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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Bischof Walter

doch nicht ganz in der Arbeit auf. "Extra ist zu bemerken, schreibt er einmal
nach Hause, daß, wenn Sachen zu sehen sind, lvie Phüdra (Stich), Julia und
Romeo (Stich), Tankred (Svntag), Lear (Devrient), wir ganz entzückt an
herrlichem Spiele und köstlichem Sauge uns erbauen. Oder wenn einmal ein
Heller, freundlicher Tag ist, wie er mir in diesem Nebellvche erst einmal be¬
gegnet ist, gehen wir spazieren und erfreuen uns wie in Italien unter Myrten
und Cypressen, leider nur im Treibhause des Tiergartens, an Pfeife und
Trinken. Die Stich ist wahrlich solch Teufelsweib, das; minds nicht Wunder
nimmt, daß Piers seiner seiner Brüderj über sie entzückt ist. Spielte sie schon
als Phüdra so, daß mir die Haare zu Berge standen, so war sie doch als
Julia noch köstlicher, und ich hätte, als sie so wunderschön in Schleier gehüllt
das späte Rendezvous ihm im Garten gab, sie wahrlich küssen mögen, so lieb¬
lich war sie; und wie sie "Amen" sagte, ging mirs doch durch Mark und
Bein. Und dann Devrient ganz furchtbar als Lear. Dafür gebe ich doch gern
der Svutag schönen Gesang hin -- und wollte, ehe ich mich bei solchen Stücken
stören ließe, auch die wunderherrlichsten Leipziger Operndekorationen wegschaffen."
Auf seinen Charakter werfen Äußerungen der Schwestern aus jener Zeit ein
Streiflicht. Die eine meint, Ferdinand sei immer bei der Hand, unnütze Opfer
zu bringen, wenn er sie auch nachher bereue, und die andre schreibt ihm, als
er einmal krank geworden ist, er sei jedenfalls selbst schuld daran gewesen:
"Ich meine dies Losstürmen auf deine sonst krüftige Natur, die sichs abdarbt,
damit dn wie Krösus hündevollweise weggeben kannst, wo es vielleicht weniger
not thut als dir selbst; dies jämmerliche Abhärtnngssystem, das für unsre
Winter gar nicht berechnet war, und dergleichen Sünden mehr." Also wenn
sich ihr lieber Ferdinand in Bengalen durch leichte Kleidung und ungeheizte
Stuben hätte "abhörten" wollen, so würde diese zärtliche Schwester mit ihrer
allerliebsten weiblichen Logik nichts dagegen gehabt haben.

Nach einer "pädagogischen" Reise durch Preußen und Sachsen, auf der
er Harnisch, Fröbel und andre berühmte Pädagogen aufsucht und im Hause
der Frau vou Wolzogen in Jena auch Goethe kennen lernt, kehrt er in die
Heimat zurück, wird 1829 für die Predigerstelle zu Neuermühlen ordinirt, ver¬
mählt sich 1832 und erhält 1833 die Pfarrstelle seiner Vaterstadt Wvlmar.
Ein Freund schildert ihn in jenein ersten Abschnitte seiner Amtsführung
folgendermaßen: "Eine entschieden aristokratische Natur, imposant in der Er¬
scheinung, über die Interessen und Annehmlichkeiten des äußern Lebens vor¬
nehm hinwegsehend, dabei stolz und leidenschaftlich und trotz der eminenten
Kanzelberedsamkeit, zu welcher er es brachte, mit nur einer mäßigen orato-
rischen Begabung ausgestattet, war der Pastor zu Neuermühlen nicht, was
man einen gebornen Volksmann nennt. Er wurde es, weil sich in seiner
starken Brust eine Fülle echt menschlicher und echt christlicher Liebe barg, und
weil er in der Bethätigung dieser Liebe die vornehmste Aufgabe des Christen


Bischof Walter

doch nicht ganz in der Arbeit auf. „Extra ist zu bemerken, schreibt er einmal
nach Hause, daß, wenn Sachen zu sehen sind, lvie Phüdra (Stich), Julia und
Romeo (Stich), Tankred (Svntag), Lear (Devrient), wir ganz entzückt an
herrlichem Spiele und köstlichem Sauge uns erbauen. Oder wenn einmal ein
Heller, freundlicher Tag ist, wie er mir in diesem Nebellvche erst einmal be¬
gegnet ist, gehen wir spazieren und erfreuen uns wie in Italien unter Myrten
und Cypressen, leider nur im Treibhause des Tiergartens, an Pfeife und
Trinken. Die Stich ist wahrlich solch Teufelsweib, das; minds nicht Wunder
nimmt, daß Piers seiner seiner Brüderj über sie entzückt ist. Spielte sie schon
als Phüdra so, daß mir die Haare zu Berge standen, so war sie doch als
Julia noch köstlicher, und ich hätte, als sie so wunderschön in Schleier gehüllt
das späte Rendezvous ihm im Garten gab, sie wahrlich küssen mögen, so lieb¬
lich war sie; und wie sie «Amen» sagte, ging mirs doch durch Mark und
Bein. Und dann Devrient ganz furchtbar als Lear. Dafür gebe ich doch gern
der Svutag schönen Gesang hin — und wollte, ehe ich mich bei solchen Stücken
stören ließe, auch die wunderherrlichsten Leipziger Operndekorationen wegschaffen."
Auf seinen Charakter werfen Äußerungen der Schwestern aus jener Zeit ein
Streiflicht. Die eine meint, Ferdinand sei immer bei der Hand, unnütze Opfer
zu bringen, wenn er sie auch nachher bereue, und die andre schreibt ihm, als
er einmal krank geworden ist, er sei jedenfalls selbst schuld daran gewesen:
„Ich meine dies Losstürmen auf deine sonst krüftige Natur, die sichs abdarbt,
damit dn wie Krösus hündevollweise weggeben kannst, wo es vielleicht weniger
not thut als dir selbst; dies jämmerliche Abhärtnngssystem, das für unsre
Winter gar nicht berechnet war, und dergleichen Sünden mehr." Also wenn
sich ihr lieber Ferdinand in Bengalen durch leichte Kleidung und ungeheizte
Stuben hätte „abhörten" wollen, so würde diese zärtliche Schwester mit ihrer
allerliebsten weiblichen Logik nichts dagegen gehabt haben.

