Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Robert Schumanns gesammelte Schriften

schiedne Arbeiten Schumanns entgangen, die Jansen zuerst gebracht und womit
er nun die möglichste Vollständigkeit erreicht hat. Nur eine größere Ab¬
handlung Schumanns hätte noch hinzugefügt werden können, die zwischen
Noten versteckt ist, nämlich die Vorrede zu den ersten Pagcminietüden (Werk 3).
Diese wundervolle Darstellung mit ihren zahlreichen Notenbeispielen zeigt, durch
welche Mittel Schumann dem Klavier neue Wirkungen abzugewinnen wußte.
Hier sieht man die Grundlage seiner eignen Klaviertechnik. Nimmt man noch
den Aufsatz "über die Pianoforteetüden, ihrem Zwecke uach geordnet" hinzu, so
läßt sich eine vollständige Schule des höhern Klavierspiels darauf aufbauen. Die
genannte Vorrede gehört zu dem Trefflichsten, was Schumann geschrieben hat.

Hier, in den zahlreichen, eingehenden Besprechungen von Etüden, hören
wir den praktischen Musiker. Als solcher zeigt sich Schumann aber auch, wenn
er in den Partituren Beethovens und Bachs lange durchgeschleppte Fehler
aufdeckt, wenn er eine C. M. von Weber zugeschriebne Komposition für unter¬
geschoben erklärt. Vor allem aber offenbart sich seine musikalische Seele darin,
daß sie für alles Echte in der Kunst unmittelbares Verständnis hat, mochte
es alt oder neu sein.

In Ausdrücken der höchsten Bewunderung spricht Schumann von Johann
Sebastian Bach; "der größte Komponist der Welt ist er." Einer Zeit, die
sich "erst auf Beethoven besann," hielt er vor, welche Schätze in Beethovens
letzten Quartetten lägen. "Dem menschlichen Geiste kann kaum etwas Wunder¬
würdigeres geboten werden als diese Schöpfungen, denen in ihrem alle mensch¬
lichen Satzungen überschwebendeu Ideenflüge von andrer neuerer Musik gar
nichts verglichen werden kann." Welch ein herrliches Bild giebt er von der
<ü-rnoU-Shmphonie (in dem ersten Aussatze über das Beethovendcnkmal), welche
Verehrung weiht er der großen Leonorenouvertüre, "dem Ergreifendsten viel¬
leicht, was die Musik überhaupt aufzuweisen hat." Heute weiß das ja jeder,
aber vor sechzig Jahren war es Schumann, der Beethovens Bedeutung zum
erstenmale ganz erfaßt hatte. Weit über hundertmal nennt er Beethovens
Namen in seinen Schriften. Oft gedenkt er Mozarts, des "frischen, lebens¬
reichen," treffend urteilt er über Haydn, Gluck und Weber, vor allem feiert
er Franz Schubert, den er schwärmerisch liebte. "Er war der Höchste nach
Beethoven." Schumanns Aussprüche über Schubert sind wahre Bausteine zur
Musikgeschichte, die mit Schumann und den andern Tondichtern seiner Zeit
gerade in eine neue Periode trat. Auch über diese zeitgenössischen Künstler
geben Schumanns Schriften die beste Auskunft.

Mehr als einmal hat Schumann die Bedeutung eines neu auftretenden
Komponisten gleich nach seinem ersten Werk für alle Zeiten festgestellt. Auch
hier erkannte seine musikalische Seele die verwandten Geister. So huldigte er
Chopin, über dessen Don Juan-Variationen er schrieb: "Ich beuge mein Haupt
solchem Genius, solchem Streben, solcher Meisterschaft." Chopin wurde von


Robert Schumanns gesammelte Schriften

schiedne Arbeiten Schumanns entgangen, die Jansen zuerst gebracht und womit
er nun die möglichste Vollständigkeit erreicht hat. Nur eine größere Ab¬
handlung Schumanns hätte noch hinzugefügt werden können, die zwischen
Noten versteckt ist, nämlich die Vorrede zu den ersten Pagcminietüden (Werk 3).
Diese wundervolle Darstellung mit ihren zahlreichen Notenbeispielen zeigt, durch
welche Mittel Schumann dem Klavier neue Wirkungen abzugewinnen wußte.
Hier sieht man die Grundlage seiner eignen Klaviertechnik. Nimmt man noch
den Aufsatz „über die Pianoforteetüden, ihrem Zwecke uach geordnet" hinzu, so
läßt sich eine vollständige Schule des höhern Klavierspiels darauf aufbauen. Die
genannte Vorrede gehört zu dem Trefflichsten, was Schumann geschrieben hat.

Hier, in den zahlreichen, eingehenden Besprechungen von Etüden, hören
wir den praktischen Musiker. Als solcher zeigt sich Schumann aber auch, wenn
er in den Partituren Beethovens und Bachs lange durchgeschleppte Fehler
aufdeckt, wenn er eine C. M. von Weber zugeschriebne Komposition für unter¬
geschoben erklärt. Vor allem aber offenbart sich seine musikalische Seele darin,
daß sie für alles Echte in der Kunst unmittelbares Verständnis hat, mochte
es alt oder neu sein.

