Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Sozialismus, so wird sein Staat äußerlich wesentlich dieselben Formen zeige" Indem wir den bezeichneten Weg der Verstaatlichung der Arbeit gehn Sozialismus, so wird sein Staat äußerlich wesentlich dieselben Formen zeige» Indem wir den bezeichneten Weg der Verstaatlichung der Arbeit gehn <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0167" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212643"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_516" prev="#ID_515"> Sozialismus, so wird sein Staat äußerlich wesentlich dieselben Formen zeige»<lb/> wie der republikanische oder monarchische, insofern als auch er seine Gesetze,<lb/> seine Gesetzgeber, seine Beamten haben wird, und sicherlich auch seine Soldaten.<lb/> Was der Sozialismus anstrebt, ist ja gerade, daß alle Volksarbeit, alles<lb/> Volksleben staatlich geregelt werde. Je stärker nnn unser heutiger Staat ist,<lb/> um so mehr ist er geneigt, alles selbst zu regeln. Unser Staat ist vermöge<lb/> seines vortrefflichen Heeres und des gleich tüchtigen Beamtentums sehr stark<lb/> und zeigt längst die Neigung, seine Kräfte im bürgerlichen Leben arbeiten zu<lb/> lassen, oft mehr als nötig wäre. Es ist nun natürlich, daß diese bestorgani-<lb/> sirten, gewaltigen Körperschaften: Beamtentum und Heer, sogleich zu Hilfe ge¬<lb/> rufen werden, wenn irgendwo eine Schraube los ist, und daß sie stets bereit¬<lb/> willig den Schaden auszubessern suchen. Gerade die Tüchtigkeit der Staats¬<lb/> organe, gerade die Pflichttreue unsrer Beamten trägt dazu bei, daß die Viel-<lb/> regiererei um sich frißt wie Schwamm. Es ist soweit gekommen, daß vom<lb/> Keller bis zum First kein Winkel und kein Nagel in unsern Häusern mehr<lb/> außer dem Bereiche des Staats- oder des Gemeindebeamten liegt: der Be¬<lb/> amte ist fast mehr Hausherr bei mir, als ich selbst. Denn dem Staat hat<lb/> auch die Gemeinde das Vielregieren abgelernt. Das ist die heutige Ordnung,<lb/> und ordentlich geht es bei uns ja freilich her, nur daß ein Mann, der gern<lb/> seiner eignen Weise nachlebt, leicht vor lauter Ordnung seine menschliche Frei¬<lb/> heit und Natur nicht mehr wiederfindet. Dieses Eindringen des Beamten¬<lb/> tums in alle Verhältnisse des bürgerlichen Lebens ist sozialistischen Geistes,<lb/> so monarchisch oder kommunal es auch aussehen mag; es ist das Zurück¬<lb/> drängen der Persönlichkeit durch den Massenwillen, die Allgemeinheit, das<lb/> Aufsaugen des Einzelinteresses durch das Gesamtinteresse. Wir graben staat¬<lb/> lich von oben her die Ungleichheiten ab und arbeiten so von oben her dem<lb/> Sozialismus in die Hände, der dasselbe von unten her thut.</p><lb/> <p xml:id="ID_517" next="#ID_518"> Indem wir den bezeichneten Weg der Verstaatlichung der Arbeit gehn<lb/> und auf ihm durch den Sozialismus selbst vorwärts gedrängt werden, meinen<lb/> wir, den Sozialismus zu bekämpfen, und die obern Klassen beeifern sich, dem<lb/> Staate die Mittel zur Abwehr des Feindes zu mehren. Allein dieses selbe<lb/> Anwachsen der staatlichen Macht in dem vermeintlichen wie in dem wirklichen<lb/> Kampfe gegen den Sozialismus trägt doch wieder dazu bei, das sozialistische<lb/> Wesen im Staate zu fördern. Selbst die großen vorbeugenden Gesetze über<lb/> Altersversorgung, Unfallversicherung, Frauen- und Kinderarbeit u. s. w. ver¬<lb/> pflichten den Staat zu einem Eingreifen, einem Mitwirtschaften in der Volks¬<lb/> wirtschaft, das den sozialistischen Geist im Staate weiter entwickeln muß und<lb/> den gewollten Nutzen, wenigstens im Hinblick auf den sozialdemokratischen<lb/> Gegner, vielleicht aufheben wird. Je weiter dem Staate der Kampf gegen den<lb/> Sozialismus überlassen bleibt, um so sozialistischer wird der Staat werden.<lb/> Beamte hier, Arbeiter dort werden alle öffentliche Macht an sich ziehen und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0167]
Sozialismus, so wird sein Staat äußerlich wesentlich dieselben Formen zeige»
wie der republikanische oder monarchische, insofern als auch er seine Gesetze,
seine Gesetzgeber, seine Beamten haben wird, und sicherlich auch seine Soldaten.
