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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Robert Schumanns gesammelte Schriften

geführt, allen voran Clara Wieck, die unvergleichliche Künstlerin, der es in
einem an Freuden und Prüfungen reichen Leben noch zu sehen vergönnt
ist, wie sich der Ruhm und die Werke ihres Ganten über die ganze Welt ver¬
breitet haben.

Blicken wir aber auch auf die Kämpfe, die Schumann als Redakteur zu
führen hatte. Er stritt gegen die unkünstlerische Richtung, die nur auf äußer¬
liche Virtuosität ausging; er wehrte sich gegen die Charakterlosigkeit der All¬
gemeinen musikalischen Zeitung, die sich zur Schutzpatronin der Mittelmäßigkeit
gemacht hatte, die stets "am Vortrefflichen eine mangelhafte Seite herauszu¬
kehren und selbst das Stümperhafte nicht ohne Verdienst zu finden wußte."
Er meinte, das Zeitalter der gegenseitigen Komplimente gehe zu Grabe, und
er wolle zu seiner Belebung nichts beitragen. Indem er sich so von einer
unwahren Höflichkeit lossagte, sprach er denselben Gedanken ans wie Lessing
(Dramaturgie Se. 4l): "Wenn die Höflichkeit darin besteht, daß man einem
auch in solchen Stücken Recht giebt, wo er sich schämen müßte, Recht zu haben,
so weiß ich nicht, was beleidigender und einem freien Manne unanständiger
sein kann als diese verzweifelte Höflichkeit." Mit demselben Sinne für Wahr¬
heit übte er freilich bisweilen eine herbe Kritik; zornig loderte er auf, wenn
er die Würde der Kunst gefährdet sah. So sprach er sich gänzlich ablehnend
gegen die Hugenotten aus, und rückhaltlos verwarf er das Oratorium von
A. B. Marx. Gegen die Philisterhaftigkeit "lebloser, leichtsinniger und hand¬
werksmäßiger" Kompositionen ist er nicht müde geworden zu kämpfen.

In seinem tiefgegründeten Sinne für Wahrheit dachte aber Schumann stets
darauf, jede Einseitigkeit des Urteils zu vermeiden; darum ließ er so entgegen¬
gesetzte Charaktere wie Florestan und Eusebius sich über dieselbe Komposition
aussprechen. Dadurch kommt Leben und Farbe in die Kritiken, der Leser wird
zu innerlicher Beteiligung herangezogen, um Rede und Gegenrede selbst abzu¬
wägen. Übrigens versteht man Florestan und Eusebius erst recht, wenn man
sie auffaßt als die beiden großen Gegensätze aller Musik selbst, die sich zu
einem harmonischen Ganzen vereinen. Als solche rein musikalische Charaktere
werden sie uns erkennbar in der ersten und siebenten Novellette von Schumann
<!''-,!">' und it-clur), wo die Hauptsätze rasch und feurig sind wie Florestan,
die Mittelsätze zart und singend wie Eusebius. Wir sinden sie auch ungesucht
bei Beethoven, denn das Adagio der ^is-moll-Sonate steht dem Finale gegen¬
über wie Eusebius dem Florestan. Ja jedes rechte zweite Thema eines Satzes
steht zu dem ersten in diesem Verhältnis; man denke nur an die Corivlan-
vnvcrtttre!

Was aber der Kritiker Schumann mit seiner musikalische" Seele empfunden
hatte, das stellte er auch herrlich dar in der Sprache des Dichters. In
treffenden Bildern giebt er den Eindruck dieser Kompositionen wieder. Nur
ein Beispiel. Nachdem er Mendelssohns Violinkonzert gehört hat, schreibt er


Robert Schumanns gesammelte Schriften

geführt, allen voran Clara Wieck, die unvergleichliche Künstlerin, der es in
einem an Freuden und Prüfungen reichen Leben noch zu sehen vergönnt
ist, wie sich der Ruhm und die Werke ihres Ganten über die ganze Welt ver¬
breitet haben.

Blicken wir aber auch auf die Kämpfe, die Schumann als Redakteur zu
führen hatte. Er stritt gegen die unkünstlerische Richtung, die nur auf äußer¬
liche Virtuosität ausging; er wehrte sich gegen die Charakterlosigkeit der All¬
gemeinen musikalischen Zeitung, die sich zur Schutzpatronin der Mittelmäßigkeit
gemacht hatte, die stets „am Vortrefflichen eine mangelhafte Seite herauszu¬
kehren und selbst das Stümperhafte nicht ohne Verdienst zu finden wußte."
Er meinte, das Zeitalter der gegenseitigen Komplimente gehe zu Grabe, und
er wolle zu seiner Belebung nichts beitragen. Indem er sich so von einer
unwahren Höflichkeit lossagte, sprach er denselben Gedanken ans wie Lessing
(Dramaturgie Se. 4l): „Wenn die Höflichkeit darin besteht, daß man einem
auch in solchen Stücken Recht giebt, wo er sich schämen müßte, Recht zu haben,
so weiß ich nicht, was beleidigender und einem freien Manne unanständiger
sein kann als diese verzweifelte Höflichkeit." Mit demselben Sinne für Wahr¬
heit übte er freilich bisweilen eine herbe Kritik; zornig loderte er auf, wenn
er die Würde der Kunst gefährdet sah. So sprach er sich gänzlich ablehnend
gegen die Hugenotten aus, und rückhaltlos verwarf er das Oratorium von
A. B. Marx. Gegen die Philisterhaftigkeit „lebloser, leichtsinniger und hand¬
werksmäßiger" Kompositionen ist er nicht müde geworden zu kämpfen.

