Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

seinein Knoblauch und vom Schützenhause mit seinen Sommerfesten, von der
Gosenschenke in Entritzsch und der Kuchenbäckerei auf dem Brandvorwerk, vom
Konvitt im Paulinerhvfe und vom Fechtboden im Gewandhause. Wiederholt
unterbrach er uns und fragte nach dem alten Kreuzgang in der Universität.
Wir beachtete,, die Frage wenig, denn was war von dein finstern, schmutzigen
Gange weiter zu erzählen? Als wir aber auf das alte Gewandhans in der
Nniversitätsstraße zu sprechen kamen, fing er wieder von dem Kreuzgang
an und fragte, ob es denn wahr sei, was er kürzlich in der Zeitung gelesen
habe, daß alte Wandgemälde darin aufgedeckt und von Künstlerhand wieder¬
hergestellt worden seien.

Wandgemälde? erwiderte Fritz, ach ja, vor einiger Zeit stand einmal
monatelang ein Gerüst im Gange, und dann und wann pinselten zwei oder
drei Männchen da oben herum. Aber sehen kann man nicht viel von dem,
was sie gepinselt haben.

Sie werden sich wundern, sagte der Pfarrer, daß ich von dem alte"
Gange so viel Aufhebens mache, aber es giebt keine Stätte in der Welt, die
so wichtig und bestimmend für mein ganzes Leben gewesen wäre, als dieser
Kreuzgang.

Uns fiel el", daß mau von dort much in die Universitätsbibliothek ge¬
langte, und wir brachten das mit seinen Worte" in Zusammenhang. Aber er
winkte lachend mit der Hand ab: sein Erlebnis habe mit der Wissenschaft
nichts zu thun, höchsteus mit der Poesie.

Wir wurden neugierig und drangen in ihn, zu erzähle". Da stopfte er
seine Pfeife, that ein paar Züge und sah schmunzelnd vor sich hin.

Ja, die Geschichte vom Kreuzgang -- das ist eine ganz wunderliche Ge¬
schichte. Ich kam 59 im Oktober als junger Student nach Leipzig und
geriet nach wenigen Tagen in das große Schillerfest hinein, das dort mit
aller Gründlichkeit, Ausdauer und Begeisterung gefeiert wurde. Es herrschte
bei dieser Gelegenheit unter den Professoren, den Studenten und der Bürger^
schaft eine bewundernswürdige Einigkeit im Feier". Aber mir armem Teufel
kam das ganze Fest sehr ungelegen. Denn als ich mich um einen Freitisch
im Konvikt bewarb, sagte mir der Dekan der theologischen Fakultät: Lieber
Freund, kommen Sie "ach dem Schillerfeste wieder. Und als ich ven Pro-
fessor Müller um Stundung der Kollegiengelder bat, wies er mich geschäftig
zurück mit der Antwort: Lieber Freund, darauf kann ich mich vor dem Schiller-
feste nicht mehr einlassen. Und so ging es mir noch zwei- oder dreimal. Kurz,
ich hatte das Schillerfest gehörig im Magen, oder richtiger: ich hatte nichts
im Mnge", denu die Wurstsenduug meiner Mutter war ausgeblieben, und die
Festkvmmerse und Gastereien konnte ich nicht mitmache", weil mir der Drache
von Wirtin in der Johannisgasse die Miete präuumera"do und damit meine
ganze Barschaft abgenommen hatte. -- Trinken Sie mal aus! Ja, das Glück


seinein Knoblauch und vom Schützenhause mit seinen Sommerfesten, von der
Gosenschenke in Entritzsch und der Kuchenbäckerei auf dem Brandvorwerk, vom
Konvitt im Paulinerhvfe und vom Fechtboden im Gewandhause. Wiederholt
unterbrach er uns und fragte nach dem alten Kreuzgang in der Universität.
Wir beachtete,, die Frage wenig, denn was war von dein finstern, schmutzigen
Gange weiter zu erzählen? Als wir aber auf das alte Gewandhans in der
Nniversitätsstraße zu sprechen kamen, fing er wieder von dem Kreuzgang
an und fragte, ob es denn wahr sei, was er kürzlich in der Zeitung gelesen
habe, daß alte Wandgemälde darin aufgedeckt und von Künstlerhand wieder¬
hergestellt worden seien.

Wandgemälde? erwiderte Fritz, ach ja, vor einiger Zeit stand einmal
monatelang ein Gerüst im Gange, und dann und wann pinselten zwei oder
drei Männchen da oben herum. Aber sehen kann man nicht viel von dem,
was sie gepinselt haben.

Sie werden sich wundern, sagte der Pfarrer, daß ich von dem alte»
Gange so viel Aufhebens mache, aber es giebt keine Stätte in der Welt, die
so wichtig und bestimmend für mein ganzes Leben gewesen wäre, als dieser
Kreuzgang.

