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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Soldatenmißhandlnngen

die jedes körperliche Anfassen, jeden Stoß oder Schlag, sobald er zur An¬
zeige kommt, gerichtlich zu behandeln befiehlt. Der höhere Vorgesetzte hat
also einen zu geringen Spielraum, seinen Untergebnen vor Folgen zu schütze",
die weit über das Vergehen hinausgehe". Sobald nachgewiesen ist, daß ein
Vorgesetzter einen Untergebnen wirklich absichtlich berührt hat, um ihn
zu stoßen oder zu schlagen, so steht der Begriff der Mißhandlung fest, und
der Fall muß, sobald er zur Kenntnis des Vorgesetzte" kommt, gerichtlich be¬
handelt werden. Die Strafen lauten auf Gefängnis oder Festungshaft bis
zu drei Jahren; in minder schweren Fällen kann bis auf eine Woche Arrest
heruntergegangen werden. Neben Gefängnis oder Festungshaft kann zugleich
auf Dienstentlassung (Offiziere) oder Degradation (Unteroffiziere) erkannt
werden, im wiederholte" Rückfall ist auf diese Ehrenstrafe zu erkennen, wenn
als Freiheitsstrafe Gefängnis oder Festungshaft verhängt wird. Bei schweren
Verletzungen als Folge der Mißhandlung gehen die Strafen noch bedeutend
höher. Aus diesen Bestimmungen ergiebt sich, daß jede Mißhandlung kriegs¬
rechtlich geahndet werden muß. Der Vorgesetzte, der es unterläßt, eine zu
feiner Kenntnis gelangte Mißhandlung eines Untergebnen zum gerichtlichen
Austrage zu bringen, ladet schwere Verantwortung auf sich, und ich kann aus
meiner Dienstzeit einen Fall anführen, wo ein solcher Vorgesetzter, der eine
Mißhandlung nur disziplinarisch, nicht kriegsrechtlich geahndet hatte, genötigt
wurde, seinen Abschied zu nehmen. Also die Vorgesetzten werden in diesen
Fällen nicht geschont. Man vergegenwärtige sich nun, daß sich ein braver,
vielleicht nahe an der Erreichung seines Zivilversorguugsschcins stehender
Unteroffizier hat hinreißen lassen, einem Untergebnen eine Ohrfeige zu geben
oder ihn fest anzufassen. Die Sache wird kriegsgerichtlich behandelt; deun
sein Hauptmann und sein Regimentskommandeur können ihn bei Gefahr für
ihre eigne Stellung nicht bloß disziplinarisch bestrafen. Der Unteroffizier er¬
hält vielleicht nur die geringste Strafe von einer Woche Arrest, aber eben
diese Strafe muß als eine kriegsgerichtliche in seine Personalpapiere einge-
tragen werden. Nun meldet er sich uach seinein Abgange zu einer Zivilstelle.
