Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Weltgeschichte in Hinterwinkel mit dem Vieh im Stall und den Sauerkrautkufen im Keller ihre Not hatten, Diesmal nun ging mein Wunsch in Erfüllung, nicht auf Kosten der lieben Eines Morgens früh saß ich droben auf der Schillingsbergcr Hohe -- dem Den Waldsaum entlang kam ein altes Weib auf mich zu, in dem ich Kleines Dörsle -- so hieß das dem Dörrhof, wo meine Eltern wohnten, Die Hanne Strvhmelker war kein Bettelweib. Sie nahm es vielleicht Die Hanne hatte auf mich von der ersten Kinderzeit an immer einen Weltgeschichte in Hinterwinkel mit dem Vieh im Stall und den Sauerkrautkufen im Keller ihre Not hatten, Diesmal nun ging mein Wunsch in Erfüllung, nicht auf Kosten der lieben Eines Morgens früh saß ich droben auf der Schillingsbergcr Hohe — dem Den Waldsaum entlang kam ein altes Weib auf mich zu, in dem ich Kleines Dörsle — so hieß das dem Dörrhof, wo meine Eltern wohnten, Die Hanne Strvhmelker war kein Bettelweib. Sie nahm es vielleicht Die Hanne hatte auf mich von der ersten Kinderzeit an immer einen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0240" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212716"/> <fw type="header" place="top"> Weltgeschichte in Hinterwinkel</fw><lb/> <p xml:id="ID_785" prev="#ID_784"> mit dem Vieh im Stall und den Sauerkrautkufen im Keller ihre Not hatten,<lb/> schmerzte mich nichts mehr, als daß zuletzt das Wasser wieder zu sinken be¬<lb/> gann. Die andern Buben des Dorfs zeigten sich, wie in so vielem, auch in<lb/> diesem Stück ganz anders. Sie verwiesen mir meine sündhaften Wünsche,<lb/> wenn ich sie vor ihnen laut werden ließ.</p><lb/> <p xml:id="ID_786"> Diesmal nun ging mein Wunsch in Erfüllung, nicht auf Kosten der lieben<lb/> Hinterwinkler, aber fast auf meine eignen.</p><lb/> <p xml:id="ID_787"> Eines Morgens früh saß ich droben auf der Schillingsbergcr Hohe — dem<lb/> kahlen Buckel gegenüber — am Saum des schönen Sindelwaldes: denn ich<lb/> hatte gerade gar nichts zu thun. Weder mit den Gänsen noch mit den Geißen<lb/> fuhr man um diese Zeit auf die Weide, und der Bater wußte mich auch nicht<lb/> zu beschäftigen, er blieb selber fast ohne jede Arbeit. Ich saß also am Wald¬<lb/> saum und träumte Schlachten.</p><lb/> <p xml:id="ID_788"> Den Waldsaum entlang kam ein altes Weib auf mich zu, in dem ich<lb/> bald die Henne Strohmelker vom „kleinen Dörfle" erkannte.</p><lb/> <p xml:id="ID_789"> Kleines Dörsle — so hieß das dem Dörrhof, wo meine Eltern wohnten,<lb/> entgegengesetzte Ende von Hinterwinkel, die Heimstätte der Allerärmsten, zum<lb/> Teil wirklicher Bettler und Gauner.</p><lb/> <p xml:id="ID_790"> Die Hanne Strvhmelker war kein Bettelweib. Sie nahm es vielleicht<lb/> nicht zu genau mit dem Mein und Dein und hatte wohl schon mehr als<lb/> einen Krautkopf stibitzt, pflegte auch, wenn sie sich abends durch die Gemüse¬<lb/> gärten nach Hause schleppte und niemand in der Nähe gewahrte, bald da<lb/> bald dort eine Hand voll Bohnen oder eine gelbe Rübe mitzunehmen, was<lb/> ihr, wie sie meinte, sehr gut und den Bauern nicht wehe that; denn sie ver¬<lb/> teilte weise ihren Diebstahl unter soviel Eigentümer als möglich. Ihr Brot<lb/> im wörtlichen Sinn aber verdiente sie redlich mit Steinklopfer. Sie betrieb<lb/> dieses Geschäft Sommer und Winter, bei Frost und Hitze, bei Wind und<lb/> Regen, und da sie die Feldsteine klopfte, die die Bauern von ihren Ackern<lb/> weg auf die „Wüstungen" karrten, ans dieselben uncmgebauten Stellen, die<lb/> auch als Geißweiden dienten, so führte uns unser Beruf oft zusammen.