Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Tniskoland ältere Weltanschauung zum Falle reif sei. Wer jene moralisch unzulänglichen In den uun folgenden fünfundfünfzig Abhandlungen über Gegenstände Grenzboten III 1892 23
Tniskoland ältere Weltanschauung zum Falle reif sei. Wer jene moralisch unzulänglichen In den uun folgenden fünfundfünfzig Abhandlungen über Gegenstände Grenzboten III 1892 23
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Tniskoland
ältere Weltanschauung zum Falle reif sei. Wer jene moralisch unzulänglichen
Göttergestalten waren doch gerade ein Produkt und Spiegelbild des ursprüng¬
lichen nordischen Geistes, und zu welcher Zeit, ob vor oder erst nach Christus,
dem Volke ihre Unzulänglichkeit klar geworden sein mag, ist bei dem gänzlichen
Fehlen schriftlicher Zeugnisse schlechterdings nicht auszumachen.^ Wir kennen
kein ähnliches Gericht über veraltete Göttervorstellungen bei Griechen und
andern Kulturvölkern. Sie vertuschten die Schwäche ihrer Fabeln, suchten
ihnen einen andern Sinn beizulegen, aber die Forderung, daß etwas höheres
an die Stelle ihrer Zeusreligion treten müsse, kam ihnen nicht. ^Deu Weisen
der Griechen und Römer ist sie bekanntlich gekommen, und das Volk stöberte
in allen orientalischen Kulten herum und ergriff dann gierig den Christen¬
glauben, weil es eben nach besserm verlangtes Diese Bergeistigung würde
sich im Norden vollzogen haben, auch wenn das Christentum nicht gekommen
wäre jwas in diesem Falle geschehen sein würde, kann niemand wissen^, wie
sie sich in Indien zu einer Religion des Mitleids mit aller Kreatur auf¬
geschwungen hat ^die den Kühen Mitleid erweist, die Witwen aber erbarmungs¬
los verbrennt^. In der Balderlegende, die bedeutend älter ist als das Christen¬
tum, bereitete sich eine Erlösungslehre und eine strenge Scheidung der Lehren
von gut und böse vor joder vielmehr Scheidung von gut und böse in der
Lehre?j, und es ist hervorzuheben, daß das griechische Epos so vollendete Ver¬
körperungen der Schuldlosigkeit, die schnödem Verrat zum Opfer fällt, wie
Balder und Siegfried, nicht besitzt."
In den uun folgenden fünfundfünfzig Abhandlungen über Gegenstände
der vergleichenden Mythologie stützt sich der Beweis für die Abstammung der
arischen Götter aus dem Norden vorzugsweise auf drei Thatsachen: daß die
Griechen selbst ihre Gottheiten aus dem Lande der ,,frommen Hyperboräer"
einwandern lassen und von Belehrungen berichten, die sie diesem weisen und
gerechten Volke verdanken; daß der den griechischen und indischen Göttern zu
Grunde liegende Naturmythus auf ein nördliches Land hinweist; und daß in
den südlichen Sagen viel Ungereimtes vorkommt, das erst aus den nördlichen
Parallelsagen verständlich wird. Wir lassen alle drei Beweisarten gelten,
wenn auch der Verfasser ihre Beweiskraft hie und da überspannt. Warum
soll z. B. die Sage von Boreas und Chionc, dem Nordwind und seiner Tochter,
dem Bergschnee, nicht auch am Balkan entstanden sein können, der im Winter
ganz gründlich zu verschneien pflegt? Und bewunderte AMbiades den Sokrates
nicht u. a. deshalb, weil er bei starkem Frost, wo sich die andern entweder
gar nicht oder nur in Filzschuhen hinauswagten, unbeschuht herumspazierte?
Von Italien und Griechenland wenigstens kann es wohl nicht gelten, wenn
Krause sagt: ,,Schon in den Mittelmeerländern haben die Jahreszeitenfeste
keinen rechten Boden mehr. Wie kann man den Frühling mit Inbrunst be¬
grüßen, wo der Winter nur ein paar Monate dauert, wo immergrüne Ge-
Grenzboten III 1892 23
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