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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Die akademische Kunstausstellung in Berlin

nicht hinaufzuschrauben vermocht hat. Fast alle schlechten Holbein haben sich
in neuerer Zeit als gute Clouets entpuppt, und auf diese Thatsache sollten
wir ein höheres Gewicht legen als auf die Ehrenbezeugungen, die die fran¬
zösischen Naturalisten für ihre deutscheu Schüler abfallen lassen, auf die
Medaillen und ehrenvollen Erwähnungen, die Liebermann, F. von Abbe,
G. Kuehl, Fräulein Dora Hitz, Fräulein Breslauer und andern zuteil werden,
oder gar auf die Herrn Liebermann erwiesene Ehre der Mitgliedschaft der
LovivtL ng.t,ioinü<z (d. h. doch "französischen") ac-s vög,ux-g,re.8. Ein Franzose
würde eine solche Auszeichnung von deutscher Seite mit Entrüstung und tra¬
gischen Pathos zurückweisen, der Deutsche nimmt sie als "internationaler"
oder vielmehr "supranationaler" Mann ruhig an und freut sich vielleicht auch
darüber, daß die Zeitungen davon Notiz nehmen und die Unparteilichkeit der
Franzosen rühmen. Das geschieht ein Jahr nach der Berliner Kunstaus¬
stellung von 1891, die den Franzosen wieder einmal den Anlaß zur Ent¬
hüllung ihres pöbelhafter, von der Straßenrevolte diktirten Chauvinismus
gegeben hat!

Eduard von Gebhardt hat sich an seine Vorbilder aus dem fünfzehnten
und sechzehnten Jahrhundert nur insoweit angeschlossen, als er von ihnen die
Trachten, die eigentümliche Befangenheit der Körperbildung, die die Wahrheit
über die Schönheit stellt, oder vielmehr das Zufällige an einem Individuum
einem aus einer Reihe von Einzelwesen abstrahirten Typus vorzieht, die mehr
auf scharfe Betonung der Lokalfarben als auf Gesamtton und Stimmung hal¬
tende Färbung und gewisse Einzelheiten der äußern Anordnung angenommen
hat. Sein eignes künstlerisches Verdienst liegt in der Charakteristik der
Köpfe, in der Analyse der Seele, in der Herauslösung des geistigen und
seelischen Lebens selbst aus anscheinend stumpfsinnigen Wesen. Aus einer großen
Zahl von Studienköpfen nach der Natur lernen wir sein Verfahren kennen,
wie er allmählich der Persönlichkeit, die er für seine Zwecke brauchbar erfunden
hat, beizukommen sucht, wie er die charakteristischen Züge immer stärker hervor¬
hebt und am Ende den Kops zum Gefäß einer religiösen Empfindung oder
zum Träger eines begeisternden oder sittlich erhebenden Gedankens macht.
Das ist auch eine Art von Idealisirung, bei der auch ein häßlicher Kopf
gleichsam von innen heraus veredelt wird. In den fertigen Bildern, denen
diese Naturstudien gedient haben, in deuen aus der evangelischen Geschichte
wie in den Einzelfiguren und Genreszenen aus dem Neformationszeitalter, sind
Umgebung und Trachten mit den aus dem modernen Leben gezognen Menschen
so eng verwachsen, daß nur selten eine Figur an Maskerade oder an die Pose
des Modells erinnert. Wie innig Eduard von Gebhardt trotz seiner alter-
tümelnden Neigungen mit der Natur vertraut ist, erfahren wir noch besser
ans seinen Bildnissen, in denen er weder mit Holbein noch mit Quentin
Massys liebäugelt, soudern ohne Mittelsleute auf die Natur losgeht. Was


Die akademische Kunstausstellung in Berlin

nicht hinaufzuschrauben vermocht hat. Fast alle schlechten Holbein haben sich
in neuerer Zeit als gute Clouets entpuppt, und auf diese Thatsache sollten
wir ein höheres Gewicht legen als auf die Ehrenbezeugungen, die die fran¬
zösischen Naturalisten für ihre deutscheu Schüler abfallen lassen, auf die
Medaillen und ehrenvollen Erwähnungen, die Liebermann, F. von Abbe,
G. Kuehl, Fräulein Dora Hitz, Fräulein Breslauer und andern zuteil werden,
oder gar auf die Herrn Liebermann erwiesene Ehre der Mitgliedschaft der
LovivtL ng.t,ioinü<z (d. h. doch „französischen") ac-s vög,ux-g,re.8. Ein Franzose
würde eine solche Auszeichnung von deutscher Seite mit Entrüstung und tra¬
gischen Pathos zurückweisen, der Deutsche nimmt sie als „internationaler"
oder vielmehr „supranationaler" Mann ruhig an und freut sich vielleicht auch
darüber, daß die Zeitungen davon Notiz nehmen und die Unparteilichkeit der
Franzosen rühmen. Das geschieht ein Jahr nach der Berliner Kunstaus¬
stellung von 1891, die den Franzosen wieder einmal den Anlaß zur Ent¬
hüllung ihres pöbelhafter, von der Straßenrevolte diktirten Chauvinismus
gegeben hat!

