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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Dynamik

Aufgaben wächst das Geldbedürfnis ins Maßlose, und der Staat gewinnt es
über sich, nicht mehr bloß zu befehlen, sondern an das gute Gewissen der
Menschen zu appelliren. Freilich mit Strafandrohung für Hinterziehung, mit
amtlichen Beschnüffeln der Taschen aller Bürger, aber doch mit Aufopferung
seines Allmachtsbewußtseins. Ich konnte mir wohl denken, daß diese und
manche andre Staatssteuern besser aufgehoben waren in Rücksicht ihrer An¬
lage und Erhebung in den Händen von großen Verufsverbänden, als in denen
des staatlichen Beamtentums. Vor Alters steuerten die Stände in runden
Summen zum Staatssäckel. Warum sollten heute die Tuchmacher, die Lein¬
weber, die Uhrmacher n. s. w. in der angedeuteten Weise zu Körperschaften
geschlossen, nicht bloß Gemeinde-, sondern auch Staats- und Neichssteuern
innerhalb ihres Gewerbes umlegen und aufbringen können? Warum sollten
die Kohlenbergleute, die Droschkenkutscher, die Steinmetzen, die Arbeiter der
verschiednen Gewerbe nicht gleichfalls ihre Steuern umlegen und aufbringen
können? Warum sollte selbst die Börse nicht dasselbe thun, obwohl hier mehr
als anderwärts die Mitwirkung und Kontrolle des Staates am Platze wäre?
Wäre es nicht denkbar, daß ein Reichstag, in dem die Tinge aller GeWerke
ihre natürliche Vertretung Hütten, besser die Steuergesetzgebung handhaben
könnte, als ein Reichstag, der bloß aus Vertretern redender und hörender
Massenversammlungen besteht? Wäre es für den Einzelstaat nicht heilsam,
zwischen sich und den wählenden und steuerzahlenden Massen Körperschaften zu
haben, die ihn und seiue Beamten den Blicken ein wenig verdeckten, die ihn
zugleich in die Lage setzten, das Heer seiner Beamten zu verringern und damit
sozusagen die Angriffsfläche an seinem Leibe einzuschränken?

Weil die in den Streiks zu Tage tretende Organisation der Arbeiter, z. B.
in den Kohlengruben, für die Volkswirtschaft und die äußere Sicherheit des
Staates bedrohlich wird, sucht mau jetzt diese Organisation zu hindern durch
staatliche Gewalt, gelegentlich ihr entgegenzuwirken durch zeitweilige Vereinigung
der unmittelbar betroffnen Jndustrieherren. Man wird die Organisation ans
diesem Wege nicht dauernd niederhalten, sondern nur immer gewaltsamer, auf¬
rührerischer, wilder machen. Es wäre, wie mir scheint, besser, wenn der Staat
offen die Organisation der Arbeitermassen selbst betriebe, aber zugleich auch
die soziale und gewerbliche Organisation der Arbeitgeber. Man helfe den
Arbeitern sich verbinden, aber man setze ihnen nicht den Staat entgegen, sondern
Verbände der Arbeitgeber. Mögen die beiden eigentlichen Gegner ihren Kampf
ausfechten mit den Mitteln, die mit Gesetz, Ordnung und Sicherheit von Person
und Besitz verträglich sind; erst die Ausschreitung oder die Gefährdung andrer
Interessenkreise rufe den Staat herbei. Überschreiten die Verbünde der Ar¬
beiter schon gegenwärtig die nationalen Grenzen, so können die Verbände der
Arbeitgeber dem Beispiel folgen, und sie werden es, ohne die Hilfe der staatlichen
Waffen gelassen, notgedrungen thun müssen. Vielleicht sehr zum Vorteil des


Dynamik

Aufgaben wächst das Geldbedürfnis ins Maßlose, und der Staat gewinnt es
über sich, nicht mehr bloß zu befehlen, sondern an das gute Gewissen der
Menschen zu appelliren. Freilich mit Strafandrohung für Hinterziehung, mit
amtlichen Beschnüffeln der Taschen aller Bürger, aber doch mit Aufopferung
seines Allmachtsbewußtseins. Ich konnte mir wohl denken, daß diese und
manche andre Staatssteuern besser aufgehoben waren in Rücksicht ihrer An¬
lage und Erhebung in den Händen von großen Verufsverbänden, als in denen
des staatlichen Beamtentums. Vor Alters steuerten die Stände in runden
Summen zum Staatssäckel. Warum sollten heute die Tuchmacher, die Lein¬
weber, die Uhrmacher n. s. w. in der angedeuteten Weise zu Körperschaften
geschlossen, nicht bloß Gemeinde-, sondern auch Staats- und Neichssteuern
innerhalb ihres Gewerbes umlegen und aufbringen können? Warum sollten
die Kohlenbergleute, die Droschkenkutscher, die Steinmetzen, die Arbeiter der
verschiednen Gewerbe nicht gleichfalls ihre Steuern umlegen und aufbringen
können? Warum sollte selbst die Börse nicht dasselbe thun, obwohl hier mehr
als anderwärts die Mitwirkung und Kontrolle des Staates am Platze wäre?
Wäre es nicht denkbar, daß ein Reichstag, in dem die Tinge aller GeWerke
ihre natürliche Vertretung Hütten, besser die Steuergesetzgebung handhaben
könnte, als ein Reichstag, der bloß aus Vertretern redender und hörender
Massenversammlungen besteht? Wäre es für den Einzelstaat nicht heilsam,
zwischen sich und den wählenden und steuerzahlenden Massen Körperschaften zu
haben, die ihn und seiue Beamten den Blicken ein wenig verdeckten, die ihn
zugleich in die Lage setzten, das Heer seiner Beamten zu verringern und damit
sozusagen die Angriffsfläche an seinem Leibe einzuschränken?

