Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Tuiskoland opfern, die fruchtspendende Mutter Erde mit allerlei Unzucht geehrt haben. Über die höhere Sittlichkeit der nordischen Religion sagt Krause: "Die Tuiskoland opfern, die fruchtspendende Mutter Erde mit allerlei Unzucht geehrt haben. Über die höhere Sittlichkeit der nordischen Religion sagt Krause: „Die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0224" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212700"/> <fw type="header" place="top"> Tuiskoland</fw><lb/> <p xml:id="ID_733" prev="#ID_732"> opfern, die fruchtspendende Mutter Erde mit allerlei Unzucht geehrt haben.<lb/> Darauf baut nun Krause eine Betrachtung auf, in der es heißt: „Die Bar¬<lb/> baren können von sich sagen, daß sie besser waren als ihr Ruf; denn so hoch<lb/> ein Taeitus ihre guten Eigenschaften schon im Altertum gepriesen hat: ihre<lb/> größten Verdienste um die Menschheit konnte er nicht rühmen, weil er sie nicht<lb/> kannte, und weil von ihnen keine geschichtliche Aufzeichnung meldet, ihre<lb/> weltbewegende Rolle als Träger und Verbreiter einer erhabnen? Weltanschauung<lb/> und Religion, als alle die dunkeln Völker besaßen, zu denen sie kamen. Es<lb/> war ihr eigentümliches Schicksal, daß diese ihre zivilisatorischer Thaten bis<lb/> auf den heutigen Tag vergessen werden mußten, weil sie dieselben (!) nicht selbst<lb/> aufzeichnen konnten, und weil wir von ihnen nur auf den äußersten Umwegen<lb/> Kunde erhalten, sodaß wir gezwungen sind, das Bild der altnordischen Ge¬<lb/> dankenwelt aus indischen, persischen, griechischen und römischen Schriften zu¬<lb/> sammenzusuchen. Denn die ältesten eignen Niederschriften erfolgten ja so spät,<lb/> daß irgend ein Vergötterer der griechischen und römischen Gedankenwelt die<lb/> nordische als einfaches Nach- oder Spiegelbild, wenn nicht als Plagiat der¬<lb/> selben (!) verdächtigen konnte, wie es denn bisher meistens mit vollem Gelingen<lb/> geschehen ist." Sogar für ein Plagiat der „Christuslegende" haben einige<lb/> neuere Gelehrte, die Krause bekämpft, manche Eddasagen erklärt. Das wird<lb/> zwar nicht richtig sein, aber daß die christlichen Lehren und Legenden, die<lb/> christliche Weltansicht und Frömmigkeit bis ins zweite Jahrtausend neben dem<lb/> nordischen Gvtterglauben hergegangen sein sollten, ohne Einfluß auf ihn zu<lb/> üben, das ist doch wohl nicht denkbar. Die ungeschlachten und rohem, wenn<lb/> auch nicht gerade unsittlichen Züge, die auch in den Ebben noch vorkommen,<lb/> dürsten in der ursprünglichen nordischen Göttersage weit häufiger gewesen sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_734" next="#ID_735"> Über die höhere Sittlichkeit der nordischen Religion sagt Krause: „Die<lb/> Antigone des Sophokles ist ein gepriesenes Drama; aber wie armselig sticht<lb/> ihr ethischer Gehalt gegen die Lehren der Sigurdrifa im Eddaliede ab, sich des<lb/> Toten anzunehmen, wo er auch im Felde gefunden werde, ihn zu bestatten<lb/> und für seine Seele zu beten ^dieser Zug ist doch gewiß christlichen Ursprungs!^,<lb/> ohne daß ein Unterschied gemacht wird, ob er fremd oder befreundet sei. jDer<lb/> Schwerpunkt des Antigone-Dramas liegt doch wohl nicht in der Pietät gegen<lb/> die Toten, sondern in der Behauptung des individuellen Gewissens gegenüber<lb/> dem Staatsgesetz.f Als fernere Grundsäule der ethischen Höhe dieser arischen<lb/> Weltanschauung steht der Preis, welcher der Treue und Wahrhaftigkeit des<lb/> Mannes, der Unverletzbarkeit des Weibes zugebilligt wird, worüber dasselbe<lb/> Sigurdrifa-Lied herrliche Ratschlüge enthält. Die Tiefe der nordischen Welt¬<lb/> anschauung bewährt sich darin, daß der Germane sogar über die Götter seiner<lb/> eignen Vorzeit sich zum Richter aufwarf, Odin und einen Teil seiner Genossen<lb/> ihrer moralischen Unzulänglichkeit überführte und die Lehre von der Götter¬<lb/> dämmerung aufstellte, die aus der innersten Überzeugung hervorging, daß die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0224]
Tuiskoland
opfern, die fruchtspendende Mutter Erde mit allerlei Unzucht geehrt haben.
