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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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der Artillerie und Generaladjutauteu des Kaisers, Prinzen Kraft zu Hohenlohe-
Jngelfingen, die Briefe über Infanterie, namentlich den zweiten und dritten
Brief. Ich will nur eine Stelle aus dem zweiten Briefe anführen, wo der
Prinz über die Ausbildung der Gardeinfanterie spricht und sich von einem
Kompagniechef des Aleranderregünents erzählen läßt, warum dort die Nelrnte"
nicht sofort nach ihrem Eintritt eingekleidet auf dem Übungsplatz erscheine"
und da gedrillt werde". "Er -- nämlich der Hauptmann, den der Prinz
darüber befragt -- setzte mir auseinander, wie jeder Mensch niedern Standes
in seinen heimatlichen Beschäftigungen seine Muskeln nur einseitig anstrenge,
andre der Schuster, andre der Schneider, andre der Holzhacker, andre der
Bauer; wie die minder entwickelten Muskeln durch Ruhen zu verkümmern
drohten, und wie es daher dem ankommenden Rekruten (unter zehn Fällen
nenn mal) schwer, fast unmöglich werde, gerade zu stehe" und zu gehen. Mit
Zwang könne er es allenfalls, aber nur unter Schmerz, der sich nicht selten
zu Muskelkrämpfeu steigere, ihn mitunter auch, in Verbindung mit all dem
Neuen und Ungewohnten, das der Rekrut in dein neuen Verhältnis finde, in
Verbindung mit dem Heimweh, zur Verzweiflung, nicht selten zu Widersetz¬
lichkeit, Verbreche", ja Selbstmord treibe. Deshalb sei es bei der Garde-
infanterie Tradition geworden, dem Rekruten erst durch allseitige gymnastische
Freiübungen, mit denen man in den Stuben ganz allmählich ohne Anstrengung
vom Leichter zum schweren übergehe, zu lehren, wie er Gewalt über alle seine
Muskeln gewinne." Dieses naturgemäße Verfahren besteht nun keineswegs in
der Garde allein. Es wird in andern Regimenter" aller Waffe"galen"gen in
der Linie ähnlich betrieben. Aber selbstverständlich ist es kein Universalmittel.
Es giebt auch keine bestimmte gedruckte oder geschriebene allerseits verbindliche
Instruktion darüber, und das kaun bei der Ausbildung des Soldaten so wenig
der Fall sein, wie bei der Ausbildung irgend eines andern Geschöpfs, weil
dabei stets der persönliche Charakter, das persönliche Verständnis von Lehrer
und Schüler mitsprechen muß. In unserm Heere setzt mau deshalb immer
nur das Ziel der Ausbildung fest, nämlich die Kriegsfertigkeit, während man
den Weg zur Erreichung dieses Zieles dem Ermessen des verantwortlichen
Vorgesetzten überläßt. Daß dabei das Verfahren oder Verhalten des einen
leichter zu einer Mißhandlung führen kann, als das des andern, liegt auf
der Hand. So ist z. V. der Begriff der "Schneidigkeit" bei jungen Vor¬
gesetzten leicht eine Veranlassung, den Untergebnen körperlich anzufassen, um-
somehr, als der Soldat selbst einen schneidigen Vorgesetzten höher schätzt, als, um
mich des Soldatenausdrucks zu bedienen, einen "schlappen." Zwischen schneidig
und schlapp liegt aber eine große Zahl von Zwischenstufen, und Sache des
Borgesetzten ist es, den richtigen, d. h. den zum Ziele führendem Weg, zu finden.

Ein weitrer Grund, weshalb Mißhandlungen nicht noch erfolgreicher be¬
kämpft werde", als es ohnehin schon geschieht, liegt in unsrer Strafgesetzgebung,


der Artillerie und Generaladjutauteu des Kaisers, Prinzen Kraft zu Hohenlohe-
Jngelfingen, die Briefe über Infanterie, namentlich den zweiten und dritten
Brief. Ich will nur eine Stelle aus dem zweiten Briefe anführen, wo der
Prinz über die Ausbildung der Gardeinfanterie spricht und sich von einem
Kompagniechef des Aleranderregünents erzählen läßt, warum dort die Nelrnte»
nicht sofort nach ihrem Eintritt eingekleidet auf dem Übungsplatz erscheine»
und da gedrillt werde». „Er — nämlich der Hauptmann, den der Prinz
darüber befragt — setzte mir auseinander, wie jeder Mensch niedern Standes
in seinen heimatlichen Beschäftigungen seine Muskeln nur einseitig anstrenge,
andre der Schuster, andre der Schneider, andre der Holzhacker, andre der
Bauer; wie die minder entwickelten Muskeln durch Ruhen zu verkümmern
drohten, und wie es daher dem ankommenden Rekruten (unter zehn Fällen
nenn mal) schwer, fast unmöglich werde, gerade zu stehe» und zu gehen. Mit
Zwang könne er es allenfalls, aber nur unter Schmerz, der sich nicht selten
zu Muskelkrämpfeu steigere, ihn mitunter auch, in Verbindung mit all dem
Neuen und Ungewohnten, das der Rekrut in dein neuen Verhältnis finde, in
Verbindung mit dem Heimweh, zur Verzweiflung, nicht selten zu Widersetz¬
lichkeit, Verbreche», ja Selbstmord treibe. Deshalb sei es bei der Garde-
infanterie Tradition geworden, dem Rekruten erst durch allseitige gymnastische
Freiübungen, mit denen man in den Stuben ganz allmählich ohne Anstrengung
vom Leichter zum schweren übergehe, zu lehren, wie er Gewalt über alle seine
Muskeln gewinne." Dieses naturgemäße Verfahren besteht nun keineswegs in
der Garde allein. Es wird in andern Regimenter» aller Waffe»galen»gen in
der Linie ähnlich betrieben. Aber selbstverständlich ist es kein Universalmittel.
Es giebt auch keine bestimmte gedruckte oder geschriebene allerseits verbindliche
Instruktion darüber, und das kaun bei der Ausbildung des Soldaten so wenig
der Fall sein, wie bei der Ausbildung irgend eines andern Geschöpfs, weil
dabei stets der persönliche Charakter, das persönliche Verständnis von Lehrer
und Schüler mitsprechen muß. In unserm Heere setzt mau deshalb immer
nur das Ziel der Ausbildung fest, nämlich die Kriegsfertigkeit, während man
den Weg zur Erreichung dieses Zieles dem Ermessen des verantwortlichen
Vorgesetzten überläßt. Daß dabei das Verfahren oder Verhalten des einen
leichter zu einer Mißhandlung führen kann, als das des andern, liegt auf
der Hand. So ist z. V. der Begriff der „Schneidigkeit" bei jungen Vor¬
gesetzten leicht eine Veranlassung, den Untergebnen körperlich anzufassen, um-
somehr, als der Soldat selbst einen schneidigen Vorgesetzten höher schätzt, als, um
mich des Soldatenausdrucks zu bedienen, einen „schlappen." Zwischen schneidig
und schlapp liegt aber eine große Zahl von Zwischenstufen, und Sache des
Borgesetzten ist es, den richtigen, d. h. den zum Ziele führendem Weg, zu finden.

Ein weitrer Grund, weshalb Mißhandlungen nicht noch erfolgreicher be¬
kämpft werde», als es ohnehin schon geschieht, liegt in unsrer Strafgesetzgebung,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/22>, abgerufen am 06.01.2025.