Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Dynamik wie sie sein müssen gegenüber den heutigen feindseligen Arbeitermengen, sind Der Beamtenstaat ist sehr leistungsfähig, wenn die Beamten gut sind; Grenzboten III 1892 21
Dynamik wie sie sein müssen gegenüber den heutigen feindseligen Arbeitermengen, sind Der Beamtenstaat ist sehr leistungsfähig, wenn die Beamten gut sind; Grenzboten III 1892 21
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Dynamik
wie sie sein müssen gegenüber den heutigen feindseligen Arbeitermengen, sind
sie nicht, und ebensowenig sind sie dazu fähig, innerhalb des Gewerbes Organi¬
sation der Arbeit und Disziplin im Geschäftsleben durchzuführen. Aber gerade
hier müßte die disziplincire Machtvollkommenheit wesentlich vom Gewerbe selbst,
nicht vom Staate ausgeübt werdeu. Der Staat vermag dem Einzelinteresse,
der Persönlichkeit nicht gerecht zu werden, er erdrückt sie. Nur der Stand
kann es, die Zunft, die Klasse, die Berufsgenossenschaft, kurz die soziale
Gliederung. Wenn die Eisenindustrie in geschloßnen Verbänden der einzelnen
Staaten geordnet, unter Leitung eines von den Verbänden beschickten Reichs¬
tinges, oder wie man nun eine solche oberste Amtung nennen will, vertreten
wäre, wenn der Tiug die Gewalt hätte, die Produktion zu regeln, eine Über¬
produktion niederzuhalten, gegen das „schlecht und billig" anzukämpfen, Klagen
der Arbeiter anzunehmen, zu untersuchen, zu entscheiden, wenn er den Fabrik¬
herrn zwingen könnte, Mißlageu seiner Arbeiter abzustellen, wenn er die Aus¬
führung dessen, was die neuen Arbeiterschutzgesetze bezwecken, in der Hand
hielte, wenn er auf Absatz und Marktverhältnisfe Einfluß hätte, wenn er die
Konkurrenz deutscher Eisenwaren unter einander in Schranken hielte, wenn
er für die Ausübung seiner Gewalt dem Staat verantwortlich wäre, so würde
die Eisenindustrie sicherer dastehn, der Fabrikant sich wohler befinden, der
Eisenarbeiter weniger Grund zu Klagen haben, weniger der Mißleituug durch
Volksschwätzer und Ehrgierige ausgesetzt sein. Wenn der Ackerbau in gleicher
Weise bis zum Ting der deutschen Bauergutsbesitzer hinauf organisirt würde,
so könnte er seine Interessen nach oben und unten besser wahren, als jetzt,
wo er von der Industrie oft über den Haufen gerannt, im Reichstage von
Leuten, die oft mehr persönlich-ständische als Ackerbaupolitik treiben, übel ver¬
treten ist. Wenn die Tinge der Gewerbe, als Vertreter der schaffenden Arbeit
einander nahe stehend, naturgemäß in einen gewissen Parallelismus, um nicht
zu sagen Gegensatz zum Geldkapital gerieten, der ihnen einen bedeutenden
Einfluß auf die Börse sichern müßte, so könnte das dein Giftbaum nur
heilsam werden. Der Staat aber fände in solchen Körpern eine mächtige
Stütze, er fände den Rettungsanker.
Der Beamtenstaat ist sehr leistungsfähig, wenn die Beamten gut sind;
das zeigt Preußen und mancher andre deutsche Staat. Der Beamtenstaat
ist unfähig zur segensreichen Leitung eines Kulturvolks, wenn die Beamten
schlecht sind; das zeigt Nußland. Ist der Beamtenstaat stark durch ein tüch¬
tiges Beamtentum, so wird er durch die im Laufe der fortschreitenden Ver¬
zweigung und Verfeinerung des Kulturlebens sich mehrenden Anforderungen
an Organisation, Leitung im einzelnen, Aufsicht, gesetzliches und administra¬
tives Eingreifen zur Ausdehnung seiner Machtsphäre gedrängt und hält dieses
Machtgebiet wirklich fest; er wird immer mehr Alleinherr im Volksleben, und
indem seine Aufgaben zuletzt unerfüllbaren Umfang annehmen, indem er auf
Grenzboten III 1892 21
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