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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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handelt sich um das Mein und Dein, um die Existenz, um unsern gesamten
Kulturstand. Es handelt sich darum, ob an die Stelle der Religion ver-
worrner Fanatismus, an die Stelle der Stände das allgemeine Staatsarbeits¬
haus, an die Stelle einer wohlwollenden und objektiven Negierung die Ty¬
rannei von Vvlksführern und ihrem Anhange treten soll. Und da kommt
man mit der allgemeinen Volksschule als einem Mittel der Versöhnung und
meint, das Zusammensein werde wohlthätig wirken! Mit Zuckerwasser heilt
man schwere Krankheiten nicht. Alle, die sich mit den vorliegenden Fragen
ernstlich beschäftigt haben, sind darüber einig, daß mit Worten, Vorstellungen,
Vernunftgründen nichts anzufangen ist. Man kann vielleicht noch da helfen,
wo man imstande ist, die Verhältnisse zu bessern. Im übrigen ist die Frage
zu einer Macht geworden. Die Zeit der diplomatischen Verhandlungen ist
vorüber.

Man mache doch die Probe, man gehe in eine sozialdemokratische Ver¬
sammlung, man sage den Leuten: Ihr seid im Irrtum, liebe Leute, ihr habt
eine falsche Erziehung genossen. Eure Kinder sollen es besser haben, sie sollen
die Wohlthat genießen, mit den Kindern der Kapitalisten auf derselben Schul¬
bank zu sitzen. Beide sollen lernen, Freunde zu werden und sich mit einiger
Rücksicht zu behandeln. Der Sohn des Bankiers wird zwar seine Millionen
behalten, und ihr werdet euern Taglohn behalten, aber ihr müßt einsehen,
daß das mit Rücksicht auf die nationale Größe unsers Vaterlandes nicht anders
geht. Was würde die Antwort sein? Ein einstimmiges Hohngelächter. Wenn
aber ein Mittel bei der einen Partei nicht verfängt, darf man um seinetwillen
der andern Partei keine Opfer zumuten.

Wird man aber dadurch, daß der Staat die Vorschulen oder andre höhere
Schulen aufhebt, die Kinder der höhern Stände in die Elementarschule be¬
kommen? Schwerlich. Vielmehr werden an ihrer Stelle sofort zahlreiche
Privatschulen entstehen. Seiner Zeit hat man diese Privatschulen, mit deren
Leistungen man nicht zufrieden war -- schon darum, weil sie zu ungleich
waren und sich zu wenig dem Bedürfnis der Gymnasien anschlössen--, durch
Vorschulen ersetzt; man würde also für die Volksschule nichts gewinnen, viel¬
mehr nur das höhere Schulwesen schädigen. Wenn also aus dem Plan der
Volksschule überhaupt etwas greifbares werden soll, so geht es nicht anders,
als daß die Privatschulen untersagt werden, und daß geboten wird: alle
Kinder müssen die öffentliche Volksschule besuchen. Das wäre dann die so¬
zialistische Zwangsschule, gegen die sich der Vortragende ausgesprochen hat,
ans die er aber in Wirklichkeit hinarbeitet. Es ist nicht nötig, zu beweisen,
daß dies ein unerträglicher Zwang wäre, ein Gesetz, das in ländlichen Be¬
zirken überhaupt nicht durchzuführen sein würde.

Die andre Forderung, daß nämlich der Staat dafür Sorge tragen solle,
daß begabte Kinder armer Eltern die höhern Schulen besuchen können, ist


handelt sich um das Mein und Dein, um die Existenz, um unsern gesamten
Kulturstand. Es handelt sich darum, ob an die Stelle der Religion ver-
worrner Fanatismus, an die Stelle der Stände das allgemeine Staatsarbeits¬
haus, an die Stelle einer wohlwollenden und objektiven Negierung die Ty¬
rannei von Vvlksführern und ihrem Anhange treten soll. Und da kommt
man mit der allgemeinen Volksschule als einem Mittel der Versöhnung und
meint, das Zusammensein werde wohlthätig wirken! Mit Zuckerwasser heilt
man schwere Krankheiten nicht. Alle, die sich mit den vorliegenden Fragen
ernstlich beschäftigt haben, sind darüber einig, daß mit Worten, Vorstellungen,
Vernunftgründen nichts anzufangen ist. Man kann vielleicht noch da helfen,
wo man imstande ist, die Verhältnisse zu bessern. Im übrigen ist die Frage
zu einer Macht geworden. Die Zeit der diplomatischen Verhandlungen ist
vorüber.

Man mache doch die Probe, man gehe in eine sozialdemokratische Ver¬
sammlung, man sage den Leuten: Ihr seid im Irrtum, liebe Leute, ihr habt
eine falsche Erziehung genossen. Eure Kinder sollen es besser haben, sie sollen
die Wohlthat genießen, mit den Kindern der Kapitalisten auf derselben Schul¬
bank zu sitzen. Beide sollen lernen, Freunde zu werden und sich mit einiger
Rücksicht zu behandeln. Der Sohn des Bankiers wird zwar seine Millionen
behalten, und ihr werdet euern Taglohn behalten, aber ihr müßt einsehen,
daß das mit Rücksicht auf die nationale Größe unsers Vaterlandes nicht anders
geht. Was würde die Antwort sein? Ein einstimmiges Hohngelächter. Wenn
aber ein Mittel bei der einen Partei nicht verfängt, darf man um seinetwillen
der andern Partei keine Opfer zumuten.

Wird man aber dadurch, daß der Staat die Vorschulen oder andre höhere
Schulen aufhebt, die Kinder der höhern Stände in die Elementarschule be¬
kommen? Schwerlich. Vielmehr werden an ihrer Stelle sofort zahlreiche
Privatschulen entstehen. Seiner Zeit hat man diese Privatschulen, mit deren
Leistungen man nicht zufrieden war — schon darum, weil sie zu ungleich
waren und sich zu wenig dem Bedürfnis der Gymnasien anschlössen—, durch
Vorschulen ersetzt; man würde also für die Volksschule nichts gewinnen, viel¬
mehr nur das höhere Schulwesen schädigen. Wenn also aus dem Plan der
Volksschule überhaupt etwas greifbares werden soll, so geht es nicht anders,
als daß die Privatschulen untersagt werden, und daß geboten wird: alle
Kinder müssen die öffentliche Volksschule besuchen. Das wäre dann die so¬
zialistische Zwangsschule, gegen die sich der Vortragende ausgesprochen hat,
ans die er aber in Wirklichkeit hinarbeitet. Es ist nicht nötig, zu beweisen,
daß dies ein unerträglicher Zwang wäre, ein Gesetz, das in ländlichen Be¬
zirken überhaupt nicht durchzuführen sein würde.

Die andre Forderung, daß nämlich der Staat dafür Sorge tragen solle,
daß begabte Kinder armer Eltern die höhern Schulen besuchen können, ist


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[0111] handelt sich um das Mein und Dein, um die Existenz, um unsern gesamten Kulturstand. Es handelt sich darum, ob an die Stelle der Religion ver- worrner Fanatismus, an die Stelle der Stände das allgemeine Staatsarbeits¬ haus, an die Stelle einer wohlwollenden und objektiven Negierung die Ty¬ rannei von Vvlksführern und ihrem Anhange treten soll. Und da kommt man mit der allgemeinen Volksschule als einem Mittel der Versöhnung und meint, das Zusammensein werde wohlthätig wirken! Mit Zuckerwasser heilt man schwere Krankheiten nicht. Alle, die sich mit den vorliegenden Fragen ernstlich beschäftigt haben, sind darüber einig, daß mit Worten, Vorstellungen, Vernunftgründen nichts anzufangen ist. Man kann vielleicht noch da helfen, wo man imstande ist, die Verhältnisse zu bessern. Im übrigen ist die Frage zu einer Macht geworden. Die Zeit der diplomatischen Verhandlungen ist vorüber. Man mache doch die Probe, man gehe in eine sozialdemokratische Ver¬ sammlung, man sage den Leuten: Ihr seid im Irrtum, liebe Leute, ihr habt eine falsche Erziehung genossen. Eure Kinder sollen es besser haben, sie sollen die Wohlthat genießen, mit den Kindern der Kapitalisten auf derselben Schul¬ bank zu sitzen. Beide sollen lernen, Freunde zu werden und sich mit einiger Rücksicht zu behandeln. Der Sohn des Bankiers wird zwar seine Millionen behalten, und ihr werdet euern Taglohn behalten, aber ihr müßt einsehen, daß das mit Rücksicht auf die nationale Größe unsers Vaterlandes nicht anders geht. Was würde die Antwort sein? Ein einstimmiges Hohngelächter. Wenn aber ein Mittel bei der einen Partei nicht verfängt, darf man um seinetwillen der andern Partei keine Opfer zumuten. Wird man aber dadurch, daß der Staat die Vorschulen oder andre höhere Schulen aufhebt, die Kinder der höhern Stände in die Elementarschule be¬ kommen? Schwerlich. Vielmehr werden an ihrer Stelle sofort zahlreiche Privatschulen entstehen. Seiner Zeit hat man diese Privatschulen, mit deren Leistungen man nicht zufrieden war — schon darum, weil sie zu ungleich waren und sich zu wenig dem Bedürfnis der Gymnasien anschlössen—, durch Vorschulen ersetzt; man würde also für die Volksschule nichts gewinnen, viel¬ mehr nur das höhere Schulwesen schädigen. Wenn also aus dem Plan der Volksschule überhaupt etwas greifbares werden soll, so geht es nicht anders, als daß die Privatschulen untersagt werden, und daß geboten wird: alle Kinder müssen die öffentliche Volksschule besuchen. Das wäre dann die so¬ zialistische Zwangsschule, gegen die sich der Vortragende ausgesprochen hat, ans die er aber in Wirklichkeit hinarbeitet. Es ist nicht nötig, zu beweisen, daß dies ein unerträglicher Zwang wäre, ein Gesetz, das in ländlichen Be¬ zirken überhaupt nicht durchzuführen sein würde. Die andre Forderung, daß nämlich der Staat dafür Sorge tragen solle, daß begabte Kinder armer Eltern die höhern Schulen besuchen können, ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/111>, abgerufen am 08.01.2025.