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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Aus Goethes Todesjahr

internationalen Friedens. Wendet sich dann die Wut der Dynamitbanden,
wie vorauszusetzen ist, in erster Reihe gegen die Verbände, das Leben und
Eigentum der Arbeitgeber, so ist es nur in der Ordnung, daß diese den ersten
Stoß auszuhalten haben, und nicht der Staat, nicht die Träger der Staats¬
gewalt, nicht nationales Eigentum, nicht die Heiligtümer des Volkes. Der
Staat kommt erst in dem Augenblick ins Treffen, wo die verbrecherische Hand¬
lung beginnt.

Prvvinzialordnung, Kreisordnung, Gemeindeordnung, kurz die territorialen
Verbünde vermögen bei der heutigen Energie des Verkehrs und dem über den
ganzen Erdball reichenden Zusammenhange den Verufsinteressen nicht gerecht
zu werden. Einem Kreistage kann man nicht zumuten, sich über die Lage des
Strumpfwarenmarktes in den Vereinigten Staaten von Nordamerika ein Urteil
zu bilden oder die Lohnsätze in diesem Gewerbe festzusetzen. Das vermag am
besten ein Berufsverband, eine korporativ geschloßne Verufsgenosfenschaft.
Soll aber eine solche Körperschaft wirksam die Interessen des Gewerbes regeln,
so muß sie Macht besitzen über Herren und Arbeiter ihres Gewerbes. Die
Gewerbefreiheit, wie sie heute besteht, müßte sollen. Aber der Zwang, der
darin lüge, wäre federleicht zu tragen gegenüber dem Despotismus, dem wir
zusteuern, wenn es bei der heutigen Ordnung bleibt. Wird der soziale Kampf
bloß zwischen den Dynamitpolitikern und dem Staate weitergekämpft, so kommen
wir zu unerträglicher Unfreiheit, sei sie nun heutiger staatlicher Ordnung oder
künftiger sozialistischer Ordnung.




Aus Goethes Todesjahr
Drei Briefe von Friedrich Rochlitz
Adolf Stern Mitgeteilt von

er vor wenigen Jahren von dem Freiherrn Woldemar v. Bieder¬
mann heransgegebne Briefwechsel Goethes mit Friedrich Rochlitz
hat die Blicke auf einen Schriftsteller zurückgelenkt, der zwar, dank
seiner eigentümlichen Stellung in der musikgeschichtlicheu und
musikwissenschaftlichen Litteratur, keineswegs vergessen, aber doch
weiter in den Hintergrund gedrängt worden war, als seiner Bedeutung,
seiner Bildung und seiner wahrhaft liebenswürdigen Natur entsprach. Eine


Aus Goethes Todesjahr

internationalen Friedens. Wendet sich dann die Wut der Dynamitbanden,
wie vorauszusetzen ist, in erster Reihe gegen die Verbände, das Leben und
Eigentum der Arbeitgeber, so ist es nur in der Ordnung, daß diese den ersten
Stoß auszuhalten haben, und nicht der Staat, nicht die Träger der Staats¬
gewalt, nicht nationales Eigentum, nicht die Heiligtümer des Volkes. Der
Staat kommt erst in dem Augenblick ins Treffen, wo die verbrecherische Hand¬
lung beginnt.

Prvvinzialordnung, Kreisordnung, Gemeindeordnung, kurz die territorialen
Verbünde vermögen bei der heutigen Energie des Verkehrs und dem über den
ganzen Erdball reichenden Zusammenhange den Verufsinteressen nicht gerecht
zu werden. Einem Kreistage kann man nicht zumuten, sich über die Lage des
Strumpfwarenmarktes in den Vereinigten Staaten von Nordamerika ein Urteil
zu bilden oder die Lohnsätze in diesem Gewerbe festzusetzen. Das vermag am
besten ein Berufsverband, eine korporativ geschloßne Verufsgenosfenschaft.
Soll aber eine solche Körperschaft wirksam die Interessen des Gewerbes regeln,
so muß sie Macht besitzen über Herren und Arbeiter ihres Gewerbes. Die
Gewerbefreiheit, wie sie heute besteht, müßte sollen. Aber der Zwang, der
darin lüge, wäre federleicht zu tragen gegenüber dem Despotismus, dem wir
zusteuern, wenn es bei der heutigen Ordnung bleibt. Wird der soziale Kampf
bloß zwischen den Dynamitpolitikern und dem Staate weitergekämpft, so kommen
wir zu unerträglicher Unfreiheit, sei sie nun heutiger staatlicher Ordnung oder
künftiger sozialistischer Ordnung.