Nach einer „pädagogischen" Reise durch Preußen und Sachsen, auf der
er Harnisch, Fröbel und andre berühmte Pädagogen aufsucht und im Hause
der Frau vou Wolzogen in Jena auch Goethe kennen lernt, kehrt er in die
Heimat zurück, wird 1829 für die Predigerstelle zu Neuermühlen ordinirt, ver¬
mählt sich 1832 und erhält 1833 die Pfarrstelle seiner Vaterstadt Wvlmar.
Ein Freund schildert ihn in jenein ersten Abschnitte seiner Amtsführung
folgendermaßen: „Eine entschieden aristokratische Natur, imposant in der Er¬
scheinung, über die Interessen und Annehmlichkeiten des äußern Lebens vor¬
nehm hinwegsehend, dabei stolz und leidenschaftlich und trotz der eminenten
Kanzelberedsamkeit, zu welcher er es brachte, mit nur einer mäßigen orato-
rischen Begabung ausgestattet, war der Pastor zu Neuermühlen nicht, was
man einen gebornen Volksmann nennt. Er wurde es, weil sich in seiner
starken Brust eine Fülle echt menschlicher und echt christlicher Liebe barg, und
weil er in der Bethätigung dieser Liebe die vornehmste Aufgabe des Christen


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[0268] Bischof Walter doch nicht ganz in der Arbeit auf. „Extra ist zu bemerken, schreibt er einmal nach Hause, daß, wenn Sachen zu sehen sind, lvie Phüdra (Stich), Julia und Romeo (Stich), Tankred (Svntag), Lear (Devrient), wir ganz entzückt an herrlichem Spiele und köstlichem Sauge uns erbauen. Oder wenn einmal ein Heller, freundlicher Tag ist, wie er mir in diesem Nebellvche erst einmal be¬ gegnet ist, gehen wir spazieren und erfreuen uns wie in Italien unter Myrten und Cypressen, leider nur im Treibhause des Tiergartens, an Pfeife und Trinken. Die Stich ist wahrlich solch Teufelsweib, das; minds nicht Wunder nimmt, daß Piers seiner seiner Brüderj über sie entzückt ist. Spielte sie schon als Phüdra so, daß mir die Haare zu Berge standen, so war sie doch als Julia noch köstlicher, und ich hätte, als sie so wunderschön in Schleier gehüllt das späte Rendezvous ihm im Garten gab, sie wahrlich küssen mögen, so lieb¬ lich war sie; und wie sie «Amen» sagte, ging mirs doch durch Mark und Bein. Und dann Devrient ganz furchtbar als Lear. Dafür gebe ich doch gern der Svutag schönen Gesang hin — und wollte, ehe ich mich bei solchen Stücken stören ließe, auch die wunderherrlichsten Leipziger Operndekorationen wegschaffen." Auf seinen Charakter werfen Äußerungen der Schwestern aus jener Zeit ein Streiflicht. Die eine meint, Ferdinand sei immer bei der Hand, unnütze Opfer zu bringen, wenn er sie auch nachher bereue, und die andre schreibt ihm, als er einmal krank geworden ist, er sei jedenfalls selbst schuld daran gewesen: „Ich meine dies Losstürmen auf deine sonst krüftige Natur, die sichs abdarbt, damit dn wie Krösus hündevollweise weggeben kannst, wo es vielleicht weniger not thut als dir selbst; dies jämmerliche Abhärtnngssystem, das für unsre Winter gar nicht berechnet war, und dergleichen Sünden mehr." Also wenn sich ihr lieber Ferdinand in Bengalen durch leichte Kleidung und ungeheizte Stuben hätte „abhörten" wollen, so würde diese zärtliche Schwester mit ihrer allerliebsten weiblichen Logik nichts dagegen gehabt haben. Nach einer „pädagogischen" Reise durch Preußen und Sachsen, auf der er Harnisch, Fröbel und andre berühmte Pädagogen aufsucht und im Hause der Frau vou Wolzogen in Jena auch Goethe kennen lernt, kehrt er in die Heimat zurück, wird 1829 für die Predigerstelle zu Neuermühlen ordinirt, ver¬ mählt sich 1832 und erhält 1833 die Pfarrstelle seiner Vaterstadt Wvlmar. Ein Freund schildert ihn in jenein ersten Abschnitte seiner Amtsführung folgendermaßen: „Eine entschieden aristokratische Natur, imposant in der Er¬ scheinung, über die Interessen und Annehmlichkeiten des äußern Lebens vor¬ nehm hinwegsehend, dabei stolz und leidenschaftlich und trotz der eminenten Kanzelberedsamkeit, zu welcher er es brachte, mit nur einer mäßigen orato- rischen Begabung ausgestattet, war der Pastor zu Neuermühlen nicht, was man einen gebornen Volksmann nennt. Er wurde es, weil sich in seiner starken Brust eine Fülle echt menschlicher und echt christlicher Liebe barg, und weil er in der Bethätigung dieser Liebe die vornehmste Aufgabe des Christen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/268>, abgerufen am 08.01.2025.