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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Aus Goethes Todesjahr

Sängerinnen und vier Sängern, je zwey zu jeder Stimme; neben mir Herr
Hafer, der von mir vorbereitet mich im Begleiten auf dem Pianoforte ablösen
kann, wenn meine Kräfte nicht mehr ausreichen wollen. Vor uns, mit mög¬
lichst großem Zwischenraume, befinden sich die Zuhörenden. Mit den aller-
einfachsten Worten, in möglichster Kürze, lege ich eine Uebersicht des Zustandes,
Sinnes und Zwecks deutscher und italienischer Tonkunst in einer ihrer Haupt-
Perioden vor, und nach jedem Hauptmomente wird sogleich ein und der andre
Gesang ausgeführt, der, was ich behauptet, beweist, es anschaulicher und in
den Theilnehmenden lebendiger macht. Man bekommt durchaus nichts zu ver¬
nehmen, außer -- dort, letzte Resultate lebenslänglicher Forschungen, hier von
dem Allerschönsten, was ein eigentlicher Kammermusik jeder Gattung die Welt
besitzt und jemals besessen hat."

Freilich mußte Rochlitz seinem verlockenden Antrage gleich die Nachschrift
hinzufügen, daß ,,die beunruhigendsten Nachrichten hinsichtlich der unseligen
Cholera" (die im Sommer 1831 zum erstenmal als Würgengel durch Nord¬
deutschland zog) ,,jedem Hausvater Bedenken einflößten, sich für etwas ver¬
bindlich zu machen, was ihn von den Seinigen entfernte." Aber das aus¬
geworfene Samenkorn war doch nicht auf unfruchtbaren Boden gefallen; Goethes
letzter Zuruf an den Leipziger Freund und Verehrer des Shakespearischen
?imo g,n6 llvru' runns tlircmA eilf rvngest ! (Goethe an Rochlitz,
11. September 1831) sollte sich bewahrheiten, im Sommer 1832 drohte keine
Choleragefahr mehr, an Rochlitz erging die Einladung, die angebotnen musik¬
historischen Vorträge und musikalischen Unterhaltungen am Weimarischen Hofe
zu veranstalten.

Als er aber im August in der Musenstndt anlangte, fand er ein andres
Weimar vor. Der Heros, der für ihn und Hunderttausende recht eigentlich
Weimar bedeutet hatte, schlummerte in der Fürstengruft des Weimarischen
Friedhofs. Die Zurückgebliebnen standen noch ganz unter dem erschütternden
Eindruck des Ereignisses und hießen Rochlitz schon darum freudig und herzlich
willkommen, weil sie in ihm einen der hingebendsten und verständnisvollsten
Bewundrer des Genius ehrten. Das Leben machte sein Recht geltend, obwohl
jeder in jedem Augenblick daran gemahnt wurde, was man verloren, freilich
auch, was man in der geistigen Hinterlassenschaft des großen Toten behalten
hatte. Rochlitz wurde, wie aus den Briefen hervorgeht, von dem Vertrauen
der Nächststehenden berufen, den litterarischen Nachlaß mit zu prüfen. Es
scheint schou damals die Absicht bestanden zu haben, die Goethischen Kunst¬
sammlungen von der Familie zu erwerben, und es ist unklar, woran der Vor¬
satz der damals regierenden Großherzogin gescheitert ist. In den drei Briefen,
die Rochlitz während dieser Wochen schrieb, scheint und klingt überall das
Verlangen hindurch, sich in dem Anschauungs- und Vildungskreise zu be¬
haupten, den der Gewaltige mit weitreichender Hand gezogen hatte, und ihm


Aus Goethes Todesjahr

Sängerinnen und vier Sängern, je zwey zu jeder Stimme; neben mir Herr
Hafer, der von mir vorbereitet mich im Begleiten auf dem Pianoforte ablösen
kann, wenn meine Kräfte nicht mehr ausreichen wollen. Vor uns, mit mög¬
lichst großem Zwischenraume, befinden sich die Zuhörenden. Mit den aller-
einfachsten Worten, in möglichster Kürze, lege ich eine Uebersicht des Zustandes,
Sinnes und Zwecks deutscher und italienischer Tonkunst in einer ihrer Haupt-
Perioden vor, und nach jedem Hauptmomente wird sogleich ein und der andre
Gesang ausgeführt, der, was ich behauptet, beweist, es anschaulicher und in
den Theilnehmenden lebendiger macht. Man bekommt durchaus nichts zu ver¬
nehmen, außer — dort, letzte Resultate lebenslänglicher Forschungen, hier von
dem Allerschönsten, was ein eigentlicher Kammermusik jeder Gattung die Welt
besitzt und jemals besessen hat."

Freilich mußte Rochlitz seinem verlockenden Antrage gleich die Nachschrift
hinzufügen, daß ,,die beunruhigendsten Nachrichten hinsichtlich der unseligen
Cholera" (die im Sommer 1831 zum erstenmal als Würgengel durch Nord¬
deutschland zog) ,,jedem Hausvater Bedenken einflößten, sich für etwas ver¬
bindlich zu machen, was ihn von den Seinigen entfernte." Aber das aus¬
geworfene Samenkorn war doch nicht auf unfruchtbaren Boden gefallen; Goethes
letzter Zuruf an den Leipziger Freund und Verehrer des Shakespearischen
?imo g,n6 llvru' runns tlircmA eilf rvngest ! (Goethe an Rochlitz,
11. September 1831) sollte sich bewahrheiten, im Sommer 1832 drohte keine
Choleragefahr mehr, an Rochlitz erging die Einladung, die angebotnen musik¬
historischen Vorträge und musikalischen Unterhaltungen am Weimarischen Hofe
zu veranstalten.

