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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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schädigt das Vaterland nicht, wenn er sie untergehen läßt, er gehört nicht
mit ihnen zu einer "homogenen" Masse, er hat mit ihnen nicht einmal die
religiös-sittliche Unterlage gemein, denn diese ist national. Das Vaterland ist
eine gute Sache, aber das höchste Gut ist es nicht. Die Sozialdemokratie
hat ganz richtig erkannt, daß wirtschaftliche Fragen durch Landesgrenzen nicht
beschränkt werden. Darum wird auch die nationale Schule der internationalen
Sozialdemokratie nicht viel anhaben.

Das soll also die Schule leisten. Offenbar hat es die Schule bis jetzt
nicht geleistet. Denn die sozialen Notstände sind hervorgetreten zu einer Zeit,
wo es Schulen gab. Was stand denn der Schule im Wege? Sie war nicht
richtig organisirt. Es gab Standesschulen, Konfessionsschulen, aber es gab
nicht -- die allgemeine Volksschule. Das Volk war auch in der Schule nach
Stünden und Konfessionen geteilt. Die nationale Erziehung der "homogenen"
Masse war unmöglich.

Schön, denken wir uns einmal die Schule nach dem Wunsche des Herrn
Scherer und seiner Freunde eingerichtet. Alle^ Privat- und Spezialschulen
sind aufgehoben, es giebt eine einzige paritätische Volksschule. Die Konfessionen
sind beseitigt, Christ und Jude, Katholik und Protestant, alles ist eins. Der
Sohn des Grafen sitzt neben dem des Dreschers, der Sohn des Beamten
neben dem des Vagabunden. Da hätten wir also keine Stunde mehr, und
damit wäre die soziale Frage glücklich beseitigt. Unter Anleitung des Herrn
Lehrers fangen die Kinder der "homogenen" Masse an, sich zu lieben. Sie
treten in persönliche Beziehung, sie lernen sich achten. Der Sohn des Grafen
sieht zu seiner Verwunderung, daß sein Nachbar anch eine Nase hat, der
Sohn des Vagabunden erkennt die Thatsache an, daß der Sohn des Prä¬
sidenten lieber Butterbrot als trocknes Brot ist. Sie alle fühlen sich als ein
Teil eines großen Ganzen, das man ihnen in bunten Farben gemalt auf der
Landkarte zeigt. Welch Schauspiel! aber ach, ein Schauspiel nur. Diese
künstlich geschaffne Schulwelt hebt die übrige Welt nicht auf. Wir wollen
Herrn Scherer in seiner Abneigung gegen die Konfession nicht bekämpfen, ob¬
wohl wir allen Grund dazu hätten, wir wollen annehmen, daß die Zugehörigkeit
zu einer kirchlichen Gemeinschaft keine soziale Kraft habe, daß die Konfession,
daß die konfessionelle Schule nie etwas Gutes geleistet habe, daß der kon¬
fessionelle Zwiespalt in unserm Vaterlande für alle und jede Not verant¬
wortlich zu machen sei , wir wollen alles das annehmen. Können wir aber
diese Konfessionen durch unsre Mißbilligung beseitigen? In Frankreich hat
man die konfessionslose Schule, und -- Ultramvntane, Protestanten, Juden
und Atheisten bestehen ruhig ueben einander fort. Noch weniger wird es
gelingen, durch die Schulbank die Stnndesunterschiede und Standesvorurteile
zu beseitigen. Es würde nicht einmal innerhalb der Schule geschehen. Der
Sohn des Grafen und der Sohn des Dreschers bleiben beide trotz der


schädigt das Vaterland nicht, wenn er sie untergehen läßt, er gehört nicht
mit ihnen zu einer „homogenen" Masse, er hat mit ihnen nicht einmal die
religiös-sittliche Unterlage gemein, denn diese ist national. Das Vaterland ist
eine gute Sache, aber das höchste Gut ist es nicht. Die Sozialdemokratie
hat ganz richtig erkannt, daß wirtschaftliche Fragen durch Landesgrenzen nicht
beschränkt werden. Darum wird auch die nationale Schule der internationalen
Sozialdemokratie nicht viel anhaben.

Das soll also die Schule leisten. Offenbar hat es die Schule bis jetzt
nicht geleistet. Denn die sozialen Notstände sind hervorgetreten zu einer Zeit,
wo es Schulen gab. Was stand denn der Schule im Wege? Sie war nicht
richtig organisirt. Es gab Standesschulen, Konfessionsschulen, aber es gab
nicht — die allgemeine Volksschule. Das Volk war auch in der Schule nach
Stünden und Konfessionen geteilt. Die nationale Erziehung der „homogenen"
Masse war unmöglich.

Schön, denken wir uns einmal die Schule nach dem Wunsche des Herrn
Scherer und seiner Freunde eingerichtet. Alle^ Privat- und Spezialschulen
sind aufgehoben, es giebt eine einzige paritätische Volksschule. Die Konfessionen
sind beseitigt, Christ und Jude, Katholik und Protestant, alles ist eins. Der
Sohn des Grafen sitzt neben dem des Dreschers, der Sohn des Beamten
neben dem des Vagabunden. Da hätten wir also keine Stunde mehr, und
damit wäre die soziale Frage glücklich beseitigt. Unter Anleitung des Herrn
Lehrers fangen die Kinder der „homogenen" Masse an, sich zu lieben. Sie
treten in persönliche Beziehung, sie lernen sich achten. Der Sohn des Grafen
sieht zu seiner Verwunderung, daß sein Nachbar anch eine Nase hat, der
Sohn des Vagabunden erkennt die Thatsache an, daß der Sohn des Prä¬
sidenten lieber Butterbrot als trocknes Brot ist. Sie alle fühlen sich als ein
Teil eines großen Ganzen, das man ihnen in bunten Farben gemalt auf der
Landkarte zeigt. Welch Schauspiel! aber ach, ein Schauspiel nur. Diese
künstlich geschaffne Schulwelt hebt die übrige Welt nicht auf. Wir wollen
Herrn Scherer in seiner Abneigung gegen die Konfession nicht bekämpfen, ob¬
wohl wir allen Grund dazu hätten, wir wollen annehmen, daß die Zugehörigkeit
zu einer kirchlichen Gemeinschaft keine soziale Kraft habe, daß die Konfession,
daß die konfessionelle Schule nie etwas Gutes geleistet habe, daß der kon¬
fessionelle Zwiespalt in unserm Vaterlande für alle und jede Not verant¬
wortlich zu machen sei , wir wollen alles das annehmen. Können wir aber
diese Konfessionen durch unsre Mißbilligung beseitigen? In Frankreich hat
man die konfessionslose Schule, und — Ultramvntane, Protestanten, Juden
und Atheisten bestehen ruhig ueben einander fort. Noch weniger wird es
gelingen, durch die Schulbank die Stnndesunterschiede und Standesvorurteile
zu beseitigen. Es würde nicht einmal innerhalb der Schule geschehen. Der
Sohn des Grafen und der Sohn des Dreschers bleiben beide trotz der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/109>, abgerufen am 08.01.2025.