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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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unsre Leipziger Stammkneipe, den Thüringer Hof. Und der duftende Rhein¬
wein vor uns that das übrige und ließ uns ganz vergessen, daß wir in einem
abgelegnen pommerschen Dörfchen saßen.

Wir hatten die Empfindung, als bestünde zwischen uns und dem Pfarrer
schon seit Jahren eine alte, bewahrte Freundschaft, und doch hatten wir ihn
erst vor einer Stunde kennen lernen, als wir auf eiuer Ferienwandrung durch
das Dorf Bröhentien zogen und das Lied vom fahrenden Schüler fangen:


Berfahrner Schüler Stoßgebet
Heißt: Herr, gieb uns zu trinken.

Wir waren mit diesem Gesänge in einen Seitenpfad eingebogen und wollten
gerade den letzten Vers anfangen, als wir hinter einer dichten Hecke am Wege
gleichsam als Antwort eine mächtige Baßstimme hörten:


Einsiedel, das war mißgethan,
Daß du dich hubst von hinnen,
Es liegt, ich schö dem Keller an,
Ein guter Jahrgang drinnen.

Wir stutzten, schwiegen still und blieben verwundert stehn. Was war
das? Wer kannte das Studentenlied in dieser weltentrückten Gegend? Die
Baßstimme hinter der Hecke klang so herzhaft, so freudig, fast jauchzend, daß
wir zuerst lachend, dann aber mit voller Stimmentfaltung mit ihr im Trio
weitersangen.

Die Töne hinter der Hecke waren immer näher gekommen; wir sahen auf,
und über die Zweige und Blätter schaute das freundliche Gesicht des Dorf¬
pfarrers mit dem schwarzen SammeWppchen. Er war auf eine Bank gestiegen,
schwenkte seine lange Pfeife in der Luft, hob mit der Linken das Käppchen
hoch und fuhr lustig fort, mit uns zu singen, daß ihm die runden Backen nur
so zitterten:


Dn Heilger Veit von Staffelstein,
Verzeih mir Durst und Sünde!
Ballen, vallera, valleri, vallera.

Im Nu waren wir auf allen Vieren durch ein Loch der Hecke in den
Garten gekrochen. Wir klopften uus schnell die Hosen rein und wollten uns
dem Pfarrer nach allen Regeln des Anstands vorstellen; aber der faßte uus
ohne weitres den einen rechts, den andern links unter den Arm, und ehe wirs
uns versahen, war "r mit den wildfremden Gesellen durch den Garten über
den Hof in das weinumrankte Pfarrhaus getreten. Und da saßen wir denn
nun seelenvergnügt mit dein alten Leipziger Studenten bei einem Glase Rhein¬
wein, jeder mit einer laugen Pfeife, und erzählten ihm von Klein-Paris, was
uns gerade durch den Sinn kam: von Auerbachs Keller mit seinen Faust-
bildern und der Thomaskirche mit ihren Motetten, von der großen, stolzen
Pleißenburg und den kleinen, wackligen Meßbudeu, vom Rosenthal mit


Grenzboten 111 1892 17
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unsre Leipziger Stammkneipe, den Thüringer Hof. Und der duftende Rhein¬
wein vor uns that das übrige und ließ uns ganz vergessen, daß wir in einem
abgelegnen pommerschen Dörfchen saßen.

Wir hatten die Empfindung, als bestünde zwischen uns und dem Pfarrer
schon seit Jahren eine alte, bewahrte Freundschaft, und doch hatten wir ihn
erst vor einer Stunde kennen lernen, als wir auf eiuer Ferienwandrung durch
das Dorf Bröhentien zogen und das Lied vom fahrenden Schüler fangen:


Berfahrner Schüler Stoßgebet
Heißt: Herr, gieb uns zu trinken.

Wir waren mit diesem Gesänge in einen Seitenpfad eingebogen und wollten
gerade den letzten Vers anfangen, als wir hinter einer dichten Hecke am Wege
gleichsam als Antwort eine mächtige Baßstimme hörten:


Einsiedel, das war mißgethan,
Daß du dich hubst von hinnen,
Es liegt, ich schö dem Keller an,
Ein guter Jahrgang drinnen.

Wir stutzten, schwiegen still und blieben verwundert stehn. Was war
das? Wer kannte das Studentenlied in dieser weltentrückten Gegend? Die
Baßstimme hinter der Hecke klang so herzhaft, so freudig, fast jauchzend, daß
wir zuerst lachend, dann aber mit voller Stimmentfaltung mit ihr im Trio
weitersangen.

Die Töne hinter der Hecke waren immer näher gekommen; wir sahen auf,
und über die Zweige und Blätter schaute das freundliche Gesicht des Dorf¬
pfarrers mit dem schwarzen SammeWppchen. Er war auf eine Bank gestiegen,
schwenkte seine lange Pfeife in der Luft, hob mit der Linken das Käppchen
hoch und fuhr lustig fort, mit uns zu singen, daß ihm die runden Backen nur
so zitterten:


Dn Heilger Veit von Staffelstein,
Verzeih mir Durst und Sünde!
Ballen, vallera, valleri, vallera.

Im Nu waren wir auf allen Vieren durch ein Loch der Hecke in den
Garten gekrochen. Wir klopften uus schnell die Hosen rein und wollten uns
dem Pfarrer nach allen Regeln des Anstands vorstellen; aber der faßte uus
ohne weitres den einen rechts, den andern links unter den Arm, und ehe wirs
uns versahen, war »r mit den wildfremden Gesellen durch den Garten über
den Hof in das weinumrankte Pfarrhaus getreten. Und da saßen wir denn
nun seelenvergnügt mit dein alten Leipziger Studenten bei einem Glase Rhein¬
wein, jeder mit einer laugen Pfeife, und erzählten ihm von Klein-Paris, was
uns gerade durch den Sinn kam: von Auerbachs Keller mit seinen Faust-
bildern und der Thomaskirche mit ihren Motetten, von der großen, stolzen
Pleißenburg und den kleinen, wackligen Meßbudeu, vom Rosenthal mit


Grenzboten 111 1892 17
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/137>, abgerufen am 06.01.2025.