Eduard von Gebhardt hat sich an seine Vorbilder aus dem fünfzehnten
und sechzehnten Jahrhundert nur insoweit angeschlossen, als er von ihnen die
Trachten, die eigentümliche Befangenheit der Körperbildung, die die Wahrheit
über die Schönheit stellt, oder vielmehr das Zufällige an einem Individuum
einem aus einer Reihe von Einzelwesen abstrahirten Typus vorzieht, die mehr
auf scharfe Betonung der Lokalfarben als auf Gesamtton und Stimmung hal¬
tende Färbung und gewisse Einzelheiten der äußern Anordnung angenommen
hat. Sein eignes künstlerisches Verdienst liegt in der Charakteristik der
Köpfe, in der Analyse der Seele, in der Herauslösung des geistigen und
seelischen Lebens selbst aus anscheinend stumpfsinnigen Wesen. Aus einer großen
Zahl von Studienköpfen nach der Natur lernen wir sein Verfahren kennen,
wie er allmählich der Persönlichkeit, die er für seine Zwecke brauchbar erfunden
hat, beizukommen sucht, wie er die charakteristischen Züge immer stärker hervor¬
hebt und am Ende den Kops zum Gefäß einer religiösen Empfindung oder
zum Träger eines begeisternden oder sittlich erhebenden Gedankens macht.
Das ist auch eine Art von Idealisirung, bei der auch ein häßlicher Kopf
gleichsam von innen heraus veredelt wird. In den fertigen Bildern, denen
diese Naturstudien gedient haben, in deuen aus der evangelischen Geschichte
wie in den Einzelfiguren und Genreszenen aus dem Neformationszeitalter, sind
Umgebung und Trachten mit den aus dem modernen Leben gezognen Menschen
so eng verwachsen, daß nur selten eine Figur an Maskerade oder an die Pose
des Modells erinnert. Wie innig Eduard von Gebhardt trotz seiner alter-
tümelnden Neigungen mit der Natur vertraut ist, erfahren wir noch besser
ans seinen Bildnissen, in denen er weder mit Holbein noch mit Quentin
Massys liebäugelt, soudern ohne Mittelsleute auf die Natur losgeht. Was


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[0186] Die akademische Kunstausstellung in Berlin nicht hinaufzuschrauben vermocht hat. Fast alle schlechten Holbein haben sich in neuerer Zeit als gute Clouets entpuppt, und auf diese Thatsache sollten wir ein höheres Gewicht legen als auf die Ehrenbezeugungen, die die fran¬ zösischen Naturalisten für ihre deutscheu Schüler abfallen lassen, auf die Medaillen und ehrenvollen Erwähnungen, die Liebermann, F. von Abbe, G. Kuehl, Fräulein Dora Hitz, Fräulein Breslauer und andern zuteil werden, oder gar auf die Herrn Liebermann erwiesene Ehre der Mitgliedschaft der LovivtL ng.t,ioinü<z (d. h. doch „französischen") ac-s vög,ux-g,re.8. Ein Franzose würde eine solche Auszeichnung von deutscher Seite mit Entrüstung und tra¬ gischen Pathos zurückweisen, der Deutsche nimmt sie als „internationaler" oder vielmehr „supranationaler" Mann ruhig an und freut sich vielleicht auch darüber, daß die Zeitungen davon Notiz nehmen und die Unparteilichkeit der Franzosen rühmen. Das geschieht ein Jahr nach der Berliner Kunstaus¬ stellung von 1891, die den Franzosen wieder einmal den Anlaß zur Ent¬ hüllung ihres pöbelhafter, von der Straßenrevolte diktirten Chauvinismus gegeben hat! Eduard von Gebhardt hat sich an seine Vorbilder aus dem fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert nur insoweit angeschlossen, als er von ihnen die Trachten, die eigentümliche Befangenheit der Körperbildung, die die Wahrheit über die Schönheit stellt, oder vielmehr das Zufällige an einem Individuum einem aus einer Reihe von Einzelwesen abstrahirten Typus vorzieht, die mehr auf scharfe Betonung der Lokalfarben als auf Gesamtton und Stimmung hal¬ tende Färbung und gewisse Einzelheiten der äußern Anordnung angenommen hat. Sein eignes künstlerisches Verdienst liegt in der Charakteristik der Köpfe, in der Analyse der Seele, in der Herauslösung des geistigen und seelischen Lebens selbst aus anscheinend stumpfsinnigen Wesen. Aus einer großen Zahl von Studienköpfen nach der Natur lernen wir sein Verfahren kennen, wie er allmählich der Persönlichkeit, die er für seine Zwecke brauchbar erfunden hat, beizukommen sucht, wie er die charakteristischen Züge immer stärker hervor¬ hebt und am Ende den Kops zum Gefäß einer religiösen Empfindung oder zum Träger eines begeisternden oder sittlich erhebenden Gedankens macht. Das ist auch eine Art von Idealisirung, bei der auch ein häßlicher Kopf gleichsam von innen heraus veredelt wird. In den fertigen Bildern, denen diese Naturstudien gedient haben, in deuen aus der evangelischen Geschichte wie in den Einzelfiguren und Genreszenen aus dem Neformationszeitalter, sind Umgebung und Trachten mit den aus dem modernen Leben gezognen Menschen so eng verwachsen, daß nur selten eine Figur an Maskerade oder an die Pose des Modells erinnert. Wie innig Eduard von Gebhardt trotz seiner alter- tümelnden Neigungen mit der Natur vertraut ist, erfahren wir noch besser ans seinen Bildnissen, in denen er weder mit Holbein noch mit Quentin Massys liebäugelt, soudern ohne Mittelsleute auf die Natur losgeht. Was

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/186>, abgerufen am 08.01.2025.