In Ausdrücken der höchsten Bewunderung spricht Schumann von Johann
Sebastian Bach; „der größte Komponist der Welt ist er." Einer Zeit, die
sich „erst auf Beethoven besann," hielt er vor, welche Schätze in Beethovens
letzten Quartetten lägen. „Dem menschlichen Geiste kann kaum etwas Wunder¬
würdigeres geboten werden als diese Schöpfungen, denen in ihrem alle mensch¬
lichen Satzungen überschwebendeu Ideenflüge von andrer neuerer Musik gar
nichts verglichen werden kann." Welch ein herrliches Bild giebt er von der
<ü-rnoU-Shmphonie (in dem ersten Aussatze über das Beethovendcnkmal), welche
Verehrung weiht er der großen Leonorenouvertüre, „dem Ergreifendsten viel¬
leicht, was die Musik überhaupt aufzuweisen hat." Heute weiß das ja jeder,
aber vor sechzig Jahren war es Schumann, der Beethovens Bedeutung zum
erstenmale ganz erfaßt hatte. Weit über hundertmal nennt er Beethovens
Namen in seinen Schriften. Oft gedenkt er Mozarts, des „frischen, lebens¬
reichen," treffend urteilt er über Haydn, Gluck und Weber, vor allem feiert
er Franz Schubert, den er schwärmerisch liebte. „Er war der Höchste nach
Beethoven." Schumanns Aussprüche über Schubert sind wahre Bausteine zur
Musikgeschichte, die mit Schumann und den andern Tondichtern seiner Zeit
gerade in eine neue Periode trat. Auch über diese zeitgenössischen Künstler
geben Schumanns Schriften die beste Auskunft.

Mehr als einmal hat Schumann die Bedeutung eines neu auftretenden
Komponisten gleich nach seinem ersten Werk für alle Zeiten festgestellt. Auch
hier erkannte seine musikalische Seele die verwandten Geister. So huldigte er
Chopin, über dessen Don Juan-Variationen er schrieb: „Ich beuge mein Haupt
solchem Genius, solchem Streben, solcher Meisterschaft." Chopin wurde von