Als er aber im August in der Musenstndt anlangte, fand er ein andres
Weimar vor. Der Heros, der für ihn und Hunderttausende recht eigentlich
Weimar bedeutet hatte, schlummerte in der Fürstengruft des Weimarischen
Friedhofs. Die Zurückgebliebnen standen noch ganz unter dem erschütternden
Eindruck des Ereignisses und hießen Rochlitz schon darum freudig und herzlich
willkommen, weil sie in ihm einen der hingebendsten und verständnisvollsten
Bewundrer des Genius ehrten. Das Leben machte sein Recht geltend, obwohl
jeder in jedem Augenblick daran gemahnt wurde, was man verloren, freilich
auch, was man in der geistigen Hinterlassenschaft des großen Toten behalten
hatte. Rochlitz wurde, wie aus den Briefen hervorgeht, von dem Vertrauen
der Nächststehenden berufen, den litterarischen Nachlaß mit zu prüfen. Es
scheint schou damals die Absicht bestanden zu haben, die Goethischen Kunst¬
sammlungen von der Familie zu erwerben, und es ist unklar, woran der Vor¬
satz der damals regierenden Großherzogin gescheitert ist. In den drei Briefen,
die Rochlitz während dieser Wochen schrieb, scheint und klingt überall das
Verlangen hindurch, sich in dem Anschauungs- und Vildungskreise zu be¬
haupten, den der Gewaltige mit weitreichender Hand gezogen hatte, und ihm


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[0174] Aus Goethes Todesjahr Sängerinnen und vier Sängern, je zwey zu jeder Stimme; neben mir Herr Hafer, der von mir vorbereitet mich im Begleiten auf dem Pianoforte ablösen kann, wenn meine Kräfte nicht mehr ausreichen wollen. Vor uns, mit mög¬ lichst großem Zwischenraume, befinden sich die Zuhörenden. Mit den aller- einfachsten Worten, in möglichster Kürze, lege ich eine Uebersicht des Zustandes, Sinnes und Zwecks deutscher und italienischer Tonkunst in einer ihrer Haupt- Perioden vor, und nach jedem Hauptmomente wird sogleich ein und der andre Gesang ausgeführt, der, was ich behauptet, beweist, es anschaulicher und in den Theilnehmenden lebendiger macht. Man bekommt durchaus nichts zu ver¬ nehmen, außer — dort, letzte Resultate lebenslänglicher Forschungen, hier von dem Allerschönsten, was ein eigentlicher Kammermusik jeder Gattung die Welt besitzt und jemals besessen hat." Freilich mußte Rochlitz seinem verlockenden Antrage gleich die Nachschrift hinzufügen, daß ,,die beunruhigendsten Nachrichten hinsichtlich der unseligen Cholera" (die im Sommer 1831 zum erstenmal als Würgengel durch Nord¬ deutschland zog) ,,jedem Hausvater Bedenken einflößten, sich für etwas ver¬ bindlich zu machen, was ihn von den Seinigen entfernte." Aber das aus¬ geworfene Samenkorn war doch nicht auf unfruchtbaren Boden gefallen; Goethes letzter Zuruf an den Leipziger Freund und Verehrer des Shakespearischen ?imo g,n6 llvru' runns tlircmA eilf rvngest ! (Goethe an Rochlitz, 11. September 1831) sollte sich bewahrheiten, im Sommer 1832 drohte keine Choleragefahr mehr, an Rochlitz erging die Einladung, die angebotnen musik¬ historischen Vorträge und musikalischen Unterhaltungen am Weimarischen Hofe zu veranstalten. Als er aber im August in der Musenstndt anlangte, fand er ein andres Weimar vor. Der Heros, der für ihn und Hunderttausende recht eigentlich Weimar bedeutet hatte, schlummerte in der Fürstengruft des Weimarischen Friedhofs. Die Zurückgebliebnen standen noch ganz unter dem erschütternden Eindruck des Ereignisses und hießen Rochlitz schon darum freudig und herzlich willkommen, weil sie in ihm einen der hingebendsten und verständnisvollsten Bewundrer des Genius ehrten. Das Leben machte sein Recht geltend, obwohl jeder in jedem Augenblick daran gemahnt wurde, was man verloren, freilich auch, was man in der geistigen Hinterlassenschaft des großen Toten behalten hatte. Rochlitz wurde, wie aus den Briefen hervorgeht, von dem Vertrauen der Nächststehenden berufen, den litterarischen Nachlaß mit zu prüfen. Es scheint schou damals die Absicht bestanden zu haben, die Goethischen Kunst¬ sammlungen von der Familie zu erwerben, und es ist unklar, woran der Vor¬ satz der damals regierenden Großherzogin gescheitert ist. In den drei Briefen, die Rochlitz während dieser Wochen schrieb, scheint und klingt überall das Verlangen hindurch, sich in dem Anschauungs- und Vildungskreise zu be¬ haupten, den der Gewaltige mit weitreichender Hand gezogen hatte, und ihm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/174>, abgerufen am 06.01.2025.