Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Weltgeschichte in Hinterwinkel Verfchied"e Bauern wollten in der letzten Zeit wiederholt Kanonenschüsse Dann verbreiteten sich aber auf einmal sehr beängstigende Nachrichten. Keiner war aufgeregter als ich. Und dabei fühlte ich mich glücklich, oder Ich lebte und webte statt dessen ganz in den großen Vorgängen der Zeit. Dabei zeigte ich mich auch sonst wie verwandelt, ich betrug mich gegen Durch diesen Wunsch stand ich freilich wieder im Widerspruch mit ganz Weltgeschichte in Hinterwinkel Verfchied»e Bauern wollten in der letzten Zeit wiederholt Kanonenschüsse Dann verbreiteten sich aber auf einmal sehr beängstigende Nachrichten. Keiner war aufgeregter als ich. Und dabei fühlte ich mich glücklich, oder Ich lebte und webte statt dessen ganz in den großen Vorgängen der Zeit. Dabei zeigte ich mich auch sonst wie verwandelt, ich betrug mich gegen Durch diesen Wunsch stand ich freilich wieder im Widerspruch mit ganz <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0239" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212715"/> <fw type="header" place="top"> Weltgeschichte in Hinterwinkel</fw><lb/> <p xml:id="ID_779"> Verfchied»e Bauern wollten in der letzten Zeit wiederholt Kanonenschüsse<lb/> gehört haben; sie wurden aber ausgelacht. Man erklärte den Schall für fernes<lb/> Donnern, und nichts schien glaublicher in diesen Tagen des Juli.</p><lb/> <p xml:id="ID_780"> Dann verbreiteten sich aber auf einmal sehr beängstigende Nachrichten.<lb/> Unsre Soldaten seien bereits über den Odenwald zurückgewichen, der Krieg<lb/> komme immer näher. Die Kanonenschüsse wurden deutlicher, manche Leute<lb/> machten sich daran, ihre Schätze zu vergraben, Schätze, wie man sie in Hinter¬<lb/> winkel besaß. Dabei ließ die Arbeit nach; mau stand vor der Ernte, es fehlte<lb/> nicht an Getreide, das schon reif war, aber niemand mochte Hand anlegen.</p><lb/> <p xml:id="ID_781"> Keiner war aufgeregter als ich. Und dabei fühlte ich mich glücklich, oder<lb/> vielmehr, ich fühlte mich frei. All das Elend, das sich, durch eigue und fremde<lb/> Schuld, durch äußere Verhältnisse und innere Anlage veranlaßt, wie giftiger<lb/> Mehltau auf mein junges Lebensgefühl gelegt hatte, und das mich nicht<lb/> weniger zu verderben drohte, weil es vielleicht nur in meiner Einbildung be¬<lb/> stand, es zeigte sich plötzlich wie verflogen, aus dem einfachen Grunde, weil<lb/> ich nicht mehr dran dachte.</p><lb/> <p xml:id="ID_782"> Ich lebte und webte statt dessen ganz in den großen Vorgängen der Zeit.<lb/> Zwar wußte ich wenig von ihnen, nicht mehr als das übrige Hinterwinkel,<lb/> und hatte von Einzelheiten des Krieges nicht die geringste Vorstellung. Umso<lb/> geschäftiger zeigte sich meine Phantasie, nach ihrer Art die Dinge zu sehen oder<lb/> vielmehr mir zu zeigen, im Wache» und im Träumen. Ich lebte den ganzen<lb/> Krieg im Geiste mit, ich dichtete ihn mir, groß, gewaltig, eine Epopöe mit<lb/> ungeheuerlichen Umrissen, nach Reminiscenzen ans dem Kaiser Octavian und<lb/> den vier Haimouskiuderu. Ich wurde ein Schlachtcudeuker in des Worts ver¬<lb/> wegenster Bedeutung. Meine Bilder und Vorstellungen, voll Blut und Rauch,<lb/> ließen an phantastischer Originalität nichts zu wünschen übrig.</p><lb/> <p xml:id="ID_783"> Dabei zeigte ich mich auch sonst wie verwandelt, ich betrug mich gegen<lb/> jedermann lieb und freundlich wie in der frühern Kindheit. Alle gemütlichen<lb/> und geistigen Auswüchse der Flegeljahre schienen auf einmal überwunden. Nur<lb/> ein Wunsch blieb mir: das in der Phantasie vorgestellte einmal auch mit leib¬<lb/> haftigen Angen schauen zu dürfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_784" next="#ID_785"> Durch diesen Wunsch stand ich freilich wieder im Widerspruch mit ganz<lb/> Hinterwinkel, und hätte man meine Gedanken gewußt, so wäre ich sicherlich<lb/> dafür geprügelt worden. Aber ich konnte mir nicht helfen. Mochte der Krieg<lb/> ganz Hinterwinkel verheeren und Jammer und Elend mit sich bringen, wenn<lb/> ich ihn nur sehen durfte, den geheimnisvollen, unheimlich wilden Gesellen. Ich<lb/> war in meiner Jugend immer so. Wenn irgendwo ein Feuer ausbrach, gleich<lb/> wünschte ich, das ganze Dorf möchte davon ergriffen werden, um mich an dem<lb/> schrecklichen Schauspiel weiden zu können. Wenn sich bei Tauwetter, im<lb/> Februar oder März, der sonst so nüchterne Haselbach übernahm und die Gassen<lb/> von Hinterwinkel in eine einzige gelbe Pfütze verwandelte, daß die Bauer»</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0239]
Weltgeschichte in Hinterwinkel
Verfchied»e Bauern wollten in der letzten Zeit wiederholt Kanonenschüsse
gehört haben; sie wurden aber ausgelacht. Man erklärte den Schall für fernes
Donnern, und nichts schien glaublicher in diesen Tagen des Juli.
