Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Weltgeschichte in Hinterwinkel Derfflinger, der ehemalige Schneidergesell, wer weiß! Aber auch so noch werden Was du für scheckiges Zeug redst, man meint, du wärst ein Preußen- Ich hätte gar zu gern erfahren, was Schleswig-Holstein sei; denn das
die Thüre aufriß und, selber leicht wankend, in die Stube hereinstürmte. Die Der Tag war ein Samstag, und am andern Morgen, mitten im Gottes¬ Schleswig-Holstein meerumschlungen, Der Pfarrer Bartholomes rief sie von der Kanzel herunter, und lange sprach Weltgeschichte in Hinterwinkel Derfflinger, der ehemalige Schneidergesell, wer weiß! Aber auch so noch werden Was du für scheckiges Zeug redst, man meint, du wärst ein Preußen- Ich hätte gar zu gern erfahren, was Schleswig-Holstein sei; denn das
die Thüre aufriß und, selber leicht wankend, in die Stube hereinstürmte. Die Der Tag war ein Samstag, und am andern Morgen, mitten im Gottes¬ Schleswig-Holstein meerumschlungen, Der Pfarrer Bartholomes rief sie von der Kanzel herunter, und lange sprach <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0198" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212674"/> <fw type="header" place="top"> Weltgeschichte in Hinterwinkel</fw><lb/> <p xml:id="ID_650" prev="#ID_649"> Derfflinger, der ehemalige Schneidergesell, wer weiß! Aber auch so noch werden<lb/> sie den Österreichern genug zu thun geben.</p><lb/> <p xml:id="ID_651"> Was du für scheckiges Zeug redst, man meint, du wärst ein Preußen-<lb/> sreund, rief Nepomuk Rothermund, der Pate, der zu uns herübergekommen<lb/> war. Sie werden schön ankommen, die Berliner Hungerleider. Zu thun<lb/> geben? Dummheiten! Sind wir gar nichts? Denk einmal: Österreich mit<lb/> Ungarn, Vcüern, Württemberg, Baden, Hessen, dann Sachsen, Hannover; die<lb/> Preußen sind nicht recht im Kopf, sonst würden sie daheim bleiben.</p><lb/> <p xml:id="ID_652"> Ich hätte gar zu gern erfahren, was Schleswig-Holstein sei; denn das<lb/> seltsame Wort, das der Gerber Appel so begeisterungsvoll ausgesprochen hatte,<lb/> reizte mich sehr durch seinen fremdartigen Klang. Mein Vater, der einige<lb/> Jahre in Hamburg gewesen und oft nach Altona hinüber gekommen war,<lb/> wollte mir eben antworten, als der Nachbar Gerber mit lautem</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_5" type="poem"> <l> Schleswig-Holstein meerumschlungen,<lb/> Schleswig-Holstein stammverwandt,<lb/> Warte nicht, mein Baterland</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_653"> die Thüre aufriß und, selber leicht wankend, in die Stube hereinstürmte. Die<lb/> abermalige geheimnisvolle Deklamation erhöhte nur meine Neugierde. Aber<lb/> sie für den Abend noch befriedigt zu sehn, blieb keine Hoffnung; die Unter¬<lb/> haltung gestaltete sich zu aufgeregt, als daß ein armer Junge dabei hätte zu<lb/> Worte kommen können.</p><lb/> <p xml:id="ID_654"> Der Tag war ein Samstag, und am andern Morgen, mitten im Gottes¬<lb/> dienst, schlugen zum drittenmal die dunkeln und doch so eindrucksvoller, einer<lb/> Verschwöruugsformel ähnlichen Worte an mein Ohr:</p><lb/> <quote> Schleswig-Holstein meerumschlungen,<lb/> Schleswig-Holstein stammverwandt.</quote><lb/> <p xml:id="ID_655" next="#ID_656"> Der Pfarrer Bartholomes rief sie von der Kanzel herunter, und lange sprach<lb/> er von diesem Schleswig-Holstein. Wir Hütten das Land erobert, wir, und<lb/> die Österreicher, die „Großdeutschen" (ein neues aufreizendes Rütsel für mein<lb/> Ohr), gegen den Willen von Preußen; wir mit unserm Blut hätten Schles¬<lb/> wig-Holstein gewonnen, und die Preußen wollten das Land in die Tasche<lb/> stecken. Da habe Österreich Recht, es nicht leiden zu wollen, und wir dürsten<lb/> es ebenfalls nicht leiden. Aber das sei nicht der wichtigste Punkt. Um<lb/> Größeres handle es sich. Österreich solle aus Deutschland hinaus, damit<lb/> Preußen darin allein Herr sei. Dann müßten wir preußisch werden. Seither<lb/> Hütten auch die Katholiken in Deutschland leben dürfen, weil Österreich dagewesen<lb/> sei, der katholische Kaiserstaat. Nach Österreichs Beseitigung aber hätten die<lb/> Katholiken keinen Schutz und Schirm mehr, und es müßte ihnen übel ergehn.<lb/> Darum seien auch von den Evangelischen einige preußisch gesinnt, einige<lb/> Katholikenfresfer und Dummköpfe nämlich; die Mehrzahl aber sei dennoch gegen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0198]
Weltgeschichte in Hinterwinkel
Derfflinger, der ehemalige Schneidergesell, wer weiß! Aber auch so noch werden
sie den Österreichern genug zu thun geben.