Wird der betreffende Zivilbeamte, dem vielleicht die Auswahl unter recht vielen
Bewerbern zusteht, nicht vor allem die ausschließen, die während ihrer Dienst¬
zeit gerichtlich bestraft worden sind? Niemand wird bestreikn, daß in diesem
Falle, und deren giebt es viele, die Folgen der Strafe die Schwere des Ver¬
gehens weit überschreiten! Schon zu Kaiser Wilhelms des Ersten Zeiten mußten
die Regimenter alljährlich Verzeichnisse der wegen Mißhandlung vou Unter¬
gebne" bei ihnen vvrgekvmmnen Bestrafungen an das Kriegsministerium ein¬
reichen. Die Strafbücher der Kompagnien, Schwadronen und Batterien werden
in gewissen Zeiträumen von den hohem Vorgesetzte", nud zwar nicht bloß
ans richtige und saubere Führung, sondern ans die Angemessenheit der ver¬
fügten Strafen hin durchgesehen. Zweifelhafte Fälle müssen auf Befehl durch


Soldatenmißhandlnngen

die jedes körperliche Anfassen, jeden Stoß oder Schlag, sobald er zur An¬
zeige kommt, gerichtlich zu behandeln befiehlt. Der höhere Vorgesetzte hat
also einen zu geringen Spielraum, seinen Untergebnen vor Folgen zu schütze»,
die weit über das Vergehen hinausgehe». Sobald nachgewiesen ist, daß ein
Vorgesetzter einen Untergebnen wirklich absichtlich berührt hat, um ihn
zu stoßen oder zu schlagen, so steht der Begriff der Mißhandlung fest, und
der Fall muß, sobald er zur Kenntnis des Vorgesetzte» kommt, gerichtlich be¬
handelt werden. Die Strafen lauten auf Gefängnis oder Festungshaft bis
zu drei Jahren; in minder schweren Fällen kann bis auf eine Woche Arrest
heruntergegangen werden. Neben Gefängnis oder Festungshaft kann zugleich
auf Dienstentlassung (Offiziere) oder Degradation (Unteroffiziere) erkannt
werden, im wiederholte» Rückfall ist auf diese Ehrenstrafe zu erkennen, wenn
als Freiheitsstrafe Gefängnis oder Festungshaft verhängt wird. Bei schweren
Verletzungen als Folge der Mißhandlung gehen die Strafen noch bedeutend
höher. Aus diesen Bestimmungen ergiebt sich, daß jede Mißhandlung kriegs¬
rechtlich geahndet werden muß. Der Vorgesetzte, der es unterläßt, eine zu
feiner Kenntnis gelangte Mißhandlung eines Untergebnen zum gerichtlichen
Austrage zu bringen, ladet schwere Verantwortung auf sich, und ich kann aus
meiner Dienstzeit einen Fall anführen, wo ein solcher Vorgesetzter, der eine
Mißhandlung nur disziplinarisch, nicht kriegsrechtlich geahndet hatte, genötigt
wurde, seinen Abschied zu nehmen. Also die Vorgesetzten werden in diesen
Fällen nicht geschont. Man vergegenwärtige sich nun, daß sich ein braver,
vielleicht nahe an der Erreichung seines Zivilversorguugsschcins stehender
Unteroffizier hat hinreißen lassen, einem Untergebnen eine Ohrfeige zu geben
oder ihn fest anzufassen. Die Sache wird kriegsgerichtlich behandelt; deun
sein Hauptmann und sein Regimentskommandeur können ihn bei Gefahr für
ihre eigne Stellung nicht bloß disziplinarisch bestrafen. Der Unteroffizier er¬
hält vielleicht nur die geringste Strafe von einer Woche Arrest, aber eben
diese Strafe muß als eine kriegsgerichtliche in seine Personalpapiere einge-
tragen werden. Nun meldet er sich uach seinein Abgange zu einer Zivilstelle.
