Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.China und das Abendland Von Kanton gelegnen Heimat fielen ihm im Jahre 1843 eine Anzahl christ¬ Im Jahre 1846 ging Hung nach Kanton, um sich bei dein dort wir¬ Zum offnen Aufruhr kam. es, als sich Hung und seine Anhänger in ") Der "ältere Bruder" ist in China für die jüngern Geschwister stets eine große Re¬
spektsperson; der Ausdruck wird auch in übertragner Bedeutung gebraucht. China und das Abendland Von Kanton gelegnen Heimat fielen ihm im Jahre 1843 eine Anzahl christ¬ Im Jahre 1846 ging Hung nach Kanton, um sich bei dein dort wir¬ Zum offnen Aufruhr kam. es, als sich Hung und seine Anhänger in ") Der „ältere Bruder" ist in China für die jüngern Geschwister stets eine große Re¬
spektsperson; der Ausdruck wird auch in übertragner Bedeutung gebraucht. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0119" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212595"/> <fw type="header" place="top"> China und das Abendland</fw><lb/> <p xml:id="ID_326" prev="#ID_325"> Von Kanton gelegnen Heimat fielen ihm im Jahre 1843 eine Anzahl christ¬<lb/> liche Flugschriften in die Hände, und ungefähr z» derselben Zeit wurde er<lb/> infolge eiuer Krankheit fortwährend von Visionen heimgesucht. Diese hielt er<lb/> für Offenbarungen und deutete unter ihrem Einfluß allerlei aus den Flug¬<lb/> schriften entnommene Bibelstellen so, daß er berufen sei, christlicher Kaiser von<lb/> China zu werden. Bald fand er Anhänger, wie dies denn in China für<lb/> einen halbwegs energischen einheimischen Führer selten schwierig gewesen ist.<lb/> In mancher Beziehung nahm sich die Bewegung zu Anfang wirklich so aus,<lb/> als ob hier ein Apostel des Christentums unter den Chinesen erstanden wäre.<lb/> Hnng gebot die Heiligung des Sonntags und die Verehrung des Tim Fu,<lb/> d. i. des himmlischen Baders, sowie des Tim Hölung, d. i. des himmlischen<lb/> altern Bruders (Christus).") Er selbst ließ sich später, nach seinen großen<lb/> Erfolgen, nicht mehr mit seinem eigentlichen Namen nennen; seine Anhänger<lb/> gebrauchten dafür gewöhnlich den Ausdruck Tim Wang Tai Pirg, d. i. himm¬<lb/> lischer König aus der großen Friedens- (Tschav-) Dynastie. Davon ging<lb/> dann der Ausdruck Taipings in die europäischen Sprachen über. Auf Seiten<lb/> der kaiserlichen Partei wurde indessen eine minder ehrerbietige Bezeichnung<lb/> angewandt, nämlich Tschang Mao Tseh, d. i. langhaariger Empörer, weil<lb/> sich die Taipings den Zopf abschnitten und das übrige Kopfhaar wachsen ließen.</p><lb/> <p xml:id="ID_327"> Im Jahre 1846 ging Hung nach Kanton, um sich bei dein dort wir¬<lb/> kenden amerikanischen Missionar Roberts im Christentum näher unterweisen zu<lb/> lassen. Aber zu seiner Taufe kam es nicht. Denn bald begannen die un¬<lb/> ruhigen innern politischen Verhältnisse, die der Krieg gegen England zur<lb/> Folge hatte, weit mehr seine Aufmerksamkeit zu erregen als alle religiösen<lb/> Fragen. Von Anfang der Empörung an benutzte Hung die Religion nur<lb/> noch als Mittel zum Zweck, nicht umgekehrt seinen politischen Erfolg zur<lb/> Ausbreitung des Christentums. Er hütete sich wohl, Missionare in sein Lager<lb/> zu rufen, weil er sich sagen mußte, daß sie niemals seine angeblich vom<lb/> himmlischen Vater erhaltnen Mitteilungen als Offenbarungen anerkennen<lb/> würde».