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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Bilder ans dem Universitätsleben

Ich meinte bestimmt, es wäre aus der Jungfrau, aber sie wollte es in den
Piccolomini gelesen haben. Da ich aber lebhaft auf meiner Meinung bestand,
legte sie leise ihre Finger auf meine Hand und sagte: Phe, nicht so laut! Ju
demselben Augenblick zitirte der Alte die herrliche Stelle aus der Glocke von
dem Jüngling und der Jungfrau, von der Einsamkeit und der zarten Sehn¬
sucht, von dem süßen Hoffen und der ersten Liebe goldner Zeit.

Sie zuckte leise zusammen, ein glühendes Rot flog über ihre Wangen;
ich erfaßte ihre Hand und hielt sie bebend zwischen den meinen. Meine lieben
Freunde, ich habe viele glückliche Stunden in meinem Leben gehabt, aber eine
solche Seligkeit wie damals habe ich nie wieder empfunden. Ich hätte dem
Mädchen zu Füßen sinken mögen!

Der Professor war, von seinen Deklamationen völlig ermattet, endlich ein¬
geschlafen. Er atmete in langen Zügen, und eine heitre Ruhe lag auf seinem
Gesicht, als hätten ihn die wilden Geister der Schillerfeier endlich verlassen.
Ich spürte, daß aus dem Nebenzimmer ein kühler Luftstrom hereindrang, es
mußte dort ein Fenster offen sein. Ich stand leise auf, schlich zwischen den
Polstermöbeln des andern Zimmers hindurch und gelangte ans Fenster. Einige
Blumentöpfe und eine kleine Gießkanne standen auf dem Fensterbrett --- wohl
ihre Lieblinge. Ich nahm eins nach dem andern behutsam weg und schloß
das Fenster so leise wie möglich. Als ich wieder in das Schlafzimmer trat,
sah ich, daß das arme Kind vor Ermattung auf dem Stuhle eingeschlafen
war; sie hatte den Kopf gesenkt und saß mit gefalteten Händen vor dem Bett
ihres Baders.

Ich stand eine Weile ans der Thürschwelle und wußte nicht recht, was
ich anfangen sollte. Eins von beiden mußte aber doch unbedingt wachbleiben,
und das wollte ich denu mit Freuden thu". Ich blieb im Nebenzimmer, schloß
die Thür ein wenig und setzte mich an den großen Tisch, der in der Mitte
stand. Manchmal fielen mir vor Müdigkeit die Augen zu, aber ich riß mich
immer wieder mit Gewalt empor. Endlich legte ich aber doch den Kopf auf
deu Tisch und dachte über die wunderbare Fügung nach, die mich armen Kerl
hier in das Allerheiligste eines für mich scheinbar unnahbaren Gelehrten ver¬
setzt hatte. Ich dachte an das Mädchen, das liebe freundliche Geschöpf, das
mir wie ein lichter Engel auf meinem dunkeln Lebenspfad erschienen war. Es
wehte um mich wie Frühlingshauch. Mir wars, als süße ich wieder als
Knabe daheim vor dem kleinen Försterhause und sähe die Strahlen der Morgen¬
sonne über die Tautropfen der Waldwiese zittern und hörte das Rausche"
der Bäume und das Zwitschern der Vögel. Dann kam mein Bater, der
Förster, und ich ging glückselig mit ihm nach dein Rehstand. Da setzte er sich
hin mit mir; ich war ganz still, rührte mich nicht und wagte kaum die Augen
zu bewegen, obgleich die Mücken um mich summten. Endlich kamen zwei Rehe
langsam ans dem Gebüsch hervor, streckten die Köpfe vor, äugten nach rechts


Bilder ans dem Universitätsleben

Ich meinte bestimmt, es wäre aus der Jungfrau, aber sie wollte es in den
Piccolomini gelesen haben. Da ich aber lebhaft auf meiner Meinung bestand,
legte sie leise ihre Finger auf meine Hand und sagte: Phe, nicht so laut! Ju
demselben Augenblick zitirte der Alte die herrliche Stelle aus der Glocke von
dem Jüngling und der Jungfrau, von der Einsamkeit und der zarten Sehn¬
sucht, von dem süßen Hoffen und der ersten Liebe goldner Zeit.

Sie zuckte leise zusammen, ein glühendes Rot flog über ihre Wangen;
ich erfaßte ihre Hand und hielt sie bebend zwischen den meinen. Meine lieben
Freunde, ich habe viele glückliche Stunden in meinem Leben gehabt, aber eine
solche Seligkeit wie damals habe ich nie wieder empfunden. Ich hätte dem
Mädchen zu Füßen sinken mögen!

Der Professor war, von seinen Deklamationen völlig ermattet, endlich ein¬
geschlafen. Er atmete in langen Zügen, und eine heitre Ruhe lag auf seinem
Gesicht, als hätten ihn die wilden Geister der Schillerfeier endlich verlassen.
Ich spürte, daß aus dem Nebenzimmer ein kühler Luftstrom hereindrang, es
mußte dort ein Fenster offen sein. Ich stand leise auf, schlich zwischen den
Polstermöbeln des andern Zimmers hindurch und gelangte ans Fenster. Einige
Blumentöpfe und eine kleine Gießkanne standen auf dem Fensterbrett -— wohl
ihre Lieblinge. Ich nahm eins nach dem andern behutsam weg und schloß
das Fenster so leise wie möglich. Als ich wieder in das Schlafzimmer trat,
sah ich, daß das arme Kind vor Ermattung auf dem Stuhle eingeschlafen
war; sie hatte den Kopf gesenkt und saß mit gefalteten Händen vor dem Bett
ihres Baders.

Ich stand eine Weile ans der Thürschwelle und wußte nicht recht, was
ich anfangen sollte. Eins von beiden mußte aber doch unbedingt wachbleiben,
und das wollte ich denu mit Freuden thu». Ich blieb im Nebenzimmer, schloß
die Thür ein wenig und setzte mich an den großen Tisch, der in der Mitte
stand. Manchmal fielen mir vor Müdigkeit die Augen zu, aber ich riß mich
immer wieder mit Gewalt empor. Endlich legte ich aber doch den Kopf auf
deu Tisch und dachte über die wunderbare Fügung nach, die mich armen Kerl
hier in das Allerheiligste eines für mich scheinbar unnahbaren Gelehrten ver¬
setzt hatte. Ich dachte an das Mädchen, das liebe freundliche Geschöpf, das
mir wie ein lichter Engel auf meinem dunkeln Lebenspfad erschienen war. Es
wehte um mich wie Frühlingshauch. Mir wars, als süße ich wieder als
Knabe daheim vor dem kleinen Försterhause und sähe die Strahlen der Morgen¬
sonne über die Tautropfen der Waldwiese zittern und hörte das Rausche»
der Bäume und das Zwitschern der Vögel. Dann kam mein Bater, der
Förster, und ich ging glückselig mit ihm nach dein Rehstand. Da setzte er sich
hin mit mir; ich war ganz still, rührte mich nicht und wagte kaum die Augen
zu bewegen, obgleich die Mücken um mich summten. Endlich kamen zwei Rehe
langsam ans dem Gebüsch hervor, streckten die Köpfe vor, äugten nach rechts


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/144>, abgerufen am 08.01.2025.