Uns fiel el», daß mau von dort much in die Universitätsbibliothek ge¬
langte, und wir brachten das mit seinen Worte» in Zusammenhang. Aber er
winkte lachend mit der Hand ab: sein Erlebnis habe mit der Wissenschaft
nichts zu thun, höchsteus mit der Poesie.

Wir wurden neugierig und drangen in ihn, zu erzähle». Da stopfte er
seine Pfeife, that ein paar Züge und sah schmunzelnd vor sich hin.

Ja, die Geschichte vom Kreuzgang — das ist eine ganz wunderliche Ge¬
schichte. Ich kam 59 im Oktober als junger Student nach Leipzig und
geriet nach wenigen Tagen in das große Schillerfest hinein, das dort mit
aller Gründlichkeit, Ausdauer und Begeisterung gefeiert wurde. Es herrschte
bei dieser Gelegenheit unter den Professoren, den Studenten und der Bürger^
schaft eine bewundernswürdige Einigkeit im Feier». Aber mir armem Teufel
kam das ganze Fest sehr ungelegen. Denn als ich mich um einen Freitisch
im Konvikt bewarb, sagte mir der Dekan der theologischen Fakultät: Lieber
Freund, kommen Sie »ach dem Schillerfeste wieder. Und als ich ven Pro-
fessor Müller um Stundung der Kollegiengelder bat, wies er mich geschäftig
zurück mit der Antwort: Lieber Freund, darauf kann ich mich vor dem Schiller-
feste nicht mehr einlassen. Und so ging es mir noch zwei- oder dreimal. Kurz,
ich hatte das Schillerfest gehörig im Magen, oder richtiger: ich hatte nichts
im Mnge», denu die Wurstsenduug meiner Mutter war ausgeblieben, und die
Festkvmmerse und Gastereien konnte ich nicht mitmache», weil mir der Drache
von Wirtin in der Johannisgasse die Miete präuumera»do und damit meine
ganze Barschaft abgenommen hatte. — Trinken Sie mal aus! Ja, das Glück


