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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Die akademische Kunstausstellung in Berlin

Kunst gewährt. Man hat in Berlin, München, Paris und London schon
Sammelausstellungen der Werke Adolf Menzels gesehn; aber keine ist in ihrem
Inhalt und nach ihrer äußern Einrichtung kläglicher ausgefallen, als die auf
der letzten Ausstellung der Akademie. Kraus ist mit einer stattlichen Anzahl
älterer und neuerer Werke vertreten; aber sie lassen nicht erkennen, worin
eigentlich die nationale Bedeutung dieses Meisters für uns liegt. Es siud
meist Bildnisse von Herren, Damen und Kindern aus deu Kreisen der Ber¬
liner Geldaristokratie, an und für sich fesselnd durch die scharfe, geistvolle
Charakteristik, die so viel vom innern Leben giebt, als überhaupt herauszuholen
ist, und durch die bestechende Technik, die geschmackvolle Anordnung, die zwar
aus dem Studium der alten Niederländer, insbesondre Terborchs und Meissouiers,
abgeleitet siud, daneben aber auch einen modernen und einen persönlichen Zug
haben. Aber von dem Genremaler Kraus, der früher so tief in das deutsche
Volkstum und die deutsche Volksseele hineingeschaut hat, daß die Franzosen
vor solchem Bildern wie vor neuen Offenbarungen standen und ausnahms¬
weise einmal nicht von Nachahmung ihrer Kunst und von deutschen Philistern
reden konnten, sieht man in dieser Sonderausstellung nichts. Die karten¬
spielenden Schusterjungen, ein altes, durch den Stich verbreitetes Bild, und
die Schulknaben, die auf dem Erdboden liegend mit einander raufen, bieten
für diesen Ausfall eine nur mäßige Entschädigung, wenngleich der Humor
dieser Darstellungen in einer Zeit, wo der Mehrzahl der deutschen und aus¬
ländischen Genremaler der Humor gänzlich abhanden gekommen zu sein scheint,
dankbar begrüßt werden muß.

Am reichsten und vielseitigsten ist die Sonderausstellung Ednard von
Gebhardts gestaltet worden, auf den alle, die es mit unsrer Kunst ernst meinen,
mit nicht geringerm Stolze blicken als auf Menzel und Kraus. Je mehr
sich Fritz von Abbe, von dem man eine Verinnerlichung der religiösen Malerei
in Übereinstimmung mit der modernen Anschauung von der Gleichberechtigung
aller Menschen vor dem Mittler erwartete, in naturalistische Schrullen und
koloristische Experimente verliert -- der "Ostermorgen" (Christus erscheint der
Magdalena als Gärtner) ist ein besonders bezeichnendes Beispiel für die letzten
Ausartungen seiner Manier --, desto höher steigt Eduard von Gebhardt in
unsrer Schätzung. Wie Abbe, bietet uus auch Gebhardt meist nur Malerei
ans zweiter Hand. Aber die erste Hand, aus der er sie entnimmt, ist doch
eine deutsche, während wir bei Abbe niemals vergessen und übersehen können,
daß er seinen Naturalismus nicht der Natur, sondern zuerst den Franzosen
abgesehen hat. Gebhardt hat dagegen sein Bestes von den alten, uns stamm¬
verwandten Niederländern, von Dürer und von Holbein gelernt, und da man
durch Hasser und Neider den Wert seines eignen Besitztums am besten kennen
lernt, wissen wir auch längst, was wir an Holbein besitzen, zu dessen ein¬
samer künstlerischer Höhe alle Prahlsucht der Franzosen ihren Jean Clouct


Grenzboten 111 1392 23
Die akademische Kunstausstellung in Berlin

Kunst gewährt. Man hat in Berlin, München, Paris und London schon
Sammelausstellungen der Werke Adolf Menzels gesehn; aber keine ist in ihrem
Inhalt und nach ihrer äußern Einrichtung kläglicher ausgefallen, als die auf
der letzten Ausstellung der Akademie. Kraus ist mit einer stattlichen Anzahl
älterer und neuerer Werke vertreten; aber sie lassen nicht erkennen, worin
eigentlich die nationale Bedeutung dieses Meisters für uns liegt. Es siud
meist Bildnisse von Herren, Damen und Kindern aus deu Kreisen der Ber¬
liner Geldaristokratie, an und für sich fesselnd durch die scharfe, geistvolle
Charakteristik, die so viel vom innern Leben giebt, als überhaupt herauszuholen
ist, und durch die bestechende Technik, die geschmackvolle Anordnung, die zwar
aus dem Studium der alten Niederländer, insbesondre Terborchs und Meissouiers,
abgeleitet siud, daneben aber auch einen modernen und einen persönlichen Zug
haben. Aber von dem Genremaler Kraus, der früher so tief in das deutsche
Volkstum und die deutsche Volksseele hineingeschaut hat, daß die Franzosen
vor solchem Bildern wie vor neuen Offenbarungen standen und ausnahms¬
weise einmal nicht von Nachahmung ihrer Kunst und von deutschen Philistern
reden konnten, sieht man in dieser Sonderausstellung nichts. Die karten¬
spielenden Schusterjungen, ein altes, durch den Stich verbreitetes Bild, und
die Schulknaben, die auf dem Erdboden liegend mit einander raufen, bieten
für diesen Ausfall eine nur mäßige Entschädigung, wenngleich der Humor
dieser Darstellungen in einer Zeit, wo der Mehrzahl der deutschen und aus¬
ländischen Genremaler der Humor gänzlich abhanden gekommen zu sein scheint,
dankbar begrüßt werden muß.

Am reichsten und vielseitigsten ist die Sonderausstellung Ednard von
Gebhardts gestaltet worden, auf den alle, die es mit unsrer Kunst ernst meinen,
mit nicht geringerm Stolze blicken als auf Menzel und Kraus. Je mehr
sich Fritz von Abbe, von dem man eine Verinnerlichung der religiösen Malerei
in Übereinstimmung mit der modernen Anschauung von der Gleichberechtigung
aller Menschen vor dem Mittler erwartete, in naturalistische Schrullen und
koloristische Experimente verliert — der „Ostermorgen" (Christus erscheint der
Magdalena als Gärtner) ist ein besonders bezeichnendes Beispiel für die letzten
Ausartungen seiner Manier —, desto höher steigt Eduard von Gebhardt in
unsrer Schätzung. Wie Abbe, bietet uus auch Gebhardt meist nur Malerei
ans zweiter Hand. Aber die erste Hand, aus der er sie entnimmt, ist doch
eine deutsche, während wir bei Abbe niemals vergessen und übersehen können,
daß er seinen Naturalismus nicht der Natur, sondern zuerst den Franzosen
abgesehen hat. Gebhardt hat dagegen sein Bestes von den alten, uns stamm¬
verwandten Niederländern, von Dürer und von Holbein gelernt, und da man
durch Hasser und Neider den Wert seines eignen Besitztums am besten kennen
lernt, wissen wir auch längst, was wir an Holbein besitzen, zu dessen ein¬
samer künstlerischer Höhe alle Prahlsucht der Franzosen ihren Jean Clouct


Grenzboten 111 1392 23
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/185>, abgerufen am 08.01.2025.