Darauf baut nun Krause eine Betrachtung auf, in der es heißt: „Die Bar¬
baren können von sich sagen, daß sie besser waren als ihr Ruf; denn so hoch
ein Taeitus ihre guten Eigenschaften schon im Altertum gepriesen hat: ihre
größten Verdienste um die Menschheit konnte er nicht rühmen, weil er sie nicht
kannte, und weil von ihnen keine geschichtliche Aufzeichnung meldet, ihre
weltbewegende Rolle als Träger und Verbreiter einer erhabnen? Weltanschauung
und Religion, als alle die dunkeln Völker besaßen, zu denen sie kamen. Es
war ihr eigentümliches Schicksal, daß diese ihre zivilisatorischer Thaten bis
auf den heutigen Tag vergessen werden mußten, weil sie dieselben (!) nicht selbst
aufzeichnen konnten, und weil wir von ihnen nur auf den äußersten Umwegen
Kunde erhalten, sodaß wir gezwungen sind, das Bild der altnordischen Ge¬
dankenwelt aus indischen, persischen, griechischen und römischen Schriften zu¬
sammenzusuchen. Denn die ältesten eignen Niederschriften erfolgten ja so spät,
daß irgend ein Vergötterer der griechischen und römischen Gedankenwelt die
nordische als einfaches Nach- oder Spiegelbild, wenn nicht als Plagiat der¬
selben (!) verdächtigen konnte, wie es denn bisher meistens mit vollem Gelingen
geschehen ist." Sogar für ein Plagiat der „Christuslegende" haben einige
neuere Gelehrte, die Krause bekämpft, manche Eddasagen erklärt. Das wird
zwar nicht richtig sein, aber daß die christlichen Lehren und Legenden, die
christliche Weltansicht und Frömmigkeit bis ins zweite Jahrtausend neben dem
nordischen Gvtterglauben hergegangen sein sollten, ohne Einfluß auf ihn zu
üben, das ist doch wohl nicht denkbar. Die ungeschlachten und rohem, wenn
auch nicht gerade unsittlichen Züge, die auch in den Ebben noch vorkommen,
dürsten in der ursprünglichen nordischen Göttersage weit häufiger gewesen sein.
Über die höhere Sittlichkeit der nordischen Religion sagt Krause: „Die
Antigone des Sophokles ist ein gepriesenes Drama; aber wie armselig sticht
ihr ethischer Gehalt gegen die Lehren der Sigurdrifa im Eddaliede ab, sich des
Toten anzunehmen, wo er auch im Felde gefunden werde, ihn zu bestatten
und für seine Seele zu beten ^dieser Zug ist doch gewiß christlichen Ursprungs!^,
ohne daß ein Unterschied gemacht wird, ob er fremd oder befreundet sei. jDer
Schwerpunkt des Antigone-Dramas liegt doch wohl nicht in der Pietät gegen
die Toten, sondern in der Behauptung des individuellen Gewissens gegenüber
dem Staatsgesetz.f Als fernere Grundsäule der ethischen Höhe dieser arischen
Weltanschauung steht der Preis, welcher der Treue und Wahrhaftigkeit des
Mannes, der Unverletzbarkeit des Weibes zugebilligt wird, worüber dasselbe
Sigurdrifa-Lied herrliche Ratschlüge enthält. Die Tiefe der nordischen Welt¬
anschauung bewährt sich darin, daß der Germane sogar über die Götter seiner
eignen Vorzeit sich zum Richter aufwarf, Odin und einen Teil seiner Genossen
ihrer moralischen Unzulänglichkeit überführte und die Lehre von der Götter¬
dämmerung aufstellte, die aus der innersten Überzeugung hervorging, daß die
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