Aus Goethes Todesjahr
Drei Briefe von Friedrich Rochlitz
Adolf Stern Mitgeteilt von

er vor wenigen Jahren von dem Freiherrn Woldemar v. Bieder¬
mann heransgegebne Briefwechsel Goethes mit Friedrich Rochlitz
hat die Blicke auf einen Schriftsteller zurückgelenkt, der zwar, dank
seiner eigentümlichen Stellung in der musikgeschichtlicheu und
musikwissenschaftlichen Litteratur, keineswegs vergessen, aber doch
weiter in den Hintergrund gedrängt worden war, als seiner Bedeutung,
seiner Bildung und seiner wahrhaft liebenswürdigen Natur entsprach. Eine


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[0172] Aus Goethes Todesjahr internationalen Friedens. Wendet sich dann die Wut der Dynamitbanden, wie vorauszusetzen ist, in erster Reihe gegen die Verbände, das Leben und Eigentum der Arbeitgeber, so ist es nur in der Ordnung, daß diese den ersten Stoß auszuhalten haben, und nicht der Staat, nicht die Träger der Staats¬ gewalt, nicht nationales Eigentum, nicht die Heiligtümer des Volkes. Der Staat kommt erst in dem Augenblick ins Treffen, wo die verbrecherische Hand¬ lung beginnt. Prvvinzialordnung, Kreisordnung, Gemeindeordnung, kurz die territorialen Verbünde vermögen bei der heutigen Energie des Verkehrs und dem über den ganzen Erdball reichenden Zusammenhange den Verufsinteressen nicht gerecht zu werden. Einem Kreistage kann man nicht zumuten, sich über die Lage des Strumpfwarenmarktes in den Vereinigten Staaten von Nordamerika ein Urteil zu bilden oder die Lohnsätze in diesem Gewerbe festzusetzen. Das vermag am besten ein Berufsverband, eine korporativ geschloßne Verufsgenosfenschaft. Soll aber eine solche Körperschaft wirksam die Interessen des Gewerbes regeln, so muß sie Macht besitzen über Herren und Arbeiter ihres Gewerbes. Die Gewerbefreiheit, wie sie heute besteht, müßte sollen. Aber der Zwang, der darin lüge, wäre federleicht zu tragen gegenüber dem Despotismus, dem wir zusteuern, wenn es bei der heutigen Ordnung bleibt. Wird der soziale Kampf bloß zwischen den Dynamitpolitikern und dem Staate weitergekämpft, so kommen wir zu unerträglicher Unfreiheit, sei sie nun heutiger staatlicher Ordnung oder künftiger sozialistischer Ordnung. Aus Goethes Todesjahr Drei Briefe von Friedrich Rochlitz Adolf Stern Mitgeteilt von er vor wenigen Jahren von dem Freiherrn Woldemar v. Bieder¬ mann heransgegebne Briefwechsel Goethes mit Friedrich Rochlitz hat die Blicke auf einen Schriftsteller zurückgelenkt, der zwar, dank seiner eigentümlichen Stellung in der musikgeschichtlicheu und musikwissenschaftlichen Litteratur, keineswegs vergessen, aber doch weiter in den Hintergrund gedrängt worden war, als seiner Bedeutung, seiner Bildung und seiner wahrhaft liebenswürdigen Natur entsprach. Eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/172>, abgerufen am 08.01.2025.