Was du für scheckiges Zeug redst, man meint, du wärst ein Preußen-
sreund, rief Nepomuk Rothermund, der Pate, der zu uns herübergekommen
war. Sie werden schön ankommen, die Berliner Hungerleider. Zu thun
geben? Dummheiten! Sind wir gar nichts? Denk einmal: Österreich mit
Ungarn, Vcüern, Württemberg, Baden, Hessen, dann Sachsen, Hannover; die
Preußen sind nicht recht im Kopf, sonst würden sie daheim bleiben.
Ich hätte gar zu gern erfahren, was Schleswig-Holstein sei; denn das
seltsame Wort, das der Gerber Appel so begeisterungsvoll ausgesprochen hatte,
reizte mich sehr durch seinen fremdartigen Klang. Mein Vater, der einige
Jahre in Hamburg gewesen und oft nach Altona hinüber gekommen war,
wollte mir eben antworten, als der Nachbar Gerber mit lautem
Schleswig-Holstein meerumschlungen,
Schleswig-Holstein stammverwandt,
Warte nicht, mein Baterland
die Thüre aufriß und, selber leicht wankend, in die Stube hereinstürmte. Die
abermalige geheimnisvolle Deklamation erhöhte nur meine Neugierde. Aber
sie für den Abend noch befriedigt zu sehn, blieb keine Hoffnung; die Unter¬
haltung gestaltete sich zu aufgeregt, als daß ein armer Junge dabei hätte zu
Worte kommen können.
Der Tag war ein Samstag, und am andern Morgen, mitten im Gottes¬
dienst, schlugen zum drittenmal die dunkeln und doch so eindrucksvoller, einer
Verschwöruugsformel ähnlichen Worte an mein Ohr:
Schleswig-Holstein meerumschlungen,
Schleswig-Holstein stammverwandt.
Der Pfarrer Bartholomes rief sie von der Kanzel herunter, und lange sprach
er von diesem Schleswig-Holstein. Wir Hütten das Land erobert, wir, und
die Österreicher, die „Großdeutschen" (ein neues aufreizendes Rütsel für mein
Ohr), gegen den Willen von Preußen; wir mit unserm Blut hätten Schles¬
wig-Holstein gewonnen, und die Preußen wollten das Land in die Tasche
stecken. Da habe Österreich Recht, es nicht leiden zu wollen, und wir dürsten
es ebenfalls nicht leiden. Aber das sei nicht der wichtigste Punkt. Um
Größeres handle es sich. Österreich solle aus Deutschland hinaus, damit
Preußen darin allein Herr sei. Dann müßten wir preußisch werden. Seither
Hütten auch die Katholiken in Deutschland leben dürfen, weil Österreich dagewesen
sei, der katholische Kaiserstaat. Nach Österreichs Beseitigung aber hätten die
Katholiken keinen Schutz und Schirm mehr, und es müßte ihnen übel ergehn.
Darum seien auch von den Evangelischen einige preußisch gesinnt, einige
Katholikenfresfer und Dummköpfe nämlich; die Mehrzahl aber sei dennoch gegen
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |