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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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gehörige der verschiedensten Nationen, darunter bald mich viele deutsche See¬
leute, lohnende Beschäftigung fanden.

Förmliche Vertrüge wurden kurz nach dein Frieden von Nanking mich
von Frankreich und Nordamerika, etwas später auch von Schweden und Nor¬
wegen, mit China auf der Grundlage des Vertrags mit England abgeschlossen.
,Mnig Friedrich Wilhelm der Vierte schickte im Namen des Zollvereins einen
Abgesandten nach China, der dort für kaufmännische und industrielle Zwecke
Erkundigungen einziehen sollte. Zu einem Vertrage kam es jedoch vorläufig
noch nicht.

Was thaten nun die Mandarinen der neue" Lage gegenüber? In, was
thaten sie! Zunüchst gar nichts, da ihnen der Schreck zu sehr in die Glieder
gefahren war. Gar zu unsanft waren sie auch aus der holden Täuschung
aufgerüttelt worden, daß sich die Auslüuder niemals ernstlich gegen den Sohn
des Himmels und gegen seine Stellvertreter, die Mandarinen, auflehnen würde".
Als sie sich dann allmählich etwas erholten, waren sie klug genng, einzusehen,
das; der frühere, für sie weit angenehmere Zustand unwiederbringlich dahin
sei. Aber es war vielleicht zuviel von ihnen verlangt, daß sie sich nun ans
einmal mit Grazie in die neue Ordnung der Dinge finde" sollten, nachdem
sie Jahrtausende hindurch alle nichtchinesische" Völker für Barbaren "ut dem
Kaiser von China für tributpflichtig gehalten hatten. Der Wechsel war zu
schroff. Da schickten nnn diese barbarischen Nationen eine nach der andern
ihre Gesandten, und diese sagten mit einer unverschämt ruhigen Bestimmtheit,
die hohe" chinesischen Würdenträger" gegeiiüber eigentlich ganz unerhört war:
Bitte, seid so freundlich, uns auch als gleichberechtigt anzuerkennen. Und mit
saurer Miene mußte "ran diesen Gesuchen willfahren. Äußerlich ließ man sich
zwar mit orientalischer Höflichkeit nichts merken, aber dafür wurde es all¬
mählich mit einem umso zähem passiven Widerstande in allen möglichen
kleinen Dingen versucht. Bald genug wurde es klar, daß die Wirkung der
ersten Lektion doch noch nicht nachhaltig genug war.

Ehe wir uns aber zu dem zweiten Kriege wenden, wollen wir rasch einen
Blick auf die innern Verhältnisse Chinas werfen, wie sie sich in den fünfziger
Jahren gestalteten. Es hätte den Rahmen dieses Aufsatzes weit überschritten,
wenn wir mich frühere Umwälzungen und Unruhen im Reiche der Mitte hätten
erwähne" wollen; aber bei dem Aufstande der Taipings, der das alte Reich
in allen Fuge" krachen machte, muß wegen der hineinspielcnden ausländischen
Einflüsse eine Ausnahme gemacht werden. In Deutschland wird es wenig
bekannt sein, daß diese ungefähr zwei Jahrzehnte dauernde Bewegung anfänglich
einen christlichen Schein hatte. Mehr als ein Schein war es freilich nicht,
denn der Führer Hung Hsiu Tschüan kann nur eine sehr äußerliche Auf¬
fassung vom Christentum gehabt haben. Überdies drängten seine weltlichen
Pläne bald alle etwa echten religiöse" Absichten zurück. In seiner nicht weit


gehörige der verschiedensten Nationen, darunter bald mich viele deutsche See¬
leute, lohnende Beschäftigung fanden.

Förmliche Vertrüge wurden kurz nach dein Frieden von Nanking mich
von Frankreich und Nordamerika, etwas später auch von Schweden und Nor¬
wegen, mit China auf der Grundlage des Vertrags mit England abgeschlossen.
,Mnig Friedrich Wilhelm der Vierte schickte im Namen des Zollvereins einen
Abgesandten nach China, der dort für kaufmännische und industrielle Zwecke
Erkundigungen einziehen sollte. Zu einem Vertrage kam es jedoch vorläufig
noch nicht.

Was thaten nun die Mandarinen der neue» Lage gegenüber? In, was
thaten sie! Zunüchst gar nichts, da ihnen der Schreck zu sehr in die Glieder
gefahren war. Gar zu unsanft waren sie auch aus der holden Täuschung
aufgerüttelt worden, daß sich die Auslüuder niemals ernstlich gegen den Sohn
des Himmels und gegen seine Stellvertreter, die Mandarinen, auflehnen würde».
Als sie sich dann allmählich etwas erholten, waren sie klug genng, einzusehen,
das; der frühere, für sie weit angenehmere Zustand unwiederbringlich dahin
sei. Aber es war vielleicht zuviel von ihnen verlangt, daß sie sich nun ans
einmal mit Grazie in die neue Ordnung der Dinge finde» sollten, nachdem
sie Jahrtausende hindurch alle nichtchinesische» Völker für Barbaren »ut dem
Kaiser von China für tributpflichtig gehalten hatten. Der Wechsel war zu
schroff. Da schickten nnn diese barbarischen Nationen eine nach der andern
ihre Gesandten, und diese sagten mit einer unverschämt ruhigen Bestimmtheit,
die hohe» chinesischen Würdenträger» gegeiiüber eigentlich ganz unerhört war:
Bitte, seid so freundlich, uns auch als gleichberechtigt anzuerkennen. Und mit
saurer Miene mußte »ran diesen Gesuchen willfahren. Äußerlich ließ man sich
zwar mit orientalischer Höflichkeit nichts merken, aber dafür wurde es all¬
mählich mit einem umso zähem passiven Widerstande in allen möglichen
kleinen Dingen versucht. Bald genug wurde es klar, daß die Wirkung der
ersten Lektion doch noch nicht nachhaltig genug war.

Ehe wir uns aber zu dem zweiten Kriege wenden, wollen wir rasch einen
Blick auf die innern Verhältnisse Chinas werfen, wie sie sich in den fünfziger
Jahren gestalteten. Es hätte den Rahmen dieses Aufsatzes weit überschritten,
wenn wir mich frühere Umwälzungen und Unruhen im Reiche der Mitte hätten
erwähne» wollen; aber bei dem Aufstande der Taipings, der das alte Reich
in allen Fuge» krachen machte, muß wegen der hineinspielcnden ausländischen
Einflüsse eine Ausnahme gemacht werden. In Deutschland wird es wenig
bekannt sein, daß diese ungefähr zwei Jahrzehnte dauernde Bewegung anfänglich
einen christlichen Schein hatte. Mehr als ein Schein war es freilich nicht,
denn der Führer Hung Hsiu Tschüan kann nur eine sehr äußerliche Auf¬
fassung vom Christentum gehabt haben. Überdies drängten seine weltlichen
Pläne bald alle etwa echten religiöse» Absichten zurück. In seiner nicht weit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/118>, abgerufen am 06.01.2025.