Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Nellstnb leidenschaftlich bekämpft; Schumann begleitete seine Laufbahn mit
liebevollster Teilnahme und doch frei von aller Parteilichkeit. Er bewunderte
seine Schwärmerei, seine Grazie, seine Glut und seinen Adel, aber er ver¬
kannte auch nicht seine Wunderlichkeit und seine krankhafte Überspanntheit.
Er lobte es wohl, wenn andre Komponisten Chopins zarte Wendungen nach¬
ahmten, doch "seine sonstigen Kränseleien und Säuseleien sollten sie nicht nach¬
machen. Chopin bezaubert damit, an andern sind sie nicht auszustehen."

Auch auf Berlioz hat Schumann zuerst hingewiesen. In seiner sorg¬
fältigen Zergliederung der Symphonie "Aus dem Leben eines Künstlers"
sucht er das Bestreben zu rechtfertigen, poetischen Gehalt durch die Musik
auszudrücken. Dieses Streben war ihm erfreulich, da es übereinstimmte mit
seiner eigne" Auffassung der "Toudichtkuust." Schumann trat mit seinem
günstigen Urteil über den von den Franzosen selbst erst jetzt beachteten und
gar zum Nationalheldeu erhobnen Berlioz damals aller Welt gegenüber.
Felis, dessen Aufsatz über Berlioz Schumann übersetzt, auch Jansen wieder
abgedruckt hat, ließ an dem jungen Neuerer kein gutes Haar. Auch Mendels¬
sohn urteilte sehr ungünstig über ihn und wollte nicht einmal seine Instru-
mentirung gelten lassen. Auf Schumann übte Berlioz trotz des vielen be¬
leidigenden und für ein deutsches Ohr ungewohnten in seiner Musik einen
unwiderstehlichen Reiz aus. Doch gesteht auch er: "Man weiß nicht, ob man
ihn ein Genie oder einen musikalischen Abenteurer nennen soll. Wie ein
Wetterstrahl leuchtet er, aber auch einen Schwefelgestank hinterläßt er; stellt
große Wahrheiten hin und füllt bald darauf in schülerhaftes Gelalle."

Junige Freude empfand Schumann an den Werken von Vennett, Stephen
Heller und Adolf Henselt, sehr schön spricht er auch über Field, Cramer und
Ludwig Berger. Gerechte Würdigung finden Moscheles und Hummel, Spohr,
Lachuer, Loewe und Hiller, Taubert, Dorn und Marschner, Gabe und Rietz.
Hoch über alle aber stellt er Mendelssohn, "die gebildetste Künstlernatur
unsrer Tage, in allen Gattungen gleich eigentümlich und meisterhaft wirkend.
Ihm gebührt die Palme unter den Zeitgenossen." Schon durch eine
Ouvertüre habe er sich unsterblich gemacht: "es wäre genug Ruhms an der
Sommeruachtstraumouvertürc, die andern könnten andre Komponistennamcn
tragen."

Auch bei Robert Franz und Joachim Raff erkannte Schumann nach den
ersten Werken, wie sie sich entwickeln würden. Von dem jungen Rubinstein
hat er nur noch eine kleine Komposition erwähnt, ehe er sich von der Zeit¬
schrift zurückzog. Aber l 853 ergriff er noch einmal das Wort, um der Welt
das Erscheinen von Johannes Brahms zu verkünden. Es war die letzte
große Freude seines Lebens, daß er diese Weissagung aussprechen konnte, deren
glänzende Erfüllung wir heute erleben. ,

Neben den Komponisten wird uns eine Reihe ausübender Künstler vor-


Grenzboten III 1892 29

Nellstnb leidenschaftlich bekämpft; Schumann begleitete seine Laufbahn mit
liebevollster Teilnahme und doch frei von aller Parteilichkeit. Er bewunderte
seine Schwärmerei, seine Grazie, seine Glut und seinen Adel, aber er ver¬
kannte auch nicht seine Wunderlichkeit und seine krankhafte Überspanntheit.
Er lobte es wohl, wenn andre Komponisten Chopins zarte Wendungen nach¬
ahmten, doch „seine sonstigen Kränseleien und Säuseleien sollten sie nicht nach¬
machen. Chopin bezaubert damit, an andern sind sie nicht auszustehen."

Auch auf Berlioz hat Schumann zuerst hingewiesen. In seiner sorg¬
fältigen Zergliederung der Symphonie „Aus dem Leben eines Künstlers"
sucht er das Bestreben zu rechtfertigen, poetischen Gehalt durch die Musik
auszudrücken. Dieses Streben war ihm erfreulich, da es übereinstimmte mit
seiner eigne» Auffassung der „Toudichtkuust." Schumann trat mit seinem
günstigen Urteil über den von den Franzosen selbst erst jetzt beachteten und
gar zum Nationalheldeu erhobnen Berlioz damals aller Welt gegenüber.
Felis, dessen Aufsatz über Berlioz Schumann übersetzt, auch Jansen wieder
abgedruckt hat, ließ an dem jungen Neuerer kein gutes Haar. Auch Mendels¬
sohn urteilte sehr ungünstig über ihn und wollte nicht einmal seine Instru-
mentirung gelten lassen. Auf Schumann übte Berlioz trotz des vielen be¬
leidigenden und für ein deutsches Ohr ungewohnten in seiner Musik einen
unwiderstehlichen Reiz aus. Doch gesteht auch er: „Man weiß nicht, ob man
ihn ein Genie oder einen musikalischen Abenteurer nennen soll. Wie ein
Wetterstrahl leuchtet er, aber auch einen Schwefelgestank hinterläßt er; stellt
große Wahrheiten hin und füllt bald darauf in schülerhaftes Gelalle."