</p><lb/> <p xml:id="ID_328" next="#ID_329"> Zum offnen Aufruhr kam. es, als sich Hung und seine Anhänger in<lb/> ihrem religiösen Eifer an den buddhistischen Tempeln vergriffen. Unwillkürlich<lb/> drängt sich einem dabei der Vergleich mit den Bilderstürmern der deutschen<lb/> Reformation ans, und in der That haben beide Bewegungen viel Ähnlichkeit<lb/> mit einander. Ebenso wie Thomas Münzer wollte Huug keine frommen<lb/> Bildnisse dulden; auch ließ er nur die unmittelbare Eingebung des göttlichen<lb/> Willens gelten, dessen irdischer Arm zu sein er behauptete. Der Unwille des<lb/> Volks über die Schändung der Tempel zwang die Beamten endlich zum Ein-</p><lb/> <note xml:id="FID_7" place="foot"> ") Der „ältere Bruder" ist in China für die jüngern Geschwister stets eine große Re¬<lb/> spektsperson; der Ausdruck wird auch in übertragner Bedeutung gebraucht.</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0119]
China und das Abendland
Von Kanton gelegnen Heimat fielen ihm im Jahre 1843 eine Anzahl christ¬
liche Flugschriften in die Hände, und ungefähr z» derselben Zeit wurde er
infolge eiuer Krankheit fortwährend von Visionen heimgesucht. Diese hielt er
für Offenbarungen und deutete unter ihrem Einfluß allerlei aus den Flug¬
schriften entnommene Bibelstellen so, daß er berufen sei, christlicher Kaiser von
China zu werden. Bald fand er Anhänger, wie dies denn in China für
einen halbwegs energischen einheimischen Führer selten schwierig gewesen ist.
In mancher Beziehung nahm sich die Bewegung zu Anfang wirklich so aus,
als ob hier ein Apostel des Christentums unter den Chinesen erstanden wäre.
Hnng gebot die Heiligung des Sonntags und die Verehrung des Tim Fu,
d. i. des himmlischen Baders, sowie des Tim Hölung, d. i. des himmlischen
altern Bruders (Christus).") Er selbst ließ sich später, nach seinen großen
Erfolgen, nicht mehr mit seinem eigentlichen Namen nennen; seine Anhänger
gebrauchten dafür gewöhnlich den Ausdruck Tim Wang Tai Pirg, d. i. himm¬
lischer König aus der großen Friedens- (Tschav-) Dynastie. Davon ging
dann der Ausdruck Taipings in die europäischen Sprachen über. Auf Seiten
der kaiserlichen Partei wurde indessen eine minder ehrerbietige Bezeichnung
angewandt, nämlich Tschang Mao Tseh, d. i. langhaariger Empörer, weil
sich die Taipings den Zopf abschnitten und das übrige Kopfhaar wachsen ließen.
Im Jahre 1846 ging Hung nach Kanton, um sich bei dein dort wir¬
kenden amerikanischen Missionar Roberts im Christentum näher unterweisen zu
lassen. Aber zu seiner Taufe kam es nicht. Denn bald begannen die un¬
ruhigen innern politischen Verhältnisse, die der Krieg gegen England zur
Folge hatte, weit mehr seine Aufmerksamkeit zu erregen als alle religiösen
Fragen. Von Anfang der Empörung an benutzte Hung die Religion nur
noch als Mittel zum Zweck, nicht umgekehrt seinen politischen Erfolg zur
Ausbreitung des Christentums. Er hütete sich wohl, Missionare in sein Lager
zu rufen, weil er sich sagen mußte, daß sie niemals seine angeblich vom
himmlischen Vater erhaltnen Mitteilungen als Offenbarungen anerkennen
würde».
Zum offnen Aufruhr kam. es, als sich Hung und seine Anhänger in
ihrem religiösen Eifer an den buddhistischen Tempeln vergriffen. Unwillkürlich
drängt sich einem dabei der Vergleich mit den Bilderstürmern der deutschen
Reformation ans, und in der That haben beide Bewegungen viel Ähnlichkeit
mit einander. Ebenso wie Thomas Münzer wollte Huug keine frommen
Bildnisse dulden; auch ließ er nur die unmittelbare Eingebung des göttlichen
Willens gelten, dessen irdischer Arm zu sein er behauptete. Der Unwille des
Volks über die Schändung der Tempel zwang die Beamten endlich zum Ein-
") Der „ältere Bruder" ist in China für die jüngern Geschwister stets eine große Re¬
spektsperson; der Ausdruck wird auch in übertragner Bedeutung gebraucht.
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