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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Weltgeschichte in Hinterwinkel

just an unserm Häuschen vorbei , über die Haselbach drücke, sangen sie mit
lauten Stimmen:


Morgenrot, Mvrgenrot,
Leuchtest mir zum frühen Tod.

Sogar der Lienhard sang leise mit. Ich schaute ihm zum Fenster hinaus
nach, und er that mir leid, weil ich seine Mutter unter einer benachbarten
.Hausthür stehn und heftig weinen und schluchzen sah. Da dachte ich nicht,
daß ich ihn allein wiedersehen würde, und in welchen entsetzlichen Augenblicken.

Unterdessen hatten die fortziehenden Krieger das schöne Mvrgenrotlied
beendigt, und ich hörte von ferne den Hannpeter mit machtvoller Stimme
einen andern, derbern Gesang anstimmen, der seinem Geschmack mehr zusagte.


Es kann ja nicht immer so bleiben
Hier unter dein wechselnden Mond,
Und der Krieg muß den Frieden vertreiben,
Und im Kriege wird keiner verschont

hörte ich sie brüllen, wobei sie die einfache Melodie durch tausend willkürliche,
abenteuerliche Schnörkel verzierten.

Ich mußte immer an den bleichen Lienhard denken. Er war, wiewohl
acht Jahre alter, eine Art Freund von mir. Mit meinem Paten Rother¬
muno verwandt, war er viel zu diesem ins Haus gekommen und hatte dabei,
als wir, Rothermunds Olga und ich, noch jünger waren, uns jedesmal etwas
mitgebracht, meist ein freies Erzeugnis seiner Kunst, kleines niedliches Spiel¬
geschirr oder buntfarbige, vogelgestaltige Bildungen, auf denen man pfeifen
konnte. Er war in solchen Dingen sehr erfinderisch. Ebenso hatte ich ihn
mit meiner kleinen Freundin oft in seiner Töpferwerkstatt besucht und mit Er¬
staunen der Drehscheibe zugeschaut, die so schnell lies, daß das Auge ihr gnr
nicht folgen konnte, wobei es mir immer wie ein Wunder erschien, wenn bei
so schwindliger Drehung unter der Hand des Töpfers der feuchte Thon¬
klumpen auf der Scheibe seine Gestalt veränderte, wenn er in die Höhe wuchs,
sich aushöhlte, sich bald bauchig weidete, bald halsartig einschnürte, seine Bil¬
dung immer deutlicher wurde, bis die Scheibe still stand und das fertige
Gefäß nur mit einem Draht von dem scheibenrund abgeschnitten zu werden
brauchte, um in der Trockenkammer aufgestellt zu werden. Die zur Fahne
gerufnen waren längst über alle Berge; ich dachte aber noch immer an den
Lienhard. '

Begierig war ich nun, was mein Vater über den Krieg sagen würde.

Beim Abendessen sollte ichs erfahren. Mein Vater verwunderte sich über
den Mut Preußens, Österreich den Krieg zu erklären. Gute Soldaten habe
Preußen, und gute Generale, das müsse ihnen der Neid lassen. Und wenn
der alte Fritz noch lebte, der große König und Kurfürst, und sein General


Weltgeschichte in Hinterwinkel

just an unserm Häuschen vorbei , über die Haselbach drücke, sangen sie mit
lauten Stimmen:


Morgenrot, Mvrgenrot,
Leuchtest mir zum frühen Tod.

Sogar der Lienhard sang leise mit. Ich schaute ihm zum Fenster hinaus
nach, und er that mir leid, weil ich seine Mutter unter einer benachbarten
.Hausthür stehn und heftig weinen und schluchzen sah. Da dachte ich nicht,
daß ich ihn allein wiedersehen würde, und in welchen entsetzlichen Augenblicken.

Unterdessen hatten die fortziehenden Krieger das schöne Mvrgenrotlied
beendigt, und ich hörte von ferne den Hannpeter mit machtvoller Stimme
einen andern, derbern Gesang anstimmen, der seinem Geschmack mehr zusagte.


Es kann ja nicht immer so bleiben
Hier unter dein wechselnden Mond,
Und der Krieg muß den Frieden vertreiben,
Und im Kriege wird keiner verschont

hörte ich sie brüllen, wobei sie die einfache Melodie durch tausend willkürliche,
abenteuerliche Schnörkel verzierten.

Ich mußte immer an den bleichen Lienhard denken. Er war, wiewohl
acht Jahre alter, eine Art Freund von mir. Mit meinem Paten Rother¬
muno verwandt, war er viel zu diesem ins Haus gekommen und hatte dabei,
als wir, Rothermunds Olga und ich, noch jünger waren, uns jedesmal etwas
mitgebracht, meist ein freies Erzeugnis seiner Kunst, kleines niedliches Spiel¬
geschirr oder buntfarbige, vogelgestaltige Bildungen, auf denen man pfeifen
konnte. Er war in solchen Dingen sehr erfinderisch. Ebenso hatte ich ihn
mit meiner kleinen Freundin oft in seiner Töpferwerkstatt besucht und mit Er¬
staunen der Drehscheibe zugeschaut, die so schnell lies, daß das Auge ihr gnr
nicht folgen konnte, wobei es mir immer wie ein Wunder erschien, wenn bei
so schwindliger Drehung unter der Hand des Töpfers der feuchte Thon¬
klumpen auf der Scheibe seine Gestalt veränderte, wenn er in die Höhe wuchs,
sich aushöhlte, sich bald bauchig weidete, bald halsartig einschnürte, seine Bil¬
dung immer deutlicher wurde, bis die Scheibe still stand und das fertige
Gefäß nur mit einem Draht von dem scheibenrund abgeschnitten zu werden
brauchte, um in der Trockenkammer aufgestellt zu werden. Die zur Fahne
gerufnen waren längst über alle Berge; ich dachte aber noch immer an den
Lienhard. '

Begierig war ich nun, was mein Vater über den Krieg sagen würde.

Beim Abendessen sollte ichs erfahren. Mein Vater verwunderte sich über
den Mut Preußens, Österreich den Krieg zu erklären. Gute Soldaten habe
Preußen, und gute Generale, das müsse ihnen der Neid lassen. Und wenn
der alte Fritz noch lebte, der große König und Kurfürst, und sein General


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/197>, abgerufen am 08.01.2025.