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0232" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212708"/>
          <fw type="header" place="top"> Robert Schumanns gesammelte Schriften</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_751" prev="#ID_750"> schiedne Arbeiten Schumanns entgangen, die Jansen zuerst gebracht und womit<lb/>
er nun die möglichste Vollständigkeit erreicht hat. Nur eine größere Ab¬<lb/>
handlung Schumanns hätte noch hinzugefügt werden können, die zwischen<lb/>
Noten versteckt ist, nämlich die Vorrede zu den ersten Pagcminietüden (Werk 3).<lb/>
Diese wundervolle Darstellung mit ihren zahlreichen Notenbeispielen zeigt, durch<lb/>
welche Mittel Schumann dem Klavier neue Wirkungen abzugewinnen wußte.<lb/>
Hier sieht man die Grundlage seiner eignen Klaviertechnik. Nimmt man noch<lb/>
den Aufsatz &#x201E;über die Pianoforteetüden, ihrem Zwecke uach geordnet" hinzu, so<lb/>
läßt sich eine vollständige Schule des höhern Klavierspiels darauf aufbauen. Die<lb/>
genannte Vorrede gehört zu dem Trefflichsten, was Schumann geschrieben hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_752"> Hier, in den zahlreichen, eingehenden Besprechungen von Etüden, hören<lb/>
wir den praktischen Musiker. Als solcher zeigt sich Schumann aber auch, wenn<lb/>
er in den Partituren Beethovens und Bachs lange durchgeschleppte Fehler<lb/>
aufdeckt, wenn er eine C. M. von Weber zugeschriebne Komposition für unter¬<lb/>
geschoben erklärt. Vor allem aber offenbart sich seine musikalische Seele darin,<lb/>
daß sie für alles Echte in der Kunst unmittelbares Verständnis hat, mochte<lb/>
es alt oder neu sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_753"> In Ausdrücken der höchsten Bewunderung spricht Schumann von Johann<lb/>
Sebastian Bach; &#x201E;der größte Komponist der Welt ist er." Einer Zeit, die<lb/>
sich &#x201E;erst auf Beethoven besann," hielt er vor, welche Schätze in Beethovens<lb/>
letzten Quartetten lägen. &#x201E;Dem menschlichen Geiste kann kaum etwas Wunder¬<lb/>
würdigeres geboten werden als diese Schöpfungen, denen in ihrem alle mensch¬<lb/>
lichen Satzungen überschwebendeu Ideenflüge von andrer neuerer Musik gar<lb/>
nichts verglichen werden kann." Welch ein herrliches Bild giebt er von der<lb/>
&lt;ü-rnoU-Shmphonie (in dem ersten Aussatze über das Beethovendcnkmal), welche<lb/>
Verehrung weiht er der großen Leonorenouvertüre, &#x201E;dem Ergreifendsten viel¬<lb/>
leicht, was die Musik überhaupt aufzuweisen hat." Heute weiß das ja jeder,<lb/>
aber vor sechzig Jahren war es Schumann, der Beethovens Bedeutung zum<lb/>
erstenmale ganz erfaßt hatte. Weit über hundertmal nennt er Beethovens<lb/>
Namen in seinen Schriften. Oft gedenkt er Mozarts, des &#x201E;frischen, lebens¬<lb/>
reichen," treffend urteilt er über Haydn, Gluck und Weber, vor allem feiert<lb/>
er Franz Schubert, den er schwärmerisch liebte. &#x201E;Er war der Höchste nach<lb/>
Beethoven." Schumanns Aussprüche über Schubert sind wahre Bausteine zur<lb/>
Musikgeschichte, die mit Schumann und den andern Tondichtern seiner Zeit<lb/>
gerade in eine neue Periode trat. Auch über diese zeitgenössischen Künstler<lb/>
geben Schumanns Schriften die beste Auskunft.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_754" next="#ID_755"> Mehr als einmal hat Schumann die Bedeutung eines neu auftretenden<lb/>
Komponisten gleich nach seinem ersten Werk für alle Zeiten festgestellt. Auch<lb/>
hier erkannte seine musikalische Seele die verwandten Geister. So huldigte er<lb/>
Chopin, über dessen Don Juan-Variationen er schrieb: &#x201E;Ich beuge mein Haupt<lb/>
solchem Genius, solchem Streben, solcher Meisterschaft."  Chopin wurde von</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0232] Robert Schumanns gesammelte Schriften schiedne Arbeiten Schumanns entgangen, die Jansen zuerst gebracht und womit er nun die möglichste Vollständigkeit erreicht hat. Nur eine größere Ab¬ handlung Schumanns hätte noch hinzugefügt werden können, die zwischen Noten versteckt ist, nämlich die Vorrede zu den ersten Pagcminietüden (Werk 3). Diese wundervolle Darstellung mit ihren zahlreichen Notenbeispielen zeigt, durch welche Mittel Schumann dem Klavier neue Wirkungen abzugewinnen wußte. Hier sieht man die Grundlage seiner eignen Klaviertechnik. Nimmt man noch den Aufsatz „über die Pianoforteetüden, ihrem Zwecke uach geordnet" hinzu, so läßt sich eine vollständige Schule des höhern Klavierspiels darauf aufbauen. Die genannte Vorrede gehört zu dem Trefflichsten, was Schumann geschrieben hat. Hier, in den zahlreichen, eingehenden Besprechungen von Etüden, hören wir den praktischen Musiker. Als solcher zeigt sich Schumann aber auch, wenn er in den Partituren Beethovens und Bachs lange durchgeschleppte Fehler aufdeckt, wenn er eine C. M. von Weber zugeschriebne Komposition für unter¬ geschoben erklärt. Vor allem aber offenbart sich seine musikalische Seele darin, daß sie für alles Echte in der Kunst unmittelbares Verständnis hat, mochte es alt oder neu sein. In Ausdrücken der höchsten Bewunderung spricht Schumann von Johann Sebastian Bach; „der größte Komponist der Welt ist er." Einer Zeit, die sich „erst auf Beethoven besann," hielt er vor, welche Schätze in Beethovens letzten Quartetten lägen. „Dem menschlichen Geiste kann kaum etwas Wunder¬ würdigeres geboten werden als diese Schöpfungen, denen in ihrem alle mensch¬ lichen Satzungen überschwebendeu Ideenflüge von andrer neuerer Musik gar nichts verglichen werden kann." Welch ein herrliches Bild giebt er von der <ü-rnoU-Shmphonie (in dem ersten Aussatze über das Beethovendcnkmal), welche Verehrung weiht er der großen Leonorenouvertüre, „dem Ergreifendsten viel¬ leicht, was die Musik überhaupt aufzuweisen hat." Heute weiß das ja jeder, aber vor sechzig Jahren war es Schumann, der Beethovens Bedeutung zum erstenmale ganz erfaßt hatte. Weit über hundertmal nennt er Beethovens Namen in seinen Schriften. Oft gedenkt er Mozarts, des „frischen, lebens¬ reichen," treffend urteilt er über Haydn, Gluck und Weber, vor allem feiert er Franz Schubert, den er schwärmerisch liebte. „Er war der Höchste nach Beethoven." Schumanns Aussprüche über Schubert sind wahre Bausteine zur Musikgeschichte, die mit Schumann und den andern Tondichtern seiner Zeit gerade in eine neue Periode trat. Auch über diese zeitgenössischen Künstler geben Schumanns Schriften die beste Auskunft. Mehr als einmal hat Schumann die Bedeutung eines neu auftretenden Komponisten gleich nach seinem ersten Werk für alle Zeiten festgestellt. Auch hier erkannte seine musikalische Seele die verwandten Geister. So huldigte er Chopin, über dessen Don Juan-Variationen er schrieb: „Ich beuge mein Haupt solchem Genius, solchem Streben, solcher Meisterschaft." Chopin wurde von

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/232
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/232>, abgerufen am 06.01.2025.