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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Aus Goethes Todesjahr

dankenswerte Vergünstigung ließ mich vor kurzem Einblick in eine Reihe noch
ungedruckter Briefe des verdienstlichen Mannes gewinnen, unter denen sich
namentlich drei unmittelbar zu einander gehörige, höchst interessante Briefe
an seine Gattin aus dem August 1832 und aus Weimar zur Mitteilung an
weitere Kreise empfehlen. Sie knüpfen insofern an den Briefwechsel Goethes
mit Rochlitz an, dem die Grenzboten seiner Zeit eine eingehende Würdigung
zu teil werden ließen/') als die musikgeschichtlicheu, mit historischen Konzerten
verbundnen Vorträge, die der Leipziger Ästhetiker in jenem Sommer 1832 in
Weimar hielt, noch bei Goethes Lebzeiten geplant worden waren. Rochlitz
war im Mai 1831 in Weimar gewesen, um dem regierenden Großherzog Karl
Friedrich, dem Gemahl der Großherzogin Maria Paulowna, seinen Dank für
das Ritterkreuz des weißen Falkenordens, mit dem man ihn ausgezeichnet hatte,
abzustatten. Er hatte bei dieser Gelegenheit mit Goethe, der wie Rochlitz
selbst durch Unwohlsein am freien geselligen Verkehr behindert war, nur Briefe
gewechselt. Es war die wunderliche Situation, die Goethe am 4. Mai 1831
mit den Worten bezeichnete: "Da ich Sie, teuerster Herr und Freund, nur
einige hundert Schritte von mir entfernt, von gleichem Übel befangen und uns
in solcher Nähe ebenso getrennt fühlte, als wenn Meilen zwischen uns lägen,
so gab das einen bösen hypochondrischen Zug; wie ein mißlungnes Unter¬
nehmen, eine so nah und in der Erfüllung getäuschte Hoffnung nur störend
in unsre Tage hineinschieben können." Rochlitz schied damals nicht ohne die
Ahnung, daß er Goethe wahrscheinlich nicht wiedersehen werde. Aber sobald
er sich in Leipzig in der Stille seines Hauses selbst einigermaßen erholt hatte,
meldete er an Goethe als seinen dringenden Wunsch: "Ich möchte nach Weimar
kommen und Ihnen, den höchsten Herrschaften, Herrn von Müller und manchem
andern Freunde oder Zugeneigten das nun werden oder leisten, was ich da¬
mals gewollt, aber nicht vermocht." Er wollte dem von ihm verehrten Wei¬
marischen Lebenskreise "gesellige und gewissermaßen gesellschaftliche Musik"
darbieten, und er dürfte mit Recht sagen: "Sie -- soweit ich sehe -- könnte
Alle vereinigen, die man vereinigt wünschte; sie, wohlgewählt, ließe zuverlässig
Keinen leer ausgehen- Ans sie würde ich nun auch noch weit mehr eingerichtet
seyn, als damals; und -- es werde mir der Anschein von Unbescheidenheit
vergeben -- was ich eben da bieten könnte, kann man auf andere Weise oder
durch einen Andern durchaus nicht erlangen; ich meyne: was und wie ein
Anderer, wie weit er darin mir vorzuziehen sey, möchte er anch dasselbe ge¬
lernt haben, so besitzt er nicht, was ich besitze und in den Ideen dies zu fassen,
zu ordnen, darzulegen und gelten zu machen, bleibt doch Jeder ein Anderer."
Er schilderte sein Vorhaben anschaulich und vielverheißend: "Ich denke mich
in einem ziemlich großen und nicht niedrigen Zimmer, umgeben von vier