Junige Freude empfand Schumann an den Werken von Vennett, Stephen
Heller und Adolf Henselt, sehr schön spricht er auch über Field, Cramer und
Ludwig Berger. Gerechte Würdigung finden Moscheles und Hummel, Spohr,
Lachuer, Loewe und Hiller, Taubert, Dorn und Marschner, Gabe und Rietz.
Hoch über alle aber stellt er Mendelssohn, „die gebildetste Künstlernatur
unsrer Tage, in allen Gattungen gleich eigentümlich und meisterhaft wirkend.
Ihm gebührt die Palme unter den Zeitgenossen." Schon durch eine
Ouvertüre habe er sich unsterblich gemacht: „es wäre genug Ruhms an der
Sommeruachtstraumouvertürc, die andern könnten andre Komponistennamcn
tragen."

Auch bei Robert Franz und Joachim Raff erkannte Schumann nach den
ersten Werken, wie sie sich entwickeln würden. Von dem jungen Rubinstein
hat er nur noch eine kleine Komposition erwähnt, ehe er sich von der Zeit¬
schrift zurückzog. Aber l 853 ergriff er noch einmal das Wort, um der Welt
das Erscheinen von Johannes Brahms zu verkünden. Es war die letzte
große Freude seines Lebens, daß er diese Weissagung aussprechen konnte, deren
glänzende Erfüllung wir heute erleben. ,

