Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Weltgeschichte in Hinterwinkel Der Polizeidiener Kappes näherte sich der Gruppe, alle sahen sich mit Der Mann der öffentlichen Ordnung machte ein furchtbar ernstes Gesicht. Lienhard war ein zurückgezogner Mensch von sanftem Charakter, ein Johann Peter Muthes, las der Kriegsbote unterdessen weiter. Der Träger dieses Namens, ein armer Bursch und Knecht beim Blessen¬ Holla, du nimmsts Maul groß voll, du Tagdieb, du Nichtsnutzer, rief Macht euch keine Sorg, wir reiten mit den Gäulen drüber, dann ist sie Nach und nach verlor sich der Haufe. Das Durcheinanderschreien hatte Die einbernfnen Soldaten, sechs im ganzen, mußten ohne Zögern ab¬ Diese Ansprache hinderte nicht, daß Lienhard Neichenbühler zuletzt mit Weltgeschichte in Hinterwinkel Der Polizeidiener Kappes näherte sich der Gruppe, alle sahen sich mit Der Mann der öffentlichen Ordnung machte ein furchtbar ernstes Gesicht. Lienhard war ein zurückgezogner Mensch von sanftem Charakter, ein Johann Peter Muthes, las der Kriegsbote unterdessen weiter. Der Träger dieses Namens, ein armer Bursch und Knecht beim Blessen¬ Holla, du nimmsts Maul groß voll, du Tagdieb, du Nichtsnutzer, rief Macht euch keine Sorg, wir reiten mit den Gäulen drüber, dann ist sie Nach und nach verlor sich der Haufe. Das Durcheinanderschreien hatte Die einbernfnen Soldaten, sechs im ganzen, mußten ohne Zögern ab¬ Diese Ansprache hinderte nicht, daß Lienhard Neichenbühler zuletzt mit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0196" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212672"/> <fw type="header" place="top"> Weltgeschichte in Hinterwinkel</fw><lb/> <p xml:id="ID_633"> Der Polizeidiener Kappes näherte sich der Gruppe, alle sahen sich mit<lb/> erschrocknen Gesichtern um, und einen Augenblick lang herrschte allgemeines<lb/> Schweigen.</p><lb/> <p xml:id="ID_634"> Der Mann der öffentlichen Ordnung machte ein furchtbar ernstes Gesicht.<lb/> Mit militärisch straffer Haltung blieb er vor dem Volkshaufen stehn. Von<lb/> mehreren Zetteln in seiner Hand brachte er einen seiner Brille näher, und<lb/> indem er fast die Stimme eines Feldherrn annahm, las er: Lienhard Reichen-<lb/> bühler. Damit streckte er den Zettel einem der anwesenden jungen Burschen<lb/> entgegen, der einen Blick darauf warf und leicht erblaßte.</p><lb/> <p xml:id="ID_635"> Lienhard war ein zurückgezogner Mensch von sanftem Charakter, ein<lb/> wenig Mutterkind, nicht ganz und gar Bauer, sondern er betrieb neben der<lb/> Landwirtschaft gemeinsam mit seinem Vater auch ein kleines Töpfergeschäft,<lb/> worin er für fehr geschickt galt.</p><lb/> <p xml:id="ID_636"> Johann Peter Muthes, las der Kriegsbote unterdessen weiter.</p><lb/> <p xml:id="ID_637"> Der Träger dieses Namens, ein armer Bursch und Knecht beim Blessen¬<lb/> vogt, nahm die Nachricht anders auf, als der erste. Hurra! rief er aus,<lb/> hätt net glaubt, daß ernst is; nun aber nix als drauflos, und mach mir<lb/> kein so Gsicht, Liuerd, im Krieg gehts lustig zu.</p><lb/> <p xml:id="ID_638"> Holla, du nimmsts Maul groß voll, du Tagdieb, du Nichtsnutzer, rief<lb/> der Blesfenvogt, aber wer soll mein Heu machen und meine Ernt schneiden?</p><lb/> <p xml:id="ID_639"> Macht euch keine Sorg, wir reiten mit den Gäulen drüber, dann ist sie<lb/> schon gschnitten, rief der Knecht übermütig. Jedenfalls gram ich mich nicht,<lb/> daß ich sie nicht zu schneiden brauch, und euer hartbacken, schimmelig Brot,<lb/> Vlessenvogt, gönn ich euch auch; zu weit nach Preußen nein, wo der Pumper¬<lb/> nickel anfängt, kommen wir Schwaben doch nicht, und unterwegs giebts beßres.</p><lb/> <p xml:id="ID_640"> Nach und nach verlor sich der Haufe. Das Durcheinanderschreien hatte<lb/> aufgehört, seitdem der Krieg in so bestimmten Zeichen an die Leute heran¬<lb/> getreten war, und ziemlich kleinlaut ging alles auseinander.