") Grenzboten 1887. Heft 48 und 49.
Aus Goethes Todesjahr

dankenswerte Vergünstigung ließ mich vor kurzem Einblick in eine Reihe noch
ungedruckter Briefe des verdienstlichen Mannes gewinnen, unter denen sich
namentlich drei unmittelbar zu einander gehörige, höchst interessante Briefe
an seine Gattin aus dem August 1832 und aus Weimar zur Mitteilung an
weitere Kreise empfehlen. Sie knüpfen insofern an den Briefwechsel Goethes
mit Rochlitz an, dem die Grenzboten seiner Zeit eine eingehende Würdigung
zu teil werden ließen/') als die musikgeschichtlicheu, mit historischen Konzerten
verbundnen Vorträge, die der Leipziger Ästhetiker in jenem Sommer 1832 in
Weimar hielt, noch bei Goethes Lebzeiten geplant worden waren. Rochlitz
war im Mai 1831 in Weimar gewesen, um dem regierenden Großherzog Karl
Friedrich, dem Gemahl der Großherzogin Maria Paulowna, seinen Dank für
das Ritterkreuz des weißen Falkenordens, mit dem man ihn ausgezeichnet hatte,
abzustatten. Er hatte bei dieser Gelegenheit mit Goethe, der wie Rochlitz
selbst durch Unwohlsein am freien geselligen Verkehr behindert war, nur Briefe
gewechselt. Es war die wunderliche Situation, die Goethe am 4. Mai 1831
mit den Worten bezeichnete: „Da ich Sie, teuerster Herr und Freund, nur
einige hundert Schritte von mir entfernt, von gleichem Übel befangen und uns
in solcher Nähe ebenso getrennt fühlte, als wenn Meilen zwischen uns lägen,
so gab das einen bösen hypochondrischen Zug; wie ein mißlungnes Unter¬
nehmen, eine so nah und in der Erfüllung getäuschte Hoffnung nur störend
in unsre Tage hineinschieben können." Rochlitz schied damals nicht ohne die
Ahnung, daß er Goethe wahrscheinlich nicht wiedersehen werde. Aber sobald
er sich in Leipzig in der Stille seines Hauses selbst einigermaßen erholt hatte,
meldete er an Goethe als seinen dringenden Wunsch: „Ich möchte nach Weimar
kommen und Ihnen, den höchsten Herrschaften, Herrn von Müller und manchem
andern Freunde oder Zugeneigten das nun werden oder leisten, was ich da¬
mals gewollt, aber nicht vermocht." Er wollte dem von ihm verehrten Wei¬
marischen Lebenskreise „gesellige und gewissermaßen gesellschaftliche Musik"
darbieten, und er dürfte mit Recht sagen: „Sie — soweit ich sehe — könnte
Alle vereinigen, die man vereinigt wünschte; sie, wohlgewählt, ließe zuverlässig
Keinen leer ausgehen- Ans sie würde ich nun auch noch weit mehr eingerichtet
seyn, als damals; und — es werde mir der Anschein von Unbescheidenheit
vergeben — was ich eben da bieten könnte, kann man auf andere Weise oder
durch einen Andern durchaus nicht erlangen; ich meyne: was und wie ein
Anderer, wie weit er darin mir vorzuziehen sey, möchte er anch dasselbe ge¬
lernt haben, so besitzt er nicht, was ich besitze und in den Ideen dies zu fassen,
zu ordnen, darzulegen und gelten zu machen, bleibt doch Jeder ein Anderer."
Er schilderte sein Vorhaben anschaulich und vielverheißend: „Ich denke mich
in einem ziemlich großen und nicht niedrigen Zimmer, umgeben von vier



") Grenzboten 1887. Heft 48 und 49.
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[0173] Aus Goethes Todesjahr dankenswerte Vergünstigung ließ mich vor kurzem Einblick in eine Reihe noch ungedruckter Briefe des verdienstlichen Mannes gewinnen, unter denen sich namentlich drei unmittelbar zu einander gehörige, höchst interessante Briefe an seine Gattin aus dem August 1832 und aus Weimar zur Mitteilung an weitere Kreise empfehlen. Sie knüpfen insofern an den Briefwechsel Goethes mit Rochlitz an, dem die Grenzboten seiner Zeit eine eingehende Würdigung zu teil werden ließen/') als die musikgeschichtlicheu, mit historischen Konzerten verbundnen Vorträge, die der Leipziger Ästhetiker in jenem Sommer 1832 in Weimar hielt, noch bei Goethes Lebzeiten geplant worden waren. Rochlitz war im Mai 1831 in Weimar gewesen, um dem regierenden Großherzog Karl Friedrich, dem Gemahl der Großherzogin Maria Paulowna, seinen Dank für das Ritterkreuz des weißen Falkenordens, mit dem man ihn ausgezeichnet hatte, abzustatten. Er hatte bei dieser Gelegenheit mit Goethe, der wie Rochlitz selbst durch Unwohlsein am freien geselligen Verkehr behindert war, nur Briefe gewechselt. Es war die wunderliche Situation, die Goethe am 4. Mai 1831 mit den Worten bezeichnete: „Da ich Sie, teuerster Herr und Freund, nur einige hundert Schritte von mir entfernt, von gleichem Übel befangen und uns in solcher Nähe ebenso getrennt fühlte, als wenn Meilen zwischen uns lägen, so gab das einen bösen hypochondrischen Zug; wie ein mißlungnes Unter¬ nehmen, eine so nah und in der Erfüllung getäuschte Hoffnung nur störend in unsre Tage hineinschieben können." Rochlitz schied damals nicht ohne die Ahnung, daß er Goethe wahrscheinlich nicht wiedersehen werde. Aber sobald er sich in Leipzig in der Stille seines Hauses selbst einigermaßen erholt hatte, meldete er an Goethe als seinen dringenden Wunsch: „Ich möchte nach Weimar kommen und Ihnen, den höchsten Herrschaften, Herrn von Müller und manchem andern Freunde oder Zugeneigten das nun werden oder leisten, was ich da¬ mals gewollt, aber nicht vermocht." Er wollte dem von ihm verehrten Wei¬ marischen Lebenskreise „gesellige und gewissermaßen gesellschaftliche Musik" darbieten, und er dürfte mit Recht sagen: „Sie — soweit ich sehe — könnte Alle vereinigen, die man vereinigt wünschte; sie, wohlgewählt, ließe zuverlässig Keinen leer ausgehen- Ans sie würde ich nun auch noch weit mehr eingerichtet seyn, als damals; und — es werde mir der Anschein von Unbescheidenheit vergeben — was ich eben da bieten könnte, kann man auf andere Weise oder durch einen Andern durchaus nicht erlangen; ich meyne: was und wie ein Anderer, wie weit er darin mir vorzuziehen sey, möchte er anch dasselbe ge¬ lernt haben, so besitzt er nicht, was ich besitze und in den Ideen dies zu fassen, zu ordnen, darzulegen und gelten zu machen, bleibt doch Jeder ein Anderer." Er schilderte sein Vorhaben anschaulich und vielverheißend: „Ich denke mich in einem ziemlich großen und nicht niedrigen Zimmer, umgeben von vier ") Grenzboten 1887. Heft 48 und 49.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/173>, abgerufen am 08.01.2025.