Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.wird er bei allen heiligen Musikgeistern darauf schwören, ob das ordent¬ Mit großer Freimütigkeit behauptet Schumann seine selbständige Stellung Sehr anziehend ist es, zu beobachten, wie Schumann selbst in seinen Die neue Ausgabe ist von der Verlagshandlung aufs würdigste aus¬ wird er bei allen heiligen Musikgeistern darauf schwören, ob das ordent¬ Mit großer Freimütigkeit behauptet Schumann seine selbständige Stellung Sehr anziehend ist es, zu beobachten, wie Schumann selbst in seinen Die neue Ausgabe ist von der Verlagshandlung aufs würdigste aus¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0236" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212712"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_766" prev="#ID_765"> wird er bei allen heiligen Musikgeistern darauf schwören, ob das ordent¬<lb/> licher Sonatenstil oder nicht vielmehr wahrhaft gottloser. Aber Chopin<lb/> befindet sich im Kantorat, und vielleicht wird in derselben Behausung einst ein<lb/> romantischerer Enkel die Sonate finden, spielen und für sich denken: der Mann<lb/> hatte doch so Unrecht nicht."</p><lb/> <p xml:id="ID_767"> Mit großer Freimütigkeit behauptet Schumann seine selbständige Stellung<lb/> dem Publikum gegenüber. „In höchsten Dingen, sagt er, kommt es auf die<lb/> Meinung des Publikums gar nicht an. — Das Volk will so wenig als mög¬<lb/> lich nachdenken. — Die Mehrzahl ist nicht über die ersten Aufünge musika¬<lb/> lischer Bildung und Empfindung hinausgekommen. — O Drittel vom Publikum,<lb/> man sollte dich in eine Kanone laden, um das zweite der Philister tot zu<lb/> schießen."</p><lb/> <p xml:id="ID_768"> Sehr anziehend ist es, zu beobachten, wie Schumann selbst in seinen<lb/> Tonschöpfungen befolgte, was er als Kritiker ausgesprochen hatte. Bor<lb/> allem hält er auf gesangvolle Führung der Hauptstimmen. „Kühne Melodien<lb/> mußt du finden!" Er lobt sinnige Rückblicke, und an den Dnrchfnhrnngs-<lb/> teilen und den Rückgängen zum Thema will er den Wert einer Komposition<lb/> messen. Wie schön hat er alle diese Anforderungen selbst erfüllt! Einmal<lb/> hatte er die Komponisten aufgemuntert, kurze Konzert-Allegros zu schreiben.<lb/> Er selbst schrieb deren drei, und als er das erste (in ^.-moll) nicht beim Ver¬<lb/> leger anbringen konnte, baute er es zu dem Klavierkonzert op. 54 aus.</p><lb/> <p xml:id="ID_769" next="#ID_770"> Die neue Ausgabe ist von der Verlagshandlung aufs würdigste aus¬<lb/> gestattet worden. Höchst anerkennenswert sind auch die Bemühungen des<lb/> Herausgebers, durch ein genaues Inhaltsverzeichnis, durch Register über die<lb/> besprochnen Werke und die Personen uns schnell zurecht zu weisen. In dem<lb/> Register sind zuverlässige Angaben über Lebenszeit, Wohnort und Lebens¬<lb/> stellung der besprochnen Komponisten zu finden, die herbeizuschaffen für Jansen<lb/> gewiß keine geringe Arbeit gewesen ist. Die Vorrede über Schumanns Ent¬<lb/> wicklung als Schriftsteller bedarf keines Wortes, sie ist vor kurzem schon in<lb/> diesen Blättern gedruckt worden. Voll biographischer Gelehrsamkeit sind die aus¬<lb/> führlichen Anmerkungen am Schluß der Bände, wo Erläuterungen gegeben<lb/> werden über Schumanns Mitarbeiter an der Zeitschrift, über die Davids-<lb/> bündler die als ordentliche Mitarbeiter auf dem Titelblatt der Zeitschrift<lb/> unter den andern Namen angeführt wurden —, über seine Kämpfe mit Fink,<lb/> Varel und Schilling, über das Leipziger Musikleben. Auch über Schumanns<lb/> Verkehr mit Bennett und Henselt, über sein Leben in Dresden erfahren wir<lb/> viel neues aus Briefen und. Tagebüchern. Das Theaterbüchlein wird ergänzt<lb/> durch gelegentliche Äußerungen, die sich in dem Feuilleton der Zeitschrift über<lb/> die Opern des Tages vorfinden. Sie reichen bis zum Tannhäuser. Auch Be¬<lb/> sprechungen von Schumanns ersten Werken werden mitgeteilt, die in Rellstabs<lb/> Iris, in Gottfried Webers Ccieilia und im Wiener musikalischen Anzeiger er-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0236]
wird er bei allen heiligen Musikgeistern darauf schwören, ob das ordent¬
licher Sonatenstil oder nicht vielmehr wahrhaft gottloser. Aber Chopin
befindet sich im Kantorat, und vielleicht wird in derselben Behausung einst ein
romantischerer Enkel die Sonate finden, spielen und für sich denken: der Mann
hatte doch so Unrecht nicht."