In seinem tiefgegründeten Sinne für Wahrheit dachte aber Schumann stets
darauf, jede Einseitigkeit des Urteils zu vermeiden; darum ließ er so entgegen¬
gesetzte Charaktere wie Florestan und Eusebius sich über dieselbe Komposition
aussprechen. Dadurch kommt Leben und Farbe in die Kritiken, der Leser wird
zu innerlicher Beteiligung herangezogen, um Rede und Gegenrede selbst abzu¬
wägen. Übrigens versteht man Florestan und Eusebius erst recht, wenn man
sie auffaßt als die beiden großen Gegensätze aller Musik selbst, die sich zu
einem harmonischen Ganzen vereinen. Als solche rein musikalische Charaktere
werden sie uns erkennbar in der ersten und siebenten Novellette von Schumann
<!''-,!»>' und it-clur), wo die Hauptsätze rasch und feurig sind wie Florestan,
die Mittelsätze zart und singend wie Eusebius. Wir sinden sie auch ungesucht
bei Beethoven, denn das Adagio der ^is-moll-Sonate steht dem Finale gegen¬
über wie Eusebius dem Florestan. Ja jedes rechte zweite Thema eines Satzes
steht zu dem ersten in diesem Verhältnis; man denke nur an die Corivlan-
vnvcrtttre!

Was aber der Kritiker Schumann mit seiner musikalische» Seele empfunden
hatte, das stellte er auch herrlich dar in der Sprache des Dichters. In
treffenden Bildern giebt er den Eindruck dieser Kompositionen wieder. Nur
ein Beispiel. Nachdem er Mendelssohns Violinkonzert gehört hat, schreibt er


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[0234] Robert Schumanns gesammelte Schriften geführt, allen voran Clara Wieck, die unvergleichliche Künstlerin, der es in einem an Freuden und Prüfungen reichen Leben noch zu sehen vergönnt ist, wie sich der Ruhm und die Werke ihres Ganten über die ganze Welt ver¬ breitet haben. Blicken wir aber auch auf die Kämpfe, die Schumann als Redakteur zu führen hatte. Er stritt gegen die unkünstlerische Richtung, die nur auf äußer¬ liche Virtuosität ausging; er wehrte sich gegen die Charakterlosigkeit der All¬ gemeinen musikalischen Zeitung, die sich zur Schutzpatronin der Mittelmäßigkeit gemacht hatte, die stets „am Vortrefflichen eine mangelhafte Seite herauszu¬ kehren und selbst das Stümperhafte nicht ohne Verdienst zu finden wußte." Er meinte, das Zeitalter der gegenseitigen Komplimente gehe zu Grabe, und er wolle zu seiner Belebung nichts beitragen. Indem er sich so von einer unwahren Höflichkeit lossagte, sprach er denselben Gedanken ans wie Lessing (Dramaturgie Se. 4l): „Wenn die Höflichkeit darin besteht, daß man einem auch in solchen Stücken Recht giebt, wo er sich schämen müßte, Recht zu haben, so weiß ich nicht, was beleidigender und einem freien Manne unanständiger sein kann als diese verzweifelte Höflichkeit." Mit demselben Sinne für Wahr¬ heit übte er freilich bisweilen eine herbe Kritik; zornig loderte er auf, wenn er die Würde der Kunst gefährdet sah. So sprach er sich gänzlich ablehnend gegen die Hugenotten aus, und rückhaltlos verwarf er das Oratorium von A. B. Marx. Gegen die Philisterhaftigkeit „lebloser, leichtsinniger und hand¬ werksmäßiger" Kompositionen ist er nicht müde geworden zu kämpfen. In seinem tiefgegründeten Sinne für Wahrheit dachte aber Schumann stets darauf, jede Einseitigkeit des Urteils zu vermeiden; darum ließ er so entgegen¬ gesetzte Charaktere wie Florestan und Eusebius sich über dieselbe Komposition aussprechen. Dadurch kommt Leben und Farbe in die Kritiken, der Leser wird zu innerlicher Beteiligung herangezogen, um Rede und Gegenrede selbst abzu¬ wägen. Übrigens versteht man Florestan und Eusebius erst recht, wenn man sie auffaßt als die beiden großen Gegensätze aller Musik selbst, die sich zu einem harmonischen Ganzen vereinen. Als solche rein musikalische Charaktere werden sie uns erkennbar in der ersten und siebenten Novellette von Schumann <!''-,!»>' und it-clur), wo die Hauptsätze rasch und feurig sind wie Florestan, die Mittelsätze zart und singend wie Eusebius. Wir sinden sie auch ungesucht bei Beethoven, denn das Adagio der ^is-moll-Sonate steht dem Finale gegen¬ über wie Eusebius dem Florestan. Ja jedes rechte zweite Thema eines Satzes steht zu dem ersten in diesem Verhältnis; man denke nur an die Corivlan- vnvcrtttre! Was aber der Kritiker Schumann mit seiner musikalische» Seele empfunden hatte, das stellte er auch herrlich dar in der Sprache des Dichters. In treffenden Bildern giebt er den Eindruck dieser Kompositionen wieder. Nur ein Beispiel. Nachdem er Mendelssohns Violinkonzert gehört hat, schreibt er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/234>, abgerufen am 08.01.2025.