Neben den Komponisten wird uns eine Reihe ausübender Künstler vor-


Grenzboten III 1892 29
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0233" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212709"/>
          <p xml:id="ID_755" prev="#ID_754"> Nellstnb leidenschaftlich bekämpft; Schumann begleitete seine Laufbahn mit<lb/>
liebevollster Teilnahme und doch frei von aller Parteilichkeit. Er bewunderte<lb/>
seine Schwärmerei, seine Grazie, seine Glut und seinen Adel, aber er ver¬<lb/>
kannte auch nicht seine Wunderlichkeit und seine krankhafte Überspanntheit.<lb/>
Er lobte es wohl, wenn andre Komponisten Chopins zarte Wendungen nach¬<lb/>
ahmten, doch &#x201E;seine sonstigen Kränseleien und Säuseleien sollten sie nicht nach¬<lb/>
machen.  Chopin bezaubert damit, an andern sind sie nicht auszustehen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_756"> Auch auf Berlioz hat Schumann zuerst hingewiesen. In seiner sorg¬<lb/>
fältigen Zergliederung der Symphonie &#x201E;Aus dem Leben eines Künstlers"<lb/>
sucht er das Bestreben zu rechtfertigen, poetischen Gehalt durch die Musik<lb/>
auszudrücken. Dieses Streben war ihm erfreulich, da es übereinstimmte mit<lb/>
seiner eigne» Auffassung der &#x201E;Toudichtkuust." Schumann trat mit seinem<lb/>
günstigen Urteil über den von den Franzosen selbst erst jetzt beachteten und<lb/>
gar zum Nationalheldeu erhobnen Berlioz damals aller Welt gegenüber.<lb/>
Felis, dessen Aufsatz über Berlioz Schumann übersetzt, auch Jansen wieder<lb/>
abgedruckt hat, ließ an dem jungen Neuerer kein gutes Haar. Auch Mendels¬<lb/>
sohn urteilte sehr ungünstig über ihn und wollte nicht einmal seine Instru-<lb/>
mentirung gelten lassen. Auf Schumann übte Berlioz trotz des vielen be¬<lb/>
leidigenden und für ein deutsches Ohr ungewohnten in seiner Musik einen<lb/>
unwiderstehlichen Reiz aus. Doch gesteht auch er: &#x201E;Man weiß nicht, ob man<lb/>
ihn ein Genie oder einen musikalischen Abenteurer nennen soll. Wie ein<lb/>
Wetterstrahl leuchtet er, aber auch einen Schwefelgestank hinterläßt er; stellt<lb/>
große Wahrheiten hin und füllt bald darauf in schülerhaftes Gelalle."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_757"> Junige Freude empfand Schumann an den Werken von Vennett, Stephen<lb/>
Heller und Adolf Henselt, sehr schön spricht er auch über Field, Cramer und<lb/>
Ludwig Berger. Gerechte Würdigung finden Moscheles und Hummel, Spohr,<lb/>
Lachuer, Loewe und Hiller, Taubert, Dorn und Marschner, Gabe und Rietz.<lb/>
Hoch über alle aber stellt er Mendelssohn, &#x201E;die gebildetste Künstlernatur<lb/>
unsrer Tage, in allen Gattungen gleich eigentümlich und meisterhaft wirkend.<lb/>
Ihm gebührt die Palme unter den Zeitgenossen." Schon durch eine<lb/>
Ouvertüre habe er sich unsterblich gemacht: &#x201E;es wäre genug Ruhms an der<lb/>
Sommeruachtstraumouvertürc, die andern könnten andre Komponistennamcn<lb/>
tragen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_758"> Auch bei Robert Franz und Joachim Raff erkannte Schumann nach den<lb/>
ersten Werken, wie sie sich entwickeln würden. Von dem jungen Rubinstein<lb/>
hat er nur noch eine kleine Komposition erwähnt, ehe er sich von der Zeit¬<lb/>
schrift zurückzog. Aber l 853 ergriff er noch einmal das Wort, um der Welt<lb/>
das Erscheinen von Johannes Brahms zu verkünden. Es war die letzte<lb/>
große Freude seines Lebens, daß er diese Weissagung aussprechen konnte, deren<lb/>
glänzende Erfüllung wir heute erleben. ,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_759" next="#ID_760"> Neben den Komponisten wird uns eine Reihe ausübender Künstler vor-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1892 29</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0233] Nellstnb leidenschaftlich bekämpft; Schumann begleitete seine Laufbahn mit liebevollster Teilnahme und doch frei von aller Parteilichkeit. Er bewunderte seine Schwärmerei, seine Grazie, seine Glut und seinen Adel, aber er ver¬ kannte auch nicht seine Wunderlichkeit und seine krankhafte Überspanntheit. Er lobte es wohl, wenn andre Komponisten Chopins zarte Wendungen nach¬ ahmten, doch „seine sonstigen Kränseleien und Säuseleien sollten sie nicht nach¬ machen. Chopin bezaubert damit, an andern sind sie nicht auszustehen." Auch auf Berlioz hat Schumann zuerst hingewiesen. In seiner sorg¬ fältigen Zergliederung der Symphonie „Aus dem Leben eines Künstlers" sucht er das Bestreben zu rechtfertigen, poetischen Gehalt durch die Musik auszudrücken. Dieses Streben war ihm erfreulich, da es übereinstimmte mit seiner eigne» Auffassung der „Toudichtkuust." Schumann trat mit seinem günstigen Urteil über den von den Franzosen selbst erst jetzt beachteten und gar zum Nationalheldeu erhobnen Berlioz damals aller Welt gegenüber. Felis, dessen Aufsatz über Berlioz Schumann übersetzt, auch Jansen wieder abgedruckt hat, ließ an dem jungen Neuerer kein gutes Haar. Auch Mendels¬ sohn urteilte sehr ungünstig über ihn und wollte nicht einmal seine Instru- mentirung gelten lassen. Auf Schumann übte Berlioz trotz des vielen be¬ leidigenden und für ein deutsches Ohr ungewohnten in seiner Musik einen unwiderstehlichen Reiz aus. Doch gesteht auch er: „Man weiß nicht, ob man ihn ein Genie oder einen musikalischen Abenteurer nennen soll. Wie ein Wetterstrahl leuchtet er, aber auch einen Schwefelgestank hinterläßt er; stellt große Wahrheiten hin und füllt bald darauf in schülerhaftes Gelalle." Junige Freude empfand Schumann an den Werken von Vennett, Stephen Heller und Adolf Henselt, sehr schön spricht er auch über Field, Cramer und Ludwig Berger. Gerechte Würdigung finden Moscheles und Hummel, Spohr, Lachuer, Loewe und Hiller, Taubert, Dorn und Marschner, Gabe und Rietz. Hoch über alle aber stellt er Mendelssohn, „die gebildetste Künstlernatur unsrer Tage, in allen Gattungen gleich eigentümlich und meisterhaft wirkend. Ihm gebührt die Palme unter den Zeitgenossen." Schon durch eine Ouvertüre habe er sich unsterblich gemacht: „es wäre genug Ruhms an der Sommeruachtstraumouvertürc, die andern könnten andre Komponistennamcn tragen." Auch bei Robert Franz und Joachim Raff erkannte Schumann nach den ersten Werken, wie sie sich entwickeln würden. Von dem jungen Rubinstein hat er nur noch eine kleine Komposition erwähnt, ehe er sich von der Zeit¬ schrift zurückzog. Aber l 853 ergriff er noch einmal das Wort, um der Welt das Erscheinen von Johannes Brahms zu verkünden. Es war die letzte große Freude seines Lebens, daß er diese Weissagung aussprechen konnte, deren glänzende Erfüllung wir heute erleben. , Neben den Komponisten wird uns eine Reihe ausübender Künstler vor- Grenzboten III 1892 29

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/233
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/233>, abgerufen am 08.01.2025.