</p><lb/> <p xml:id="ID_791" next="#ID_792"> Die Hanne hatte auf mich von der ersten Kinderzeit an immer einen<lb/> unheimlichen Eindruck gemacht; nicht so wohl weil sie im Geruch einer Hexe<lb/> stand, als weil sie einer Hexe auf ein Haar ähnlich sah. Aus ihrem em-<lb/> gefallnen Gesicht ragte eine unerhört dünne und lange Nase hervor, an deren<lb/> Spitze immer ein brauner Tropfen hing, weil sie fleißig Tabak schnupfte.<lb/> Noch abschreckender aber wirkte auf mich ihre Kleidung. Diese bestand im<lb/> Sommer nur in einem groben Hemd und einem einzigen vielgeflickten Unter¬<lb/> rock. Das Hemd ließ die entfleischten Schulteru ganz bloß und verdeckte auch<lb/> die sonnverbrannte, welke Brust nur wenig. Aber auch der einzige Rock war<lb/> ihr hinderlich, wenn sie mit ausgestreckten, gespreizten Beinen dasaß und die<lb/> geklopften Steine vor sich häufte; sie schob ihn dann zurück, unbekümmert um</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0240]
Weltgeschichte in Hinterwinkel
mit dem Vieh im Stall und den Sauerkrautkufen im Keller ihre Not hatten,
schmerzte mich nichts mehr, als daß zuletzt das Wasser wieder zu sinken be¬
gann. Die andern Buben des Dorfs zeigten sich, wie in so vielem, auch in
diesem Stück ganz anders. Sie verwiesen mir meine sündhaften Wünsche,
wenn ich sie vor ihnen laut werden ließ.
Diesmal nun ging mein Wunsch in Erfüllung, nicht auf Kosten der lieben
Hinterwinkler, aber fast auf meine eignen.
Eines Morgens früh saß ich droben auf der Schillingsbergcr Hohe — dem
kahlen Buckel gegenüber — am Saum des schönen Sindelwaldes: denn ich
hatte gerade gar nichts zu thun. Weder mit den Gänsen noch mit den Geißen
fuhr man um diese Zeit auf die Weide, und der Bater wußte mich auch nicht
zu beschäftigen, er blieb selber fast ohne jede Arbeit. Ich saß also am Wald¬
saum und träumte Schlachten.
Den Waldsaum entlang kam ein altes Weib auf mich zu, in dem ich
bald die Henne Strohmelker vom „kleinen Dörfle" erkannte.
Kleines Dörsle — so hieß das dem Dörrhof, wo meine Eltern wohnten,
entgegengesetzte Ende von Hinterwinkel, die Heimstätte der Allerärmsten, zum
Teil wirklicher Bettler und Gauner.
Die Hanne Strvhmelker war kein Bettelweib. Sie nahm es vielleicht
nicht zu genau mit dem Mein und Dein und hatte wohl schon mehr als
einen Krautkopf stibitzt, pflegte auch, wenn sie sich abends durch die Gemüse¬
gärten nach Hause schleppte und niemand in der Nähe gewahrte, bald da
bald dort eine Hand voll Bohnen oder eine gelbe Rübe mitzunehmen, was
ihr, wie sie meinte, sehr gut und den Bauern nicht wehe that; denn sie ver¬
teilte weise ihren Diebstahl unter soviel Eigentümer als möglich. Ihr Brot
im wörtlichen Sinn aber verdiente sie redlich mit Steinklopfer. Sie betrieb
dieses Geschäft Sommer und Winter, bei Frost und Hitze, bei Wind und
Regen, und da sie die Feldsteine klopfte, die die Bauern von ihren Ackern
weg auf die „Wüstungen" karrten, ans dieselben uncmgebauten Stellen, die
auch als Geißweiden dienten, so führte uns unser Beruf oft zusammen.
Die Hanne hatte auf mich von der ersten Kinderzeit an immer einen
unheimlichen Eindruck gemacht; nicht so wohl weil sie im Geruch einer Hexe
stand, als weil sie einer Hexe auf ein Haar ähnlich sah. Aus ihrem em-
gefallnen Gesicht ragte eine unerhört dünne und lange Nase hervor, an deren
Spitze immer ein brauner Tropfen hing, weil sie fleißig Tabak schnupfte.
Noch abschreckender aber wirkte auf mich ihre Kleidung. Diese bestand im
Sommer nur in einem groben Hemd und einem einzigen vielgeflickten Unter¬
rock. Das Hemd ließ die entfleischten Schulteru ganz bloß und verdeckte auch
die sonnverbrannte, welke Brust nur wenig. Aber auch der einzige Rock war
ihr hinderlich, wenn sie mit ausgestreckten, gespreizten Beinen dasaß und die
geklopften Steine vor sich häufte; sie schob ihn dann zurück, unbekümmert um
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