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0138" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212614"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_389" prev="#ID_388"> seinein Knoblauch und vom Schützenhause mit seinen Sommerfesten, von der<lb/>
Gosenschenke in Entritzsch und der Kuchenbäckerei auf dem Brandvorwerk, vom<lb/>
Konvitt im Paulinerhvfe und vom Fechtboden im Gewandhause. Wiederholt<lb/>
unterbrach er uns und fragte nach dem alten Kreuzgang in der Universität.<lb/>
Wir beachtete,, die Frage wenig, denn was war von dein finstern, schmutzigen<lb/>
Gange weiter zu erzählen? Als wir aber auf das alte Gewandhans in der<lb/>
Nniversitätsstraße zu sprechen kamen, fing er wieder von dem Kreuzgang<lb/>
an und fragte, ob es denn wahr sei, was er kürzlich in der Zeitung gelesen<lb/>
habe, daß alte Wandgemälde darin aufgedeckt und von Künstlerhand wieder¬<lb/>
hergestellt worden seien.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_390"> Wandgemälde? erwiderte Fritz, ach ja, vor einiger Zeit stand einmal<lb/>
monatelang ein Gerüst im Gange, und dann und wann pinselten zwei oder<lb/>
drei Männchen da oben herum. Aber sehen kann man nicht viel von dem,<lb/>
was sie gepinselt haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_391"> Sie werden sich wundern, sagte der Pfarrer, daß ich von dem alte»<lb/>
Gange so viel Aufhebens mache, aber es giebt keine Stätte in der Welt, die<lb/>
so wichtig und bestimmend für mein ganzes Leben gewesen wäre, als dieser<lb/>
Kreuzgang.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_392"> Uns fiel el», daß mau von dort much in die Universitätsbibliothek ge¬<lb/>
langte, und wir brachten das mit seinen Worte» in Zusammenhang. Aber er<lb/>
winkte lachend mit der Hand ab: sein Erlebnis habe mit der Wissenschaft<lb/>
nichts zu thun, höchsteus mit der Poesie.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_393"> Wir wurden neugierig und drangen in ihn, zu erzähle». Da stopfte er<lb/>
seine Pfeife, that ein paar Züge und sah schmunzelnd vor sich hin.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_394" next="#ID_395"> Ja, die Geschichte vom Kreuzgang &#x2014; das ist eine ganz wunderliche Ge¬<lb/>
schichte. Ich kam 59 im Oktober als junger Student nach Leipzig und<lb/>
geriet nach wenigen Tagen in das große Schillerfest hinein, das dort mit<lb/>
aller Gründlichkeit, Ausdauer und Begeisterung gefeiert wurde. Es herrschte<lb/>
bei dieser Gelegenheit unter den Professoren, den Studenten und der Bürger^<lb/>
schaft eine bewundernswürdige Einigkeit im Feier». Aber mir armem Teufel<lb/>
kam das ganze Fest sehr ungelegen. Denn als ich mich um einen Freitisch<lb/>
im Konvikt bewarb, sagte mir der Dekan der theologischen Fakultät: Lieber<lb/>
Freund, kommen Sie »ach dem Schillerfeste wieder. Und als ich ven Pro-<lb/>
fessor Müller um Stundung der Kollegiengelder bat, wies er mich geschäftig<lb/>
zurück mit der Antwort: Lieber Freund, darauf kann ich mich vor dem Schiller-<lb/>
feste nicht mehr einlassen. Und so ging es mir noch zwei- oder dreimal. Kurz,<lb/>
ich hatte das Schillerfest gehörig im Magen, oder richtiger: ich hatte nichts<lb/>
im Mnge», denu die Wurstsenduug meiner Mutter war ausgeblieben, und die<lb/>
Festkvmmerse und Gastereien konnte ich nicht mitmache», weil mir der Drache<lb/>
von Wirtin in der Johannisgasse die Miete präuumera»do und damit meine<lb/>
ganze Barschaft abgenommen hatte. &#x2014; Trinken Sie mal aus! Ja, das Glück</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0138] seinein Knoblauch und vom Schützenhause mit seinen Sommerfesten, von der Gosenschenke in Entritzsch und der Kuchenbäckerei auf dem Brandvorwerk, vom Konvitt im Paulinerhvfe und vom Fechtboden im Gewandhause. Wiederholt unterbrach er uns und fragte nach dem alten Kreuzgang in der Universität. Wir beachtete,, die Frage wenig, denn was war von dein finstern, schmutzigen Gange weiter zu erzählen? Als wir aber auf das alte Gewandhans in der Nniversitätsstraße zu sprechen kamen, fing er wieder von dem Kreuzgang an und fragte, ob es denn wahr sei, was er kürzlich in der Zeitung gelesen habe, daß alte Wandgemälde darin aufgedeckt und von Künstlerhand wieder¬ hergestellt worden seien. Wandgemälde? erwiderte Fritz, ach ja, vor einiger Zeit stand einmal monatelang ein Gerüst im Gange, und dann und wann pinselten zwei oder drei Männchen da oben herum. Aber sehen kann man nicht viel von dem, was sie gepinselt haben. Sie werden sich wundern, sagte der Pfarrer, daß ich von dem alte» Gange so viel Aufhebens mache, aber es giebt keine Stätte in der Welt, die so wichtig und bestimmend für mein ganzes Leben gewesen wäre, als dieser Kreuzgang. Uns fiel el», daß mau von dort much in die Universitätsbibliothek ge¬ langte, und wir brachten das mit seinen Worte» in Zusammenhang. Aber er winkte lachend mit der Hand ab: sein Erlebnis habe mit der Wissenschaft nichts zu thun, höchsteus mit der Poesie. Wir wurden neugierig und drangen in ihn, zu erzähle». Da stopfte er seine Pfeife, that ein paar Züge und sah schmunzelnd vor sich hin. Ja, die Geschichte vom Kreuzgang — das ist eine ganz wunderliche Ge¬ schichte. Ich kam 59 im Oktober als junger Student nach Leipzig und geriet nach wenigen Tagen in das große Schillerfest hinein, das dort mit aller Gründlichkeit, Ausdauer und Begeisterung gefeiert wurde. Es herrschte bei dieser Gelegenheit unter den Professoren, den Studenten und der Bürger^ schaft eine bewundernswürdige Einigkeit im Feier». Aber mir armem Teufel kam das ganze Fest sehr ungelegen. Denn als ich mich um einen Freitisch im Konvikt bewarb, sagte mir der Dekan der theologischen Fakultät: Lieber Freund, kommen Sie »ach dem Schillerfeste wieder. Und als ich ven Pro- fessor Müller um Stundung der Kollegiengelder bat, wies er mich geschäftig zurück mit der Antwort: Lieber Freund, darauf kann ich mich vor dem Schiller- feste nicht mehr einlassen. Und so ging es mir noch zwei- oder dreimal. Kurz, ich hatte das Schillerfest gehörig im Magen, oder richtiger: ich hatte nichts im Mnge», denu die Wurstsenduug meiner Mutter war ausgeblieben, und die Festkvmmerse und Gastereien konnte ich nicht mitmache», weil mir der Drache von Wirtin in der Johannisgasse die Miete präuumera»do und damit meine ganze Barschaft abgenommen hatte. — Trinken Sie mal aus! Ja, das Glück

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/138
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/138>, abgerufen am 08.01.2025.