Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Die akademische Kunstausstellung in Berlin wegen ihrer dürftigen Vertretung ab --, bejaht werden. Am meisten, deut¬ Die akademische Kunstausstellung in Berlin wegen ihrer dürftigen Vertretung ab —, bejaht werden. Am meisten, deut¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0189" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212665"/> <fw type="header" place="top"> Die akademische Kunstausstellung in Berlin</fw><lb/> <p xml:id="ID_592" prev="#ID_591" next="#ID_593"> wegen ihrer dürftigen Vertretung ab —, bejaht werden. Am meisten, deut¬<lb/> lichsten und wirkungsvollsten stellen sich, wie seit zwanzig Jahren stets, die<lb/> Fortschritte der Landschaftsmalerei dar, die in keinem Lande der Welt zu<lb/> gleicher Vielseitigkeit entwickelt worden ist, und zwar sowohl nach der technischen<lb/> wie nach der stofflichen Seite. Der den Germanen im Blute steckende Wander¬<lb/> trieb, der schon so viel Unheil angerichtet hat und noch anrichtet, schlägt hier<lb/> einmal zum Segen aus. Als die Franzosen vor sechzig Jahren den Orient für<lb/> die Landschafts- und Genremalerei entdeckten oder „eroberten," wurde großes<lb/> Hallo erhoben, das noch heute nachklingt, weil man sich in Frankreich ge¬<lb/> wöhnt hat, alles Nichtfranzösische schlechthin als minderwertig anzusehen und<lb/> die deutsche Landschaftsmalerei uubesehn als romantisch, phantastisch, stim¬<lb/> mungslos und akademisch zu verdammen. In Wahrheit haben die deutschen<lb/> Landschaftsmaler in neuerer Zeit Eroberungen gemacht, von denen sich die<lb/> Franzosen trotz ihrer weit ältern Kolonialpolitik nichts träumen lassen. Wir<lb/> legen dabei nicht den entscheidenden Wert auf die Neuheit des Motivs. Ferdinand<lb/> Bellermann und Eduard Hildebrandt haben schon vor vierzig Jahren süd¬<lb/> amerikanische Urwald- und Flußlandschaften gemalt, und demnach würde ein<lb/> junger Berliner Maler namens Karl Oenike, der zwei Jahre lang in Brasilien,<lb/> Paraguay und Argentinien seine Studien gemacht hat, nicht als Entdecker zu<lb/> gelten haben. Aber welch ungeheuern Fortschritt in der Technik, in der un¬<lb/> befangnen, von keiner romantischen Schönfärberei angekränkelten Art des Sehens<lb/> und in der Wahl der Motive, die keinen Unterschied zwischen dem dankbar<lb/> malerischen und dem schlichten, an sich reizlosen Naturausschnitt macht, stellen<lb/> die Landschaften Oenikes dar, insbesondre die „Palmenlichtung im Urwald<lb/> von Paraguay," über der trotz der tropischen, alle Mitteltöne gleichsam auf¬<lb/> zehrenden Beleuchtung ein Hauch poetischer Stimmung schwebt! Nicht die<lb/> Ausdehnung ins Weite ist das Hauptverdienst der neuern deutscheu Land¬<lb/> schaftsmalerei, sondern die mit dieser Ausdehnung gleichen Schritt haltende<lb/> Entwicklung der Darstellungsmittel, die den atmosphärischen Erscheinungen und<lb/> dem plastischen Charakter, dem Wechselnden wie dem Bleibenden gerecht werden.<lb/> Manche dieser malerischen Entdeckungsreisen fallen freilich in das Gebiet<lb/> jugendlichen Sports, dessen geglückte Thaten man noch nicht in die Jahrbücher<lb/> der deutschen Kunstgeschichte eintragen darf. Wir machen aber die Beobachtung,<lb/> daß auch ernste, gereifte Männer und Greise ungeachtet aller drohenden Stra¬<lb/> pazen und Entbehrungen immer wieder zu der Quelle zurückkehren, aus der<lb/> ihre Phantasie und ihre Gestaltungskraft die erste Begeisterung geschöpft haben.<lb/> Auch dieser Drang nach häufigem, unmittelbarem Verkehr mit der Natur gehört<lb/> zu den Eigentümlichkeiten des deutschen Volkscharakters, die wir in hohen<lb/> Ehren zu halten haben. Daß er sich bisweilen zum Heroismus und zur<lb/> Selbstaufopferung erhebt, haben wir erst vor kurzem an dem Orientmaler<lb/> Wilhelm Gentz erfahren, der noch ein Jahr vor seinem Tode seinen siechen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0189]