Mit großer Freimütigkeit behauptet Schumann seine selbständige Stellung
dem Publikum gegenüber. „In höchsten Dingen, sagt er, kommt es auf die
Meinung des Publikums gar nicht an. — Das Volk will so wenig als mög¬
lich nachdenken. — Die Mehrzahl ist nicht über die ersten Aufünge musika¬
lischer Bildung und Empfindung hinausgekommen. — O Drittel vom Publikum,
man sollte dich in eine Kanone laden, um das zweite der Philister tot zu
schießen."
Sehr anziehend ist es, zu beobachten, wie Schumann selbst in seinen
Tonschöpfungen befolgte, was er als Kritiker ausgesprochen hatte. Bor
allem hält er auf gesangvolle Führung der Hauptstimmen. „Kühne Melodien
mußt du finden!" Er lobt sinnige Rückblicke, und an den Dnrchfnhrnngs-
teilen und den Rückgängen zum Thema will er den Wert einer Komposition
messen. Wie schön hat er alle diese Anforderungen selbst erfüllt! Einmal
hatte er die Komponisten aufgemuntert, kurze Konzert-Allegros zu schreiben.
Er selbst schrieb deren drei, und als er das erste (in ^.-moll) nicht beim Ver¬
leger anbringen konnte, baute er es zu dem Klavierkonzert op. 54 aus.
Die neue Ausgabe ist von der Verlagshandlung aufs würdigste aus¬
gestattet worden. Höchst anerkennenswert sind auch die Bemühungen des
Herausgebers, durch ein genaues Inhaltsverzeichnis, durch Register über die
besprochnen Werke und die Personen uns schnell zurecht zu weisen. In dem
Register sind zuverlässige Angaben über Lebenszeit, Wohnort und Lebens¬
stellung der besprochnen Komponisten zu finden, die herbeizuschaffen für Jansen
gewiß keine geringe Arbeit gewesen ist. Die Vorrede über Schumanns Ent¬
wicklung als Schriftsteller bedarf keines Wortes, sie ist vor kurzem schon in
diesen Blättern gedruckt worden. Voll biographischer Gelehrsamkeit sind die aus¬
führlichen Anmerkungen am Schluß der Bände, wo Erläuterungen gegeben
werden über Schumanns Mitarbeiter an der Zeitschrift, über die Davids-
bündler die als ordentliche Mitarbeiter auf dem Titelblatt der Zeitschrift
unter den andern Namen angeführt wurden —, über seine Kämpfe mit Fink,
Varel und Schilling, über das Leipziger Musikleben. Auch über Schumanns
Verkehr mit Bennett und Henselt, über sein Leben in Dresden erfahren wir
viel neues aus Briefen und. Tagebüchern. Das Theaterbüchlein wird ergänzt
durch gelegentliche Äußerungen, die sich in dem Feuilleton der Zeitschrift über
die Opern des Tages vorfinden. Sie reichen bis zum Tannhäuser. Auch Be¬
sprechungen von Schumanns ersten Werken werden mitgeteilt, die in Rellstabs
Iris, in Gottfried Webers Ccieilia und im Wiener musikalischen Anzeiger er-
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