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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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einen ängstlichen Ausdruck; doch sah man auch unter ihnen viele, die scherzten
und lachten, als ob ihnen der Krieg Vergnügen machte.

Von der engen Straße, in der ich stand, sah man auf einen offnen Platz
hinaus, wo eine alte schwärzliche Kirche mit hohen schmalen Fenstern empor¬
ragte. Dort herrschte ein noch bunteres Gewimmel, und ich ging langsam
darauf zu. Da klopfte mir plötzlich jemand auf die Schulter. Erschrocken
sah ich mich um, es war der Lienhard.

Wo ich denn nur her käme ums Himmels willen? Ich erzählte. Lienhards
Quartier lag nahe; wir stiegen hinauf. Da erfuhren auch seine Wirtsleute,
was ich für ein Abenteurer wäre, und die einen tadelten mich, die andern
spendeten mir Lobsprüche. -

Bald kam die Rede ans den Krieg, auf die nächste Schlacht, auf die
Preußen. Die wären noch weit entfernt, hieß es, und die Soldaten wußten
nicht, ob mau ihnen entgegenziehen oder ob man sie hier erwarten würde.
Der Hauswirt stimmte für das letztre. Er wäre in der Frühe in seinem
Weinberg gewesen und dann der Neugierde halber auf den höchsten Rücken
hinauf gestiegen, den man den Kützberg heiße. Da habe man die schweren
Geschütze aufgefahren, fünf Batterien, daß man hätte meinen sollen, man
könnte die halbe Welt damit zusammenschießen.

Ich stand am Fenster und sah auf den Platz hinunter. Dabei geriet ich
in das höchste Erstaunen über die immer größere Masse von Kriegern. Das
sei aber noch gar nichts, hieß es; draußen vor der Stadt, jenseits des Flusses
und gegen die bciirische Grenze zu in den Biwaks, da lägen noch viel mehr.

Während ich mit den Wirtsleuten redete, schrieb Lienhard an einem Briefe,
den ich seiner Mutter bringen sollte. Da entstand unten auf dem Platz eine
plötzliche Unruhe, und im uüchsten Augenblick ertönten von mehreren Seiten
zugleich laute Hornsignale. Lienhard fuhr empor. Es hatte zum Appell ge¬
blasen, er mußte mich verlassen.

Ich dachte einen Augenblick darau, daß es endlich an der Zeit wäre, mich
nach dem Schmitzenjockel umzusehn. Aber die Neugierde ließ mich Lienhard
auf den Versammlungsplatz folgen, wo die Soldaten bald in langen Linien
abteilnngsweise in Reih und Glied traten. Kommandorufe erschollen, und die
Offiziere stellten sich in einen Kreis um den Höchsten unter ihnen, der eine
kleine Ansprache an sie hielt. Dann trennten sie sich wieder, um sich zu ihren
Abteilungen zu verfügen. Neue Kvmmandornfe, kurze Worte der Offiziere an
die Soldaten, eine kleine Musterung, Reih auf und ab, und der Auftritt war
vorüber.

Die Soldaten traten aus einander, einzeln, gruppenweise, schwatzend, lachend,
ihre Pfeifen anzündend. Sie begaben sich in ihre Quartiere zurück oder zogen
in Haufen nach den Bierhäusern, wo es laut und lustig herging. Von allen


einen ängstlichen Ausdruck; doch sah man auch unter ihnen viele, die scherzten
und lachten, als ob ihnen der Krieg Vergnügen machte.

Von der engen Straße, in der ich stand, sah man auf einen offnen Platz
hinaus, wo eine alte schwärzliche Kirche mit hohen schmalen Fenstern empor¬
ragte. Dort herrschte ein noch bunteres Gewimmel, und ich ging langsam
darauf zu. Da klopfte mir plötzlich jemand auf die Schulter. Erschrocken
sah ich mich um, es war der Lienhard.

Wo ich denn nur her käme ums Himmels willen? Ich erzählte. Lienhards
Quartier lag nahe; wir stiegen hinauf. Da erfuhren auch seine Wirtsleute,
was ich für ein Abenteurer wäre, und die einen tadelten mich, die andern
spendeten mir Lobsprüche. -

Bald kam die Rede ans den Krieg, auf die nächste Schlacht, auf die
Preußen. Die wären noch weit entfernt, hieß es, und die Soldaten wußten
nicht, ob mau ihnen entgegenziehen oder ob man sie hier erwarten würde.
Der Hauswirt stimmte für das letztre. Er wäre in der Frühe in seinem
Weinberg gewesen und dann der Neugierde halber auf den höchsten Rücken
hinauf gestiegen, den man den Kützberg heiße. Da habe man die schweren
Geschütze aufgefahren, fünf Batterien, daß man hätte meinen sollen, man
könnte die halbe Welt damit zusammenschießen.

Ich stand am Fenster und sah auf den Platz hinunter. Dabei geriet ich
in das höchste Erstaunen über die immer größere Masse von Kriegern. Das
sei aber noch gar nichts, hieß es; draußen vor der Stadt, jenseits des Flusses
und gegen die bciirische Grenze zu in den Biwaks, da lägen noch viel mehr.

Während ich mit den Wirtsleuten redete, schrieb Lienhard an einem Briefe,
den ich seiner Mutter bringen sollte. Da entstand unten auf dem Platz eine
plötzliche Unruhe, und im uüchsten Augenblick ertönten von mehreren Seiten
zugleich laute Hornsignale. Lienhard fuhr empor. Es hatte zum Appell ge¬
blasen, er mußte mich verlassen.

Ich dachte einen Augenblick darau, daß es endlich an der Zeit wäre, mich
nach dem Schmitzenjockel umzusehn. Aber die Neugierde ließ mich Lienhard
auf den Versammlungsplatz folgen, wo die Soldaten bald in langen Linien
abteilnngsweise in Reih und Glied traten. Kommandorufe erschollen, und die
Offiziere stellten sich in einen Kreis um den Höchsten unter ihnen, der eine
kleine Ansprache an sie hielt. Dann trennten sie sich wieder, um sich zu ihren
Abteilungen zu verfügen. Neue Kvmmandornfe, kurze Worte der Offiziere an
die Soldaten, eine kleine Musterung, Reih auf und ab, und der Auftritt war
vorüber.

Die Soldaten traten aus einander, einzeln, gruppenweise, schwatzend, lachend,
ihre Pfeifen anzündend. Sie begaben sich in ihre Quartiere zurück oder zogen
in Haufen nach den Bierhäusern, wo es laut und lustig herging. Von allen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/291>, abgerufen am 06.01.2025.