Weil die in den Streiks zu Tage tretende Organisation der Arbeiter, z. B.
in den Kohlengruben, für die Volkswirtschaft und die äußere Sicherheit des
Staates bedrohlich wird, sucht mau jetzt diese Organisation zu hindern durch
staatliche Gewalt, gelegentlich ihr entgegenzuwirken durch zeitweilige Vereinigung
der unmittelbar betroffnen Jndustrieherren. Man wird die Organisation ans
diesem Wege nicht dauernd niederhalten, sondern nur immer gewaltsamer, auf¬
rührerischer, wilder machen. Es wäre, wie mir scheint, besser, wenn der Staat
offen die Organisation der Arbeitermassen selbst betriebe, aber zugleich auch
die soziale und gewerbliche Organisation der Arbeitgeber. Man helfe den
Arbeitern sich verbinden, aber man setze ihnen nicht den Staat entgegen, sondern
Verbände der Arbeitgeber. Mögen die beiden eigentlichen Gegner ihren Kampf
ausfechten mit den Mitteln, die mit Gesetz, Ordnung und Sicherheit von Person
und Besitz verträglich sind; erst die Ausschreitung oder die Gefährdung andrer
Interessenkreise rufe den Staat herbei. Überschreiten die Verbünde der Ar¬
beiter schon gegenwärtig die nationalen Grenzen, so können die Verbände der
Arbeitgeber dem Beispiel folgen, und sie werden es, ohne die Hilfe der staatlichen
Waffen gelassen, notgedrungen thun müssen. Vielleicht sehr zum Vorteil des


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[0171] Dynamik Aufgaben wächst das Geldbedürfnis ins Maßlose, und der Staat gewinnt es über sich, nicht mehr bloß zu befehlen, sondern an das gute Gewissen der Menschen zu appelliren. Freilich mit Strafandrohung für Hinterziehung, mit amtlichen Beschnüffeln der Taschen aller Bürger, aber doch mit Aufopferung seines Allmachtsbewußtseins. Ich konnte mir wohl denken, daß diese und manche andre Staatssteuern besser aufgehoben waren in Rücksicht ihrer An¬ lage und Erhebung in den Händen von großen Verufsverbänden, als in denen des staatlichen Beamtentums. Vor Alters steuerten die Stände in runden Summen zum Staatssäckel. Warum sollten heute die Tuchmacher, die Lein¬ weber, die Uhrmacher n. s. w. in der angedeuteten Weise zu Körperschaften geschlossen, nicht bloß Gemeinde-, sondern auch Staats- und Neichssteuern innerhalb ihres Gewerbes umlegen und aufbringen können? Warum sollten die Kohlenbergleute, die Droschkenkutscher, die Steinmetzen, die Arbeiter der verschiednen Gewerbe nicht gleichfalls ihre Steuern umlegen und aufbringen können? Warum sollte selbst die Börse nicht dasselbe thun, obwohl hier mehr als anderwärts die Mitwirkung und Kontrolle des Staates am Platze wäre? Wäre es nicht denkbar, daß ein Reichstag, in dem die Tinge aller GeWerke ihre natürliche Vertretung Hütten, besser die Steuergesetzgebung handhaben könnte, als ein Reichstag, der bloß aus Vertretern redender und hörender Massenversammlungen besteht? Wäre es für den Einzelstaat nicht heilsam, zwischen sich und den wählenden und steuerzahlenden Massen Körperschaften zu haben, die ihn und seiue Beamten den Blicken ein wenig verdeckten, die ihn zugleich in die Lage setzten, das Heer seiner Beamten zu verringern und damit sozusagen die Angriffsfläche an seinem Leibe einzuschränken? Weil die in den Streiks zu Tage tretende Organisation der Arbeiter, z. B. in den Kohlengruben, für die Volkswirtschaft und die äußere Sicherheit des Staates bedrohlich wird, sucht mau jetzt diese Organisation zu hindern durch staatliche Gewalt, gelegentlich ihr entgegenzuwirken durch zeitweilige Vereinigung der unmittelbar betroffnen Jndustrieherren. Man wird die Organisation ans diesem Wege nicht dauernd niederhalten, sondern nur immer gewaltsamer, auf¬ rührerischer, wilder machen. Es wäre, wie mir scheint, besser, wenn der Staat offen die Organisation der Arbeitermassen selbst betriebe, aber zugleich auch die soziale und gewerbliche Organisation der Arbeitgeber. Man helfe den Arbeitern sich verbinden, aber man setze ihnen nicht den Staat entgegen, sondern Verbände der Arbeitgeber. Mögen die beiden eigentlichen Gegner ihren Kampf ausfechten mit den Mitteln, die mit Gesetz, Ordnung und Sicherheit von Person und Besitz verträglich sind; erst die Ausschreitung oder die Gefährdung andrer Interessenkreise rufe den Staat herbei. Überschreiten die Verbünde der Ar¬ beiter schon gegenwärtig die nationalen Grenzen, so können die Verbände der Arbeitgeber dem Beispiel folgen, und sie werden es, ohne die Hilfe der staatlichen Waffen gelassen, notgedrungen thun müssen. Vielleicht sehr zum Vorteil des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/171>, abgerufen am 08.01.2025.