</p><lb/> <p xml:id="ID_641"> Die einbernfnen Soldaten, sechs im ganzen, mußten ohne Zögern ab¬<lb/> marschieren. Dabei gab es viel Thränen, aber auch viel tapfre Reden. Der<lb/> Pfarrer Bartholomes erschien ebenfalls beim allgemeinen Abschied. Von ihm<lb/> hörte ich zum erstenmale das Wort Bruderkrieg. Aber unsre Soldatei?<lb/> durften mit Gottvertrauen in den Kampf ziehen; ihre Sache war eine heilige,<lb/> sie verteidigten nicht nur ihren König und ihr Vaterland, sonder» anch ihre<lb/> heilige Religion.</p><lb/> <p xml:id="ID_642" next="#ID_643"> Diese Ansprache hinderte nicht, daß Lienhard Neichenbühler zuletzt mit<lb/> seiner Mutter um die Wette weinte, während sich der Hannpeter Muthes den<lb/> Abschiedstrunk schmecken ließ und deutlich zu erkennen gab, daß es ihm ziem¬<lb/> lich gleichgiltig sei, was er verteidige, wenn er nur gegen Sichel und Sense<lb/> den Säbel eintauschen durfte. Sein Wesen steckte die andern an, und als sie<lb/> dann ausbräche» und, von der Schuljugend begleitet, zum Dorf hinauszogen,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0196]
Weltgeschichte in Hinterwinkel
Der Polizeidiener Kappes näherte sich der Gruppe, alle sahen sich mit
erschrocknen Gesichtern um, und einen Augenblick lang herrschte allgemeines
Schweigen.
Der Mann der öffentlichen Ordnung machte ein furchtbar ernstes Gesicht.
Mit militärisch straffer Haltung blieb er vor dem Volkshaufen stehn. Von
mehreren Zetteln in seiner Hand brachte er einen seiner Brille näher, und
indem er fast die Stimme eines Feldherrn annahm, las er: Lienhard Reichen-
bühler. Damit streckte er den Zettel einem der anwesenden jungen Burschen
entgegen, der einen Blick darauf warf und leicht erblaßte.
Lienhard war ein zurückgezogner Mensch von sanftem Charakter, ein
wenig Mutterkind, nicht ganz und gar Bauer, sondern er betrieb neben der
Landwirtschaft gemeinsam mit seinem Vater auch ein kleines Töpfergeschäft,
worin er für fehr geschickt galt.
Johann Peter Muthes, las der Kriegsbote unterdessen weiter.
Der Träger dieses Namens, ein armer Bursch und Knecht beim Blessen¬
vogt, nahm die Nachricht anders auf, als der erste. Hurra! rief er aus,
hätt net glaubt, daß ernst is; nun aber nix als drauflos, und mach mir
kein so Gsicht, Liuerd, im Krieg gehts lustig zu.
Holla, du nimmsts Maul groß voll, du Tagdieb, du Nichtsnutzer, rief
der Blesfenvogt, aber wer soll mein Heu machen und meine Ernt schneiden?
Macht euch keine Sorg, wir reiten mit den Gäulen drüber, dann ist sie
schon gschnitten, rief der Knecht übermütig. Jedenfalls gram ich mich nicht,
daß ich sie nicht zu schneiden brauch, und euer hartbacken, schimmelig Brot,
Vlessenvogt, gönn ich euch auch; zu weit nach Preußen nein, wo der Pumper¬
nickel anfängt, kommen wir Schwaben doch nicht, und unterwegs giebts beßres.
Nach und nach verlor sich der Haufe. Das Durcheinanderschreien hatte
aufgehört, seitdem der Krieg in so bestimmten Zeichen an die Leute heran¬
getreten war, und ziemlich kleinlaut ging alles auseinander.
Die einbernfnen Soldaten, sechs im ganzen, mußten ohne Zögern ab¬
marschieren. Dabei gab es viel Thränen, aber auch viel tapfre Reden. Der
Pfarrer Bartholomes erschien ebenfalls beim allgemeinen Abschied. Von ihm
hörte ich zum erstenmale das Wort Bruderkrieg. Aber unsre Soldatei?
durften mit Gottvertrauen in den Kampf ziehen; ihre Sache war eine heilige,
sie verteidigten nicht nur ihren König und ihr Vaterland, sonder» anch ihre
heilige Religion.
Diese Ansprache hinderte nicht, daß Lienhard Neichenbühler zuletzt mit
seiner Mutter um die Wette weinte, während sich der Hannpeter Muthes den
Abschiedstrunk schmecken ließ und deutlich zu erkennen gab, daß es ihm ziem¬
lich gleichgiltig sei, was er verteidige, wenn er nur gegen Sichel und Sense
den Säbel eintauschen durfte. Sein Wesen steckte die andern an, und als sie
dann ausbräche» und, von der Schuljugend begleitet, zum Dorf hinauszogen,
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