Was der Sozialismus anstrebt, ist ja gerade, daß alle Volksarbeit, alles
Volksleben staatlich geregelt werde. Je stärker nnn unser heutiger Staat ist,
um so mehr ist er geneigt, alles selbst zu regeln. Unser Staat ist vermöge
seines vortrefflichen Heeres und des gleich tüchtigen Beamtentums sehr stark
und zeigt längst die Neigung, seine Kräfte im bürgerlichen Leben arbeiten zu
lassen, oft mehr als nötig wäre. Es ist nun natürlich, daß diese bestorgani-
sirten, gewaltigen Körperschaften: Beamtentum und Heer, sogleich zu Hilfe ge¬
rufen werden, wenn irgendwo eine Schraube los ist, und daß sie stets bereit¬
willig den Schaden auszubessern suchen. Gerade die Tüchtigkeit der Staats¬
organe, gerade die Pflichttreue unsrer Beamten trägt dazu bei, daß die Viel-
regiererei um sich frißt wie Schwamm. Es ist soweit gekommen, daß vom
Keller bis zum First kein Winkel und kein Nagel in unsern Häusern mehr
außer dem Bereiche des Staats- oder des Gemeindebeamten liegt: der Be¬
amte ist fast mehr Hausherr bei mir, als ich selbst. Denn dem Staat hat
auch die Gemeinde das Vielregieren abgelernt. Das ist die heutige Ordnung,
und ordentlich geht es bei uns ja freilich her, nur daß ein Mann, der gern
seiner eignen Weise nachlebt, leicht vor lauter Ordnung seine menschliche Frei¬
heit und Natur nicht mehr wiederfindet. Dieses Eindringen des Beamten¬
tums in alle Verhältnisse des bürgerlichen Lebens ist sozialistischen Geistes,
so monarchisch oder kommunal es auch aussehen mag; es ist das Zurück¬
drängen der Persönlichkeit durch den Massenwillen, die Allgemeinheit, das
Aufsaugen des Einzelinteresses durch das Gesamtinteresse. Wir graben staat¬
lich von oben her die Ungleichheiten ab und arbeiten so von oben her dem
Sozialismus in die Hände, der dasselbe von unten her thut.
Indem wir den bezeichneten Weg der Verstaatlichung der Arbeit gehn
und auf ihm durch den Sozialismus selbst vorwärts gedrängt werden, meinen
wir, den Sozialismus zu bekämpfen, und die obern Klassen beeifern sich, dem
Staate die Mittel zur Abwehr des Feindes zu mehren. Allein dieses selbe
Anwachsen der staatlichen Macht in dem vermeintlichen wie in dem wirklichen
Kampfe gegen den Sozialismus trägt doch wieder dazu bei, das sozialistische
Wesen im Staate zu fördern. Selbst die großen vorbeugenden Gesetze über
Altersversorgung, Unfallversicherung, Frauen- und Kinderarbeit u. s. w. ver¬
pflichten den Staat zu einem Eingreifen, einem Mitwirtschaften in der Volks¬
wirtschaft, das den sozialistischen Geist im Staate weiter entwickeln muß und
den gewollten Nutzen, wenigstens im Hinblick auf den sozialdemokratischen
Gegner, vielleicht aufheben wird. Je weiter dem Staate der Kampf gegen den
Sozialismus überlassen bleibt, um so sozialistischer wird der Staat werden.
Beamte hier, Arbeiter dort werden alle öffentliche Macht an sich ziehen und
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