Wird der betreffende Zivilbeamte, dem vielleicht die Auswahl unter recht vielen
Bewerbern zusteht, nicht vor allem die ausschließen, die während ihrer Dienst¬
zeit gerichtlich bestraft worden sind? Niemand wird bestreikn, daß in diesem
Falle, und deren giebt es viele, die Folgen der Strafe die Schwere des Ver¬
gehens weit überschreiten! Schon zu Kaiser Wilhelms des Ersten Zeiten mußten
die Regimenter alljährlich Verzeichnisse der wegen Mißhandlung vou Unter¬
gebne» bei ihnen vvrgekvmmnen Bestrafungen an das Kriegsministerium ein¬
reichen. Die Strafbücher der Kompagnien, Schwadronen und Batterien werden
in gewissen Zeiträumen von den hohem Vorgesetzte», nud zwar nicht bloß
ans richtige und saubere Führung, sondern ans die Angemessenheit der ver¬
fügten Strafen hin durchgesehen. Zweifelhafte Fälle müssen auf Befehl durch


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[0023] Soldatenmißhandlnngen die jedes körperliche Anfassen, jeden Stoß oder Schlag, sobald er zur An¬ zeige kommt, gerichtlich zu behandeln befiehlt. Der höhere Vorgesetzte hat also einen zu geringen Spielraum, seinen Untergebnen vor Folgen zu schütze», die weit über das Vergehen hinausgehe». Sobald nachgewiesen ist, daß ein Vorgesetzter einen Untergebnen wirklich absichtlich berührt hat, um ihn zu stoßen oder zu schlagen, so steht der Begriff der Mißhandlung fest, und der Fall muß, sobald er zur Kenntnis des Vorgesetzte» kommt, gerichtlich be¬ handelt werden. Die Strafen lauten auf Gefängnis oder Festungshaft bis zu drei Jahren; in minder schweren Fällen kann bis auf eine Woche Arrest heruntergegangen werden. Neben Gefängnis oder Festungshaft kann zugleich auf Dienstentlassung (Offiziere) oder Degradation (Unteroffiziere) erkannt werden, im wiederholte» Rückfall ist auf diese Ehrenstrafe zu erkennen, wenn als Freiheitsstrafe Gefängnis oder Festungshaft verhängt wird. Bei schweren Verletzungen als Folge der Mißhandlung gehen die Strafen noch bedeutend höher. Aus diesen Bestimmungen ergiebt sich, daß jede Mißhandlung kriegs¬ rechtlich geahndet werden muß. Der Vorgesetzte, der es unterläßt, eine zu feiner Kenntnis gelangte Mißhandlung eines Untergebnen zum gerichtlichen Austrage zu bringen, ladet schwere Verantwortung auf sich, und ich kann aus meiner Dienstzeit einen Fall anführen, wo ein solcher Vorgesetzter, der eine Mißhandlung nur disziplinarisch, nicht kriegsrechtlich geahndet hatte, genötigt wurde, seinen Abschied zu nehmen. Also die Vorgesetzten werden in diesen Fällen nicht geschont. Man vergegenwärtige sich nun, daß sich ein braver, vielleicht nahe an der Erreichung seines Zivilversorguugsschcins stehender Unteroffizier hat hinreißen lassen, einem Untergebnen eine Ohrfeige zu geben oder ihn fest anzufassen. Die Sache wird kriegsgerichtlich behandelt; deun sein Hauptmann und sein Regimentskommandeur können ihn bei Gefahr für ihre eigne Stellung nicht bloß disziplinarisch bestrafen. Der Unteroffizier er¬ hält vielleicht nur die geringste Strafe von einer Woche Arrest, aber eben diese Strafe muß als eine kriegsgerichtliche in seine Personalpapiere einge- tragen werden. Nun meldet er sich uach seinein Abgange zu einer Zivilstelle. Wird der betreffende Zivilbeamte, dem vielleicht die Auswahl unter recht vielen Bewerbern zusteht, nicht vor allem die ausschließen, die während ihrer Dienst¬ zeit gerichtlich bestraft worden sind? Niemand wird bestreikn, daß in diesem Falle, und deren giebt es viele, die Folgen der Strafe die Schwere des Ver¬ gehens weit überschreiten! Schon zu Kaiser Wilhelms des Ersten Zeiten mußten die Regimenter alljährlich Verzeichnisse der wegen Mißhandlung vou Unter¬ gebne» bei ihnen vvrgekvmmnen Bestrafungen an das Kriegsministerium ein¬ reichen. Die Strafbücher der Kompagnien, Schwadronen und Batterien werden in gewissen Zeiträumen von den hohem Vorgesetzte», nud zwar nicht bloß ans richtige und saubere Führung, sondern ans die Angemessenheit der ver¬ fügten Strafen hin durchgesehen. Zweifelhafte Fälle müssen auf Befehl durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/23>, abgerufen am 06.01.2025.