Dann verbreiteten sich aber auf einmal sehr beängstigende Nachrichten.
Unsre Soldaten seien bereits über den Odenwald zurückgewichen, der Krieg
komme immer näher. Die Kanonenschüsse wurden deutlicher, manche Leute
machten sich daran, ihre Schätze zu vergraben, Schätze, wie man sie in Hinter¬
winkel besaß. Dabei ließ die Arbeit nach; mau stand vor der Ernte, es fehlte
nicht an Getreide, das schon reif war, aber niemand mochte Hand anlegen.
Keiner war aufgeregter als ich. Und dabei fühlte ich mich glücklich, oder
vielmehr, ich fühlte mich frei. All das Elend, das sich, durch eigue und fremde
Schuld, durch äußere Verhältnisse und innere Anlage veranlaßt, wie giftiger
Mehltau auf mein junges Lebensgefühl gelegt hatte, und das mich nicht
weniger zu verderben drohte, weil es vielleicht nur in meiner Einbildung be¬
stand, es zeigte sich plötzlich wie verflogen, aus dem einfachen Grunde, weil
ich nicht mehr dran dachte.
Ich lebte und webte statt dessen ganz in den großen Vorgängen der Zeit.
Zwar wußte ich wenig von ihnen, nicht mehr als das übrige Hinterwinkel,
und hatte von Einzelheiten des Krieges nicht die geringste Vorstellung. Umso
geschäftiger zeigte sich meine Phantasie, nach ihrer Art die Dinge zu sehen oder
vielmehr mir zu zeigen, im Wache» und im Träumen. Ich lebte den ganzen
Krieg im Geiste mit, ich dichtete ihn mir, groß, gewaltig, eine Epopöe mit
ungeheuerlichen Umrissen, nach Reminiscenzen ans dem Kaiser Octavian und
den vier Haimouskiuderu. Ich wurde ein Schlachtcudeuker in des Worts ver¬
wegenster Bedeutung. Meine Bilder und Vorstellungen, voll Blut und Rauch,
ließen an phantastischer Originalität nichts zu wünschen übrig.
Dabei zeigte ich mich auch sonst wie verwandelt, ich betrug mich gegen
jedermann lieb und freundlich wie in der frühern Kindheit. Alle gemütlichen
und geistigen Auswüchse der Flegeljahre schienen auf einmal überwunden. Nur
ein Wunsch blieb mir: das in der Phantasie vorgestellte einmal auch mit leib¬
haftigen Angen schauen zu dürfen.
Durch diesen Wunsch stand ich freilich wieder im Widerspruch mit ganz
Hinterwinkel, und hätte man meine Gedanken gewußt, so wäre ich sicherlich
dafür geprügelt worden. Aber ich konnte mir nicht helfen. Mochte der Krieg
ganz Hinterwinkel verheeren und Jammer und Elend mit sich bringen, wenn
ich ihn nur sehen durfte, den geheimnisvollen, unheimlich wilden Gesellen. Ich
war in meiner Jugend immer so. Wenn irgendwo ein Feuer ausbrach, gleich
wünschte ich, das ganze Dorf möchte davon ergriffen werden, um mich an dem
schrecklichen Schauspiel weiden zu können. Wenn sich bei Tauwetter, im
Februar oder März, der sonst so nüchterne Haselbach übernahm und die Gassen
von Hinterwinkel in eine einzige gelbe Pfütze verwandelte, daß die Bauer»
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