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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Die akademische Kunstausstellung in Berlin

er uns ein alten und jungen Herren und Damen, an jovialen, weinfrohen
und in sich gefestigten Naturen, die sich ohne besondre seelische Empfindlichkeit
ihres Daseins freuen, oder an nervösen Gemütsmenschen, an Denkern und
Grüblern vorführt, hat zwar meist einen philiströsen Zug, aber es ist doch
Natur, und zwar gesunde Natur, und das ist sehr viel in einer Zeit, wo der
Begriff Natur zum Schlachtruf für eine Horde von Sansculotten geworden
ist, die die schlimmsten Schändungen an dem Heiligtum der Natur verüben.

In Berlin haben wir freilich noch keine Ursache zu schwerer Klage. Wenn
Akademie und Künstlerverein auch oft im Streite lagen, so sind sie doch in
der Bekämpfung der schädlichen Einwirkungen des Naturalismus und in der
Ausschließung seiner groben Ausschreitungen einig gewesen. Aus den Erleb¬
nissen einer Kunsthandlung, die mit den Erzeugnissen des Naturalismus jahre¬
lang ein verderbliches Spiel getrieben hat, werden andre, die den Versuch
machten, mit ihr zu wetteifern, vielleicht eine heilsame Lehre gezogen haben.
Hoffentlich wird ein öffentliches Ärgernis wie die "Ausstellung der Elf" nicht
fo bald wiederkehren. Es müßte denn sein, daß sich das deutsche Volks¬
gewissen am Ende ganz einschläfern ließe und der deutsche Michel wieder in
seiner Glorie erstünde.

Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet erlangen die Sonderausstellungeu
der Akademiker, von denen die des Aquarellisten Passini, des Landschafts¬
malers Gustav Schönleber in Karlsruhe und der Hauptwerke des im vorigen
Jahre gestorbenen Geschichtsmalers Gustav Spangenberg durch ihren Umfang
und ihren Inhalt wenigstens ein richtiges Bild der künstlerischen Individuali¬
täten geben, trotz ihrer Lücken und Schwächen gewissermaßen eine pädagogische
Bedeutung. Den jungen Stürmern und Drängern kann nicht oft und ein¬
dringlich genug das, was wir besitzen und besessen haben, und was sie gegen
höchst zweifelhafte Theorien und Experimente preisgeben wollen, vor Augen
geführt werden. Leider hat man sich aber mit der Vorführung nachahmens¬
werter Muster, in denen entweder das nationale Element zu starker Geltung
kommt, oder die sich durch hohe Entwicklung der malerischen und bildnerischen
Technik auszeichnen, nicht begnügt. Vielleicht aus Furcht, daß die Räume
des großen Gebäudes wegen der Münchner Konkurrenz nicht anständig gefüllt
werden könnten, hat man auch Sonder- und Sammelnusstellungen von solchen
Künstlern zugelassen, deren Berechtigung zu einer solchen Bevorzugung stark
bezweifelt werden muß. Mit diesen Sammelausstellungen ist in den letzten
Jahren von spekulativen Kunsthändlern ein so arger Mißbrauch getrieben
worden, daß die Akademie, oder wer sonst für die Anordnung der Ausstellung
verantwortlich ist, diesen Weg nicht hätte betreten sollen. Wenn ein Künstler
die Akademie durchgemacht hatte und durch ein Staatsstipendium, einen aka¬
demischen Preis oder die Unterstützung eines reichen Vaters oder Onkels in
die Lage gekommen war, eine Studienreise nach Italien, dem Orient oder


Die akademische Kunstausstellung in Berlin

er uns ein alten und jungen Herren und Damen, an jovialen, weinfrohen
und in sich gefestigten Naturen, die sich ohne besondre seelische Empfindlichkeit
ihres Daseins freuen, oder an nervösen Gemütsmenschen, an Denkern und
Grüblern vorführt, hat zwar meist einen philiströsen Zug, aber es ist doch
Natur, und zwar gesunde Natur, und das ist sehr viel in einer Zeit, wo der
Begriff Natur zum Schlachtruf für eine Horde von Sansculotten geworden
ist, die die schlimmsten Schändungen an dem Heiligtum der Natur verüben.

In Berlin haben wir freilich noch keine Ursache zu schwerer Klage. Wenn
Akademie und Künstlerverein auch oft im Streite lagen, so sind sie doch in
der Bekämpfung der schädlichen Einwirkungen des Naturalismus und in der
Ausschließung seiner groben Ausschreitungen einig gewesen. Aus den Erleb¬
nissen einer Kunsthandlung, die mit den Erzeugnissen des Naturalismus jahre¬
lang ein verderbliches Spiel getrieben hat, werden andre, die den Versuch
machten, mit ihr zu wetteifern, vielleicht eine heilsame Lehre gezogen haben.
Hoffentlich wird ein öffentliches Ärgernis wie die „Ausstellung der Elf" nicht
fo bald wiederkehren. Es müßte denn sein, daß sich das deutsche Volks¬
gewissen am Ende ganz einschläfern ließe und der deutsche Michel wieder in
seiner Glorie erstünde.

Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet erlangen die Sonderausstellungeu
der Akademiker, von denen die des Aquarellisten Passini, des Landschafts¬
malers Gustav Schönleber in Karlsruhe und der Hauptwerke des im vorigen
Jahre gestorbenen Geschichtsmalers Gustav Spangenberg durch ihren Umfang
und ihren Inhalt wenigstens ein richtiges Bild der künstlerischen Individuali¬
täten geben, trotz ihrer Lücken und Schwächen gewissermaßen eine pädagogische
Bedeutung. Den jungen Stürmern und Drängern kann nicht oft und ein¬
dringlich genug das, was wir besitzen und besessen haben, und was sie gegen
höchst zweifelhafte Theorien und Experimente preisgeben wollen, vor Augen
geführt werden. Leider hat man sich aber mit der Vorführung nachahmens¬
werter Muster, in denen entweder das nationale Element zu starker Geltung
kommt, oder die sich durch hohe Entwicklung der malerischen und bildnerischen
Technik auszeichnen, nicht begnügt. Vielleicht aus Furcht, daß die Räume
des großen Gebäudes wegen der Münchner Konkurrenz nicht anständig gefüllt
werden könnten, hat man auch Sonder- und Sammelnusstellungen von solchen
Künstlern zugelassen, deren Berechtigung zu einer solchen Bevorzugung stark
bezweifelt werden muß. Mit diesen Sammelausstellungen ist in den letzten
Jahren von spekulativen Kunsthändlern ein so arger Mißbrauch getrieben
worden, daß die Akademie, oder wer sonst für die Anordnung der Ausstellung
verantwortlich ist, diesen Weg nicht hätte betreten sollen. Wenn ein Künstler
die Akademie durchgemacht hatte und durch ein Staatsstipendium, einen aka¬
demischen Preis oder die Unterstützung eines reichen Vaters oder Onkels in
die Lage gekommen war, eine Studienreise nach Italien, dem Orient oder


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[0187] Die akademische Kunstausstellung in Berlin er uns ein alten und jungen Herren und Damen, an jovialen, weinfrohen und in sich gefestigten Naturen, die sich ohne besondre seelische Empfindlichkeit ihres Daseins freuen, oder an nervösen Gemütsmenschen, an Denkern und Grüblern vorführt, hat zwar meist einen philiströsen Zug, aber es ist doch Natur, und zwar gesunde Natur, und das ist sehr viel in einer Zeit, wo der Begriff Natur zum Schlachtruf für eine Horde von Sansculotten geworden ist, die die schlimmsten Schändungen an dem Heiligtum der Natur verüben. In Berlin haben wir freilich noch keine Ursache zu schwerer Klage. Wenn Akademie und Künstlerverein auch oft im Streite lagen, so sind sie doch in der Bekämpfung der schädlichen Einwirkungen des Naturalismus und in der Ausschließung seiner groben Ausschreitungen einig gewesen. Aus den Erleb¬ nissen einer Kunsthandlung, die mit den Erzeugnissen des Naturalismus jahre¬ lang ein verderbliches Spiel getrieben hat, werden andre, die den Versuch machten, mit ihr zu wetteifern, vielleicht eine heilsame Lehre gezogen haben. Hoffentlich wird ein öffentliches Ärgernis wie die „Ausstellung der Elf" nicht fo bald wiederkehren. Es müßte denn sein, daß sich das deutsche Volks¬ gewissen am Ende ganz einschläfern ließe und der deutsche Michel wieder in seiner Glorie erstünde. Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet erlangen die Sonderausstellungeu der Akademiker, von denen die des Aquarellisten Passini, des Landschafts¬ malers Gustav Schönleber in Karlsruhe und der Hauptwerke des im vorigen Jahre gestorbenen Geschichtsmalers Gustav Spangenberg durch ihren Umfang und ihren Inhalt wenigstens ein richtiges Bild der künstlerischen Individuali¬ täten geben, trotz ihrer Lücken und Schwächen gewissermaßen eine pädagogische Bedeutung. Den jungen Stürmern und Drängern kann nicht oft und ein¬ dringlich genug das, was wir besitzen und besessen haben, und was sie gegen höchst zweifelhafte Theorien und Experimente preisgeben wollen, vor Augen geführt werden. Leider hat man sich aber mit der Vorführung nachahmens¬ werter Muster, in denen entweder das nationale Element zu starker Geltung kommt, oder die sich durch hohe Entwicklung der malerischen und bildnerischen Technik auszeichnen, nicht begnügt. Vielleicht aus Furcht, daß die Räume des großen Gebäudes wegen der Münchner Konkurrenz nicht anständig gefüllt werden könnten, hat man auch Sonder- und Sammelnusstellungen von solchen Künstlern zugelassen, deren Berechtigung zu einer solchen Bevorzugung stark bezweifelt werden muß. Mit diesen Sammelausstellungen ist in den letzten Jahren von spekulativen Kunsthändlern ein so arger Mißbrauch getrieben worden, daß die Akademie, oder wer sonst für die Anordnung der Ausstellung verantwortlich ist, diesen Weg nicht hätte betreten sollen. Wenn ein Künstler die Akademie durchgemacht hatte und durch ein Staatsstipendium, einen aka¬ demischen Preis oder die Unterstützung eines reichen Vaters oder Onkels in die Lage gekommen war, eine Studienreise nach Italien, dem Orient oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/187>, abgerufen am 08.01.2025.