Die akademische Kunstausstellung in Berlin
wegen ihrer dürftigen Vertretung ab —, bejaht werden. Am meisten, deut¬
lichsten und wirkungsvollsten stellen sich, wie seit zwanzig Jahren stets, die
Fortschritte der Landschaftsmalerei dar, die in keinem Lande der Welt zu
gleicher Vielseitigkeit entwickelt worden ist, und zwar sowohl nach der technischen
wie nach der stofflichen Seite. Der den Germanen im Blute steckende Wander¬
trieb, der schon so viel Unheil angerichtet hat und noch anrichtet, schlägt hier
einmal zum Segen aus. Als die Franzosen vor sechzig Jahren den Orient für
die Landschafts- und Genremalerei entdeckten oder „eroberten," wurde großes
Hallo erhoben, das noch heute nachklingt, weil man sich in Frankreich ge¬
wöhnt hat, alles Nichtfranzösische schlechthin als minderwertig anzusehen und
die deutsche Landschaftsmalerei uubesehn als romantisch, phantastisch, stim¬
mungslos und akademisch zu verdammen. In Wahrheit haben die deutschen
Landschaftsmaler in neuerer Zeit Eroberungen gemacht, von denen sich die
Franzosen trotz ihrer weit ältern Kolonialpolitik nichts träumen lassen. Wir
legen dabei nicht den entscheidenden Wert auf die Neuheit des Motivs. Ferdinand
Bellermann und Eduard Hildebrandt haben schon vor vierzig Jahren süd¬
amerikanische Urwald- und Flußlandschaften gemalt, und demnach würde ein
junger Berliner Maler namens Karl Oenike, der zwei Jahre lang in Brasilien,
Paraguay und Argentinien seine Studien gemacht hat, nicht als Entdecker zu
gelten haben. Aber welch ungeheuern Fortschritt in der Technik, in der un¬
befangnen, von keiner romantischen Schönfärberei angekränkelten Art des Sehens
und in der Wahl der Motive, die keinen Unterschied zwischen dem dankbar
malerischen und dem schlichten, an sich reizlosen Naturausschnitt macht, stellen
die Landschaften Oenikes dar, insbesondre die „Palmenlichtung im Urwald
von Paraguay," über der trotz der tropischen, alle Mitteltöne gleichsam auf¬
zehrenden Beleuchtung ein Hauch poetischer Stimmung schwebt! Nicht die
Ausdehnung ins Weite ist das Hauptverdienst der neuern deutscheu Land¬
schaftsmalerei, sondern die mit dieser Ausdehnung gleichen Schritt haltende
Entwicklung der Darstellungsmittel, die den atmosphärischen Erscheinungen und
dem plastischen Charakter, dem Wechselnden wie dem Bleibenden gerecht werden.
Manche dieser malerischen Entdeckungsreisen fallen freilich in das Gebiet
jugendlichen Sports, dessen geglückte Thaten man noch nicht in die Jahrbücher
der deutschen Kunstgeschichte eintragen darf. Wir machen aber die Beobachtung,
daß auch ernste, gereifte Männer und Greise ungeachtet aller drohenden Stra¬
pazen und Entbehrungen immer wieder zu der Quelle zurückkehren, aus der
ihre Phantasie und ihre Gestaltungskraft die erste Begeisterung geschöpft haben.
Auch dieser Drang nach häufigem, unmittelbarem Verkehr mit der Natur gehört
zu den Eigentümlichkeiten des deutschen Volkscharakters, die wir in hohen
Ehren zu halten haben. Daß er sich bisweilen zum Heroismus und zur
Selbstaufopferung erhebt, haben wir erst vor kurzem an dem Orientmaler
Wilhelm Gentz erfahren, der noch ein Jahr vor seinem Tode seinen siechen
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