernst. Er hatte sich, während
noch alles bei Tische weilte, schon wieder an seinen Brief gesetzt, worin er
am Vormittag unterbrochen worden war.

Da that es plötzlich einen Knall. Es krachte so heftig, daß das ganze
Haus zitterte und jedermann auf seinem Stuhle in die Höhe fuhr, als ob er
von einer unsichtbaren Gewalt emporgeworfen worden wäre. Die Frauen
stießen unwillkürliche Schreie aus, die Kinder begannen laut zu weinen, selbst
die Männer ließen es an Äußerungen des Entsetzens nicht fehlen.

Dem ersten Geschützdonner folgte rasch ein zweiter, dann ein dritter, und
so fort.

Ein Mitbewohner des Hauses stürzte in die Stube und schrie: Die Preußen
sind da! Ihre Kanonen stehn schon auf dem Jmberg! Man sieht sie von der
Gasse aus! Sie speien Feuer über unsre Stadt! Wir sind verloren, wir sind
verloren!

In den Gassen und auf dem Platz ertönten die Alarmsignale; es trommelte
und trompetete von allen Seiten. Ich dachte: Gott Lob, nun wirds wohl
losgehen.

Die drei Soldaten stürzten sich auf ihre Ausrüstungsgegenstünde, und in


Seiten ertönte Gesang, patriotische Lieder und andre, lustige und wehmütige.
Auch Spottlieder auf die Preußen wurden in den Schenken und aus der Straße
gesungen; sie klangen nicht immer sehr anständig.

Ich meinerseits bedauerte, daß das Zusammentreten der Soldaten so kurz
ausgefallen und daß so wenig dabei geschehn war; ich hatte mir mehr davon
versprochen und war enttäuscht. Ich glaubte kaum, daß es mit dem Kriege
noch Ernst sei. Denn so ruhig und abgezirkelt, wie das alles ablief, ohne
Kanonendonner und Hurrageschrei, ohne Rauch und Blut und Tumult, das
konnte man doch keinen Krieg nennen.

Nachdem Lienhard in seinem Quartier das Gewehr abgelegt hatte, machten
nur uns auf den Weg nach meinem Fuhrmann. Wir fanden ihn aber nicht
mehr vor; er war mit den andern nach den Feldlagern vor der Stadt ab¬
geschickt worden. Als die Mittagsglocke läutete, kehrten wir zu Lieuhards
Wirtsleuten zurück, wo ich freundlich zum Mittagessen eingeladen wurde.

Man sprach viel über den Feind und seine Absichten. Einig war man
darüber, daß er noch sehr fern sein müsse, da die am frühen Morgen aus¬
geschickten Vorposten keine Spur von ihm entdeckt hätten. Die Wirtsleute,
eine Vückerfamilie, zeigten sich nicht ohne Besorgnis; aber sie suchten sie zu
verbergen, und da es nicht an selbstgebauten Wein fehlte, so herrschte während
des Essens die heiterste Laune.

Außer Lienhard lagen noch zwei Kameraden hier im Quartier, wovon
der eine, ein Tuttlinger, nur dazusein schien, um die Gesellschaft zu be¬
lustigen. Er brachte so drollige Sachen vor, daß das Lachen zuletzt gar
nicht mehr aufhören wollte. Nur Lienhard blieb ernst. Er hatte sich, während
noch alles bei Tische weilte, schon wieder an seinen Brief gesetzt, worin er
am Vormittag unterbrochen worden war.

Da that es plötzlich einen Knall. Es krachte so heftig, daß das ganze
Haus zitterte und jedermann auf seinem Stuhle in die Höhe fuhr, als ob er
von einer unsichtbaren Gewalt emporgeworfen worden wäre. Die Frauen
stießen unwillkürliche Schreie aus, die Kinder begannen laut zu weinen, selbst
die Männer ließen es an Äußerungen des Entsetzens nicht fehlen.

Dem ersten Geschützdonner folgte rasch ein zweiter, dann ein dritter, und
so fort.

Ein Mitbewohner des Hauses stürzte in die Stube und schrie: Die Preußen
sind da! Ihre Kanonen stehn schon auf dem Jmberg! Man sieht sie von der
Gasse aus! Sie speien Feuer über unsre Stadt! Wir sind verloren, wir sind
verloren!

In den Gassen und auf dem Platz ertönten die Alarmsignale; es trommelte
und trompetete von allen Seiten. Ich dachte: Gott Lob, nun wirds wohl
losgehen.

Die drei Soldaten stürzten sich auf ihre Ausrüstungsgegenstünde, und in


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[0292] Seiten ertönte Gesang, patriotische Lieder und andre, lustige und wehmütige. Auch Spottlieder auf die Preußen wurden in den Schenken und aus der Straße gesungen; sie klangen nicht immer sehr anständig. Ich meinerseits bedauerte, daß das Zusammentreten der Soldaten so kurz ausgefallen und daß so wenig dabei geschehn war; ich hatte mir mehr davon versprochen und war enttäuscht. Ich glaubte kaum, daß es mit dem Kriege noch Ernst sei. Denn so ruhig und abgezirkelt, wie das alles ablief, ohne Kanonendonner und Hurrageschrei, ohne Rauch und Blut und Tumult, das konnte man doch keinen Krieg nennen. Nachdem Lienhard in seinem Quartier das Gewehr abgelegt hatte, machten nur uns auf den Weg nach meinem Fuhrmann. Wir fanden ihn aber nicht mehr vor; er war mit den andern nach den Feldlagern vor der Stadt ab¬ geschickt worden. Als die Mittagsglocke läutete, kehrten wir zu Lieuhards Wirtsleuten zurück, wo ich freundlich zum Mittagessen eingeladen wurde. Man sprach viel über den Feind und seine Absichten. Einig war man darüber, daß er noch sehr fern sein müsse, da die am frühen Morgen aus¬ geschickten Vorposten keine Spur von ihm entdeckt hätten. Die Wirtsleute, eine Vückerfamilie, zeigten sich nicht ohne Besorgnis; aber sie suchten sie zu verbergen, und da es nicht an selbstgebauten Wein fehlte, so herrschte während des Essens die heiterste Laune. Außer Lienhard lagen noch zwei Kameraden hier im Quartier, wovon der eine, ein Tuttlinger, nur dazusein schien, um die Gesellschaft zu be¬ lustigen. Er brachte so drollige Sachen vor, daß das Lachen zuletzt gar nicht mehr aufhören wollte. Nur Lienhard blieb ernst. Er hatte sich, während noch alles bei Tische weilte, schon wieder an seinen Brief gesetzt, worin er am Vormittag unterbrochen worden war. Da that es plötzlich einen Knall. Es krachte so heftig, daß das ganze Haus zitterte und jedermann auf seinem Stuhle in die Höhe fuhr, als ob er von einer unsichtbaren Gewalt emporgeworfen worden wäre. Die Frauen stießen unwillkürliche Schreie aus, die Kinder begannen laut zu weinen, selbst die Männer ließen es an Äußerungen des Entsetzens nicht fehlen. Dem ersten Geschützdonner folgte rasch ein zweiter, dann ein dritter, und so fort. Ein Mitbewohner des Hauses stürzte in die Stube und schrie: Die Preußen sind da! Ihre Kanonen stehn schon auf dem Jmberg! Man sieht sie von der Gasse aus! Sie speien Feuer über unsre Stadt! Wir sind verloren, wir sind verloren! In den Gassen und auf dem Platz ertönten die Alarmsignale; es trommelte und trompetete von allen Seiten. Ich dachte: Gott Lob, nun wirds wohl losgehen. Die drei Soldaten stürzten sich auf ihre Ausrüstungsgegenstünde, und in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/